Gesellschaft | Pflege & Sozialberuf

Umfassende Wahrnehmung

Der Mangel an Pflegekräften im Sozial- und Gesundheitswesen, erfordert umfassende Lösungsansätze und nicht einseitige Initiativen und Darstellungen.
Marta von Wohlgemuth
Foto: Marta von Wohlgemuth
  • Einer Aussendung der Geschäftsführerin des Landesverbands der Sozialberufe (LVS/APPS), Marta von Wohlgemuth an SALTO zum Thema Pflegemangel, Sozialberufmangel und mögliche Aufwertungen

    Die Geschäftsführerin des Landesverbands der Sozialberufe (LVS/APPS) Marta von Wohlgemuth weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass die Berichterstattung über mangelnde Pflegekräfte, vor allem in Seniorenheimen, mit einer gewissen Regelmäßigkeit vorkommt. Dabei sind Seniorenheime ein Teil eines größeren Ganzen, was die Auswirkungen des Pflegemangels und des Fehlens von Sozial- und Gesundheitsberufen allgemein betrifft. Die mediale Berichterstattung geht hierbei ein wenig zu einseitig vor, auch die Hauspflege betreffend sind die Wartelisten lang. Es gilt das Thema umfassender wahrzunehmen, es geht um viel mehr: Betroffen sind neben Senioren und Seniorinnen, die sich nicht mehr selbstständig versorgen können, auch Menschen mit Behinderungen, Menschen, die an Suchterkrankungen leiden, schutzlose Minderjährige und Personen in sozialen Notlagen. Es geht darum, eine Gesamtüberlegung zu machen, wie man die Sozialberufe allgemein aufbauen kann. 

  • Zahlen im Überblick (Stand 31.12.2022)

    • 306 stationäre und nicht stationäre Einrichtungen (4 mehr als im Vorjahr)
    • Aufnahmekapazität: 7.786 Plätze (Betten in stationären Einrichtungen; „Plätze“ in nicht stationären Einrichtungen)
    • Damit kommen auf 1.000 Einwohner rund 14,5 Plätze
    • Die Gesamtzahl der betreuten Menschen im Jahre 2022 beträgt 6.794 (-95 im Vergleich zum Vorjahr, da waren es 6.889)
  • Ein Rückblick

    Seit der Corona-Pandemie ist das Thema mangelnder Pflegekräfte und fehlender Sozialberufe zu einem permanenten Thema geworden. Damals sah es danach aus, dass die Aufwertung dieser Berufe eine beschlossene Sache wäre, es gab es neben Lobhuldigungen und Applause für das Personal im Gesundheits- und Sozialwesen auch andere Bestrebungen, das Berufsfeld aufzubessern: eine einmalige Covid-Prämie (per Nachtragshaushalt auf eine Summe von 10 Millionen Euro datiert, die auf über 6.000 Arbeitskräfte in Sozialdiensten und Gesundheitswesen aufgeteilt wurden). Die Impfpflicht sorgte für eine große Spaltung innerhalb der Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen. Einige sind darauf nicht mehr zu ihrem Beruf zurückgekehrt, wie groß diese Anzahl ist, lässt sich nur schwer einschätzen. 

  • Marta von Wohlgemuth: Gründungsmitglied und seit Jahren Geschäftsführende des LVS Foto: Marta von Wohlgemuth

    Im August 2022 folgte ein Teilvertrag für Bedienstete der Gemeinde, Bezirksgemeinschaften und Ö.B.P.B. (öffentliche Betriebe für Pflege- und Betreuungsdienste). Allerdings hatte dieser eine weitere Spaltung zur Folge: Je nach Arbeitsplatz (stationär/ambulant) führte er zu einer Ungleichbehandlung bei den Aufgabenzulagen. Weiters folgten die „neuen berufsbegleitenden Ausbildungen“, Vorbereitungskurse, um als Privatistin und Privatist zur Prüfung an den Landesfachschulen für Sozialberufe anzutreten. Zielgruppen sind dabei Quereinsteigende sowie Mitarbeitende mit Arbeitsvertrag im Seniorenwohnheim, die den Kurs aufgrund ihrer Anstellung bezahlt bekommen. Um eine weitere Spaltung zu verhindern, muss auch für Studierende an den Landesfachschulen ein finanzieller Anreiz geschaffen werden. 

    Die Privatisierung der „Ausbildung der Sozialberufe“ funktionierte letztendlich nicht als Weg aus der Sackgasse heraus. 

  • Die wohnortnahe Versorgung/Hauspflege (umfasst alle auf dem Landesgebiet engmaschig verbreiteten gesundheitlichen und soziosanitären Tätigkeiten und Dienste, von der Basismedizin zur pharmazeutischen Versorgung, von der ambulanten fachärztlichen Versorgung zur Prothesenversorgung, von den Hauspflegediensten zu den territorialen Beratungsstellen bis hin zu den halbstationären und stationären Einrichtungen) ist auszubauen, ausgehend vom Ansatz der wohnortnahen Versorgung des Südtiroler Sanitätsbetriebes, muss dieses Konzept auch auf die Sozialdienste übertragen werden.

    Der bereichsübergreifende Kollektivvertrag (im August 2023 unterschrieben und angekündigt, im November 2023 im Amtsblatt veröffentlicht) ermöglicht nun die Auszahlung der Einmalzahlungen. 

    Sozialberufe müssen aufgewertet werden, um das Fehlen von Mitarbeiter/innen zu bewältigen und eine Erosion der sozialen Daseinsvorsorge zu verhindern und dem gesellschaftlichen Stellenwert dieser Berufe gerecht zu werden.

  • Welche Punkte sind noch zu beachten, um Sozialberufe attraktiver zu gestalten?

    • Wertvolle Arbeit verdient eine echte Aufwertung der Löhne, auch niedrige Löhne sind mitverantwortlich für den Pflegenotstand.
    • Der soziale Bereich steht bei der Personalgewinnung in harter Konkurrenz zu anderen Branchen. Deshalb braucht es: die Umsetzung eines Ausbildungsbeitrags, auch für die Studierenden der Sozialberufe, es muss ein angemessenes Entgelt pro Praktikumsstunde zuerkannt werden.
    • Die Schaffung von Karrieremöglichkeiten.
    • Planbaren Einstieg sowie Aufstieg und planbares Einkommen.
    • Eine ausgewogenere Gestaltung der Zulagen, die Regelung der Zulagen im Teilvertrag derzeit stehen in keinem Verhältnis zur Leistung aller Mitarbeitenden in den Sozialberufen. 
    • Umfassende Aufwertung durch Änderung der Funktionsebene, wir wiederholen seit nun mehr 12 Jahren dieselbe Forderung: die 6. Funktionsebene für die Sozialbetreuerinnen und die entsprechenden Auslaufberufsbilder und die 5. Funktionsebene für die Pflegehelferinnen und die entsprechenden Auslaufberufsbilder. 
  • Sozialberufe müssen aufgewertet werden, um das Fehlen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu bewältigen und eine Erosion der sozialen Daseinsvorsorge zu verhindern und dem gesellschaftlichen Stellenwert dieser Berufe gerecht zu werden.