Nachhaltigkeit weichgespült
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Schon der Aufmacher der Rubrik „Nachhaltigkeit“ der IDM klingt prätentiös: „Nachhaltigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch alle unsere Initiativen und Projekte…Nachhaltigkeit ist für Südtirol ein herausragendes Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Regionen. Gemeinsam mit der Qualität bildet sie das größte Potenzial für jedes Südtiroler Produkt“ (sic). Vom Speck bis zu den Weihnachtsmärkten? Von überdimensionierten Wellness-Refugien bis zu den Sportgroßevents: wie weit kann „Nachhaltigkeit“ noch strapaziert werden? Wer kauft das den Standortmarketingagenturen überhaupt noch ab?
Dieser Verdacht drängt sich auch beim 2023 von IDM geschaffenen „Nachhaltigkeitslabel Südtirol“ auf. Da geht es um Kreislaufwirtschaft, Biodiversität und um „grüne Mobilität“ sowohl bei der Anreise der Gäste wie bei internen Kurzstrecken. Nun ist Südtirol bekanntlich nicht nur die tourismusintensivste Region der Zentralalpen ist, sondern auch eine der verkehrsintensivsten: der touristische Freizeitverkehr innerhalb des Landes macht 26,3% des gesamten Kfz-Verkehrs aus; mindestens 3,8 Millionen Touristenfahrzeuge kommen jährlich mit enormem CO2-Ausstoß ins Land, den Kfz-Transit und die unzähligen Tagesbesucher gar nicht mitgezählt; es ist extrem beliebt bei Motorradfahrern, so haben 2024 über 100.000 Biker das Timmelsjoch passiert. Im Oktober gab es laut SIAG 253.831 buchbare Betten in Südtirol, das damit auch die höchste Bettendichte in diesem Raum aufweist. Wie kann eine solche Region als „nachhaltig“ klassifiziert werden?
Ein Nachhaltigkeitslabel für Beherbergungsbetriebe mag durchaus seinen Sinn haben, wenn sie nachweisbar auf umweltfreundliche Praktiken., Energieeffizienz, Anreise mit Bus und Bahn, Verringerung der Umweltbelastung, regionale Kreisläufe bei der Beschaffung und Abfallminimierung sorgen. 60 Südtiroler Hotels haben bisher das IDM-Nachhaltigkeitslabel zuerkannt bekommen. Dies kann auch den Gästen als Orientierung im Labeldschungel bei der Auswahl der Unterkunft dienen, unter der Voraussetzungdass ein externes Audit durch unabhängige, nicht-kommerzielle Instanzen erfolgt. Es kann ein positive Dynamik unter den Betrieben für einen ökologisch verträglichen Tourismus auslösen. und müsste aber einen umfassenden CO2-Fußabdruck pro Gast beinhalten, der im IDM-Label nicht verlangt wird. Im Nachhaltigkeitslabel Südtirol Level 3 ist „Eindämmung des Klimawandels“ zwar ein Pflichtkriterium und die CO2-Bilanzierung wird gefördert, doch am Ende bilden die CO2-Emissionen pro Gast und Nächtigung kein quantitatives Bewertungskriterium. Ein "Tool zur ganzheitlichen Erfassung des CO2-Fußabdrucks" ist zwar von IDM angekündigt, doch warum vergibt sie das Label schon vorab?
Anders verhält es sich bei Destinationen. In Südtirol haben bisher das Eggental, Brixen, St. Vigil, das Ahrntal, die Seiser Alm, Meran, das Passeiertal, Ratschings, Gitschberg-Jochtal und Villnöss-Lüsen das Zertifikat erhalten. Die Audits sind von den Zertifizierungsagenturen Green Destinations und Vireo durchgeführt worden. Wie kann aber ein größeres Gebiet als Ganzes nach objektiv messbaren Kriterien auf Nachhaltigkeit geprüft und unabhängig zertifiziert werden? Ist eine Standortagentur dazu berufen, die von ihr vermarkteten Destinationen zu zertifizieren? Die IDM hat zu diesem Zweck ein eigenes Kriterienset vom GSTC-D-Set an Kriterien und Indikatoren für Destinationen abgeleitet. Der GSTC, eine seriöse global agierende Institution für nachhaltigen Tourismus, bezeichnet aber seine Kriterien als Mindestniveau, von dem nur nach oben abgewichen werden darf. Das „Nachhaltigkeitslabel Südtirol“ weicht hingegen vom Kriterien- und Indikatorenset des GSTC-D erheblich nach unten ab. Bei zahlreichen Kriterien hat die IDM die Indikatoren ausgedünnt, verkürzt und unzulässig vereinfacht. Wichtige Indikatoren zur Beurteilung von Nachhaltigkeit fehlen ganz. Bei anderen Kriterien wird bewusst schwammig formuliert, oder Kriterien werden auf leicht zu erfüllende Vorgaben eingeengt. Dies gilt vor allem für die ökologische Nachhaltigkeit. Wenn der Begriff „nachhaltig“ in der Touristeninformation Aussagekraft haben soll, muss er anhand von amtlichen Daten und Fakten nachprüfbar und belegt sein. Doch auf solche Daten und Analysen zur Nachhaltigkeit aus amtlicher oder wissenschaftlicher Quelle wird in diesen Kriterien nicht Bezug genommen.
Zudem bleibt die touristische Mobilität zur Destination und vor Ort sowie die CO2-Emissionen der touristischen Infrastrukturen, Bauten, Anlagen über den ganzen Lebenszyklus ausgeklammert. Ein Nachhaltigkeitskonzept eines Gebiets ohne Erfassung der CO2-Emissionen ist aber unvollständig. Wer als Anrainer im Sommer die Luftverschmutzung und Lärmbelästigung auf den Dolomitenpässen und den Rummel und die Verbauung in den ladinischen Tälern erlebt, wir nicht glauben können, dass Gröden, die Seiser Alm, das Eggental und das Gadertal echt “nachhaltig” sind. 80-86% der Touristen in Südtirol reisen mit dem eigenen Kfz an. Eine solche Masse an Mobilität ist nicht nachhaltig organisierbar. Nur anhand einer vollständigen CO2-Bilanz kann die tatsächliche Klimabelastung in einem Gebiet erfasst werden. Bei kleinräumigen Gebieten wirft dieses Unterfangen größte methodische Probleme auf. So bleibt das von der IDM an Südtiroler „Destinationen“ vergebene Label letztlich wenig aussagekräftig und für die vom Übertourismus geplagte Bevölkerung wenig tröstlich.
Zur Vertiefung empfohlen: Heimatpflegeverband Südtirol/POLITiS (HrSg.), Heimat oder Destination Südtirol? Tourismus in Maßen statt in Massen, arcaedizioni 2024
Sehr geehrter Herr…
Sehr geehrter Herr Benedikter,
leider wurde Ihrerseits hier etwas schlampig recherchiert und einige Dinge entsprechen nicht den Tatsachen.
Gitschberg-Jochtal und Villnöss-Lüsen haben noch kein Nachhaltigkeitslabel erhalten. Das Kriterienset des Südtirolstandards ist von GSTC offiziell anerkannt. Die Kriterien sind mit jenen von GSTC identisch, die Indikatoren wurden mit der breiten Beteiligung vieler Institutionen (neben den verschiedenen touristischen Verbänden auch u.a. Eurac, Unibz, independent L, Versuchszentrum Laimburg u.m.) gemeinsam erarbeitet und für die Südtiroler Bedürfnisse angepasst.
Die Erhebung der CO2-Emissionen für eine Destination ist in der Tat eines der schwierigsten Unterfangen. Einige Gebiete holen sich hier professionelle Hilfe zur Berechnung z.B. vom Ökoinstitut.
Ich bin der Meinung, dass wir zum Thema nachhaltigem Tourismus noch einen langen und steinigen Weg vor uns haben und es ist bei weitem nicht alles Gold was glänzt.
Auf der anderen Seite hatte vor eineinhalb Jahren keine einzige Tourismusorganisation in Südtirol eine(n) Nachhaltigkeitsbeauftragte(n) und hier gibt es mittlerweile gar einige sehr engagierte Personen, die Veränderungen herbeiführen möchten.
Einsicht ist der Weg zur Besserung. Geben Sie den Menschen doch eine Chance.
Freundliche Grüße
Lieber Hannes von Chaos,…
Lieber Hannes von Chaos, danke für die Hinweise. Teilweise muss ich Ihnen aber widersprechen. Beim Hearing zum Tourismus im Landtag am vergangenen Mittwoch hat W. Töchterle von der IDM genau diese Liste von 10 bereits als nachhaltig zertifizierten Destinationen präsentiert, 12 weitere würden dann noch folgen. Er müsste es eigentlich wissen.
Wenn das Kriterienset des Südtirol Labels vom GSTC anerkannt worden ist, hat diese Organisation leider nicht genau hingeschaut, was ihre Pflicht wäre, wenn das Label selbst Glaubwürdigkeit behalten will. Ich habe beide Kriteriensets Punkt für Punkt verglichen. IDM hat das GSTC-Set ausgedünnt, vor allem bei der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit. Eklatantes Beispiel: die Bürgerbeteiligung. Wo bei uns dürfen Bürger:innen wirklich bei touristischen Projekten mitreden? Wo gibt es echte repräsentative Erhebungen vor Ort oder gar Volksabstimmungen? In Gröden? In Sexten? Zur Seiser Alm? Fehlanzeige.
Die Frage der umfassenden CO2-Emissionserfassung ist tatsächlich ein Kern der Debatte, den auch die IDM eingesehen hat, nur eben im Konzept des Südtirol Labels nicht umsetzt. Dort wird nie Bezug genommen auf das bei uns bestehende Problem der Überlastung, also der zu hohen Menge an Kfz, die hierher reisen und hier zirkulieren. Schön, dass die Tourismusorganisationen sich jetzt systematisch um mehr Nachhaltigkeit in den Betrieben kümmern, aber wünschenswert, dass sie das Problem ganzheitlich betrachten.