Politik | Wahlgesetz

Direktwahl soft

Die SVP will im neuen Wahlgesetz die Direktwahl des Landeshauptmannes vorschlagen. Allerdings in einer sehr abgeschwächten Form.

Der Vorschlag soll am Mittwoch an die SVP-Abgeordneten verteilt werden. Danach dürfte ihn auch der Koalitionspartner PD zu Gesicht bekommen. Es handelt sich um das neue Wahlgesetz. Ausgearbeitet von einer SVP internen Arbeitsgruppe der Waltraud Deeg, Maria Kuenzer, Magdalena Amhof, Sepp Noggler und Albert Wurzer angehören.
Im Papier findet sich keine Spur vom medialen Sturm im Wasserglas, den die Dolomiten vor wenigen Wochen mit den angeblichen „blockierten Kandidaten“ entfacht hat. „Das war eine Diskussionsmeldung aber nie ein ernster Vorschlag“, sagt Sepp Noggler.
Dennoch wird der SVP-Gesetzesvorschlag für einige Diskussion sorgen. Der Grund dafür liegt in einer überraschenden Wende, die die Volkspartei eingeschlagen hat: Im neuen Wahlgesetz soll die Direktwahl des Landeshauptmannes festgeschrieben werden.


Forderung der Opposition

Die Freiheitlichen, die Bürgerunion und die Süd Tiroler Freiheit fordern seit vielen Jahren, dass auch in Südtirol wie in anderen italienischen Regionen die Direktwahl des Landeshauptmannes eingeführt wird. Die Volkspartei hat sich immer dagegen gesträubt.
Der Gründe dafür sind einfach: Wenn der Wähler und die Wählerinnen auf dem Stimmzettel einen Landeshauptmann-Kandidaten ohne Partei ankreuzen können, dann bringt das mit sich, dass der Spitzenkandidat bereits im Wahlkampf weit autonomer und parteiunabhängiger agieren kann.
Vor allem aber hat der Wähler die Möglichkeit parteiübergreifend zu wählen. Das heißt: Als Landeshauptmann zwar den SVP-Kandidaten. Für den Landtag aber eine andere Partei.


Sepp Noggler: „Werden sehen, welcher Vorschlag mehrheitsfähig ist. “

Die begründete Befürchtung der SVP: Ein Durnwalder oder ein Kompatscher würden durch die Direktwahl mehr Stimmen bekommen, die Partei aber weniger. Denn es gibt immer noch viele Wählerinnen und Wähler, die allein wegen des Landeshauptmannes das Edelweiß ankreuzen.
Vor diesem Hintergrund hat die Volkspartei bisher die Direktwahl gescheut. Doch damit ist jetzt Schluss. Im Vorschlag, den die SVP-Kommission erarbeitet hat, ist die Direktwahl des Landeshauptmannes enthalten. Doch nicht etwa so wie es die Opposition fordert, sondern in einer weit abgeschwächten Form.

Wie in den Gemeinden

In dem Entwurf, der verteilt wird, ist eine Variante enthalten, die dem Wahlgesetz in den Südtiroler Gemeinden über 15.000 Einwohnern entspricht. Jede Liste muss bei den Landtagswahlen mit einem eigenen Landeshauptmann-Kandidaten antreten. Es gibt nur einen Stimmzettel auf dem das Listenzeichen und der Name des Landeshauptmannkandidaten stehen.
Wer das Listenzeichen ankreuzt gibt automatisch diesem Spitzenkandidaten auch eine Vorzugsstimme. Dazu kann jeder Wähler und jede Wählerin noch weitere vier Vorzugsstimmen geben.
Der Kandidat mit den meisten Vorzugstimmen wird damit direkt zum Landeshauptmann gewählt. Weil die Vorzugsstimmen und die Parteistimmen in diesem Fall gleich sind, ist gewährleistet, dass der Landeshauptmann zwingend auch aus der meist gewählten Partei kommt.

Die Bedenken

Gegen diesen Vorschlag gibt es innerhalb der SVP aber Bedenken. Vor allem vom amtierenden Landeshauptmann selbst. Denn diese Art der Direktwahl bindet den Landeshauptmann enger an die Partei. Vor allem aber lässt sie keine Rückschlüsse über das wirkliche politische Gewicht des Landeshauptmannes mehr zu.
Zum Verständnis: Die SVP hatte bei den Landtagswahlen 2013 131.255 Listenstimmen. Landeshauptmann Arno Kompatscher kam auf 81.117 Vorzugsstimmen. Bedenkt man, dass der Zweitplatzierte auf der SVP-Liste, Arnold Schuler, nur 31.328 Vorzugsstimmen bekam, so wird deutlich, welches Gewicht Kompatscher hat.
Mit dem neuen Wahlgesetz hätte Kompatscher automatisch 131.255 Stimmen. Niemand könnte dann aber sagen, wie viele Wählerinnen und Wähler wirklich ihre Vorzugsstimme Kompatscher gegeben haben. Und ob er wirklich der beliebteste Politiker auf der SVP-Liste oder der gesamten Wählerschaft ist.
Demnach stärkt diese Variante die Partei und schwächt den Landeshauptmann

Variante 2

Deshalb will man in der SVP jetzt eine zweite Variante in Spiel bringen. Eine nochmals abgeschwächte Form der Direktwahl. Jede Liste muss einen Landeshauptmann-Kandidaten aufstellen. Doch dieser bekommt nicht automatisch alle Listenstimmen, sondern er bekommt Vorzugsstimmen wie jeder andere Kandidat.
Landeshauptmann wird dann nicht – wie in der ersten Variante vorgeschlagen – der Kandidat oder die Kandidatin mit den meisten Vorzugsstimmen. Sondern man schränkt das Ganze nochmals ein. Als direkt gewählt gilt der Landeshauptmannkandidat jener Partei, die bei der Wahl die meisten Stimmen bekommen hat.

Arno Kompatscher, SVP-Obmann Philipp Achammer: Partei stärken, Landeshauptmann schwächen?

Damit will man verhindern, dass – wie es in einigen Südtiroler Gemeinden passiert ist – ein Landeshauptmann gewählt wird, dessen Partei im Landtag in der Minderheit ist. Natürlich ist das auch eine Waffe gegen Persönlichkeiten, die auf Oppositionsseite überraschend viele Stimmen holen könnten.
Beide Vorschläge sollen jetzt innerhalb der SVP diskutiert werden. „Wir werden sehen, welcher Vorschlag mehrheitsfähig ist“, meint Sepp Noggler.

Der Ladinerparagraph

Doch nicht nur in Sachen Direktwahl tut sich etwas. Im SVP-Entwurf ist auch eine entscheidende Neuerung für die Ladiner enthalten. Mit dem neuen Wahlgesetz soll das Vollmandant eingeführt werden. Nur wer mindestens 2,7 Prozent der Stimmen bekommt, schafft den Sprung in den Landtag. Diese Hürde ist für die Ladiner kaum überwindbar.
Im SVP-Vorschlag ist deshalb eine Art Fallschirm enthalten. Wird kein Ladiner in den Landtag gewählt, zieht auf jeden Fall der ladinische Kandidat mit den meisten Vorzugstimmen ein. Auch dann wenn seine Liste kein Vollmandat schafft.
Die SVP will den Vorschlag in den nächsten Wochen in der Fraktion ausdiskutieren. Noch heuer soll der Gesetzesvorschlag dann in die Gesetzausschüsse des Landtages gehen. Im Jänner oder Februar 2017 könnte das neue Wahlrecht in den Landtag kommen.
Spätestens dann wird sich zweigen wie ernst es die SVP mit der Direktwahl wirklich meint.

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Mensch Ärgerdi… Mi., 21.09.2016 - 10:17

Man kann nur sehr schwer und mit unzähligen wenn und aber die USA mit Europa und gar mit Südtirol vergleichen. Das fängt schon mal da an, dass es zwischen President und Kammern kein Vertrauensverhältnis gibt, worauf hingegen unser System basiert. Politisch haben wir ein immer größer werdendes und wechselndes Angebot an Parteien, während in den USA seit jeher zwei, dazu noch recht ähnliche, Parteien den Ton angeben. Man könnte hierzu noch ewig weiter schreiben.
Rein theoretisch könnte ich dir recht geben, wenn du meinst ein "unabhängig vom Landtag gewählten Regierungschef nicht schlecht sein muss", aber ich kann mir gut vorstellen, dass das dann in einer alle-zusammen-gegen-die-SVP-Kampagne ausartet, die nach der Wahl keinem wirklich was bringt. Und wenn der LH durch seine Persönlichkeit während und durch die Wahl stärker dasteht, hat er danach umso mehr Menschen die an seinen Stuhl sägen.
Also ich bin da eher skeptisch...

Mi., 21.09.2016 - 10:17 Permalink
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Albert Hofer Mi., 21.09.2016 - 11:52

Für die genannte Situation (zwei entgegengesetzte politische Lager dominieren Exektuive und Legislative) gibt es auch aus Europa Beispiele, mit fraglichem Erfolg. In Frankreich war es lange Jahre so, dass der Staatspräsident für 7 Jahre gewählt wurde, das Parlament hingegen für 5 Jahre. Dadurch entstanden mehrfach Situationen ("cohabitation" genannt), in denen ein sozialistischer Präsident und eine konservative Parlamentsmehrheit (oder umgekehrt) miteinander ein Auskommen finden mussten. Man fand das irgendwann derart dysfunktional, dass mit der Verfassungsreform im Jahr 2000 die Amtszeit des Präsidenten auf 5 Jahre verkürzt wurde und Präsidentschafts- und Parlamentswahlen jetzt mit nur einem Monat Abstand im selben Jahr stattfinden. Gerade durch diesen - nicht zu langen - zeitlichen Abstand entsteht eine gewisse Wahldynamik: Nachdem die französische Wählerschaft einen neuen Präsidenten gewählt hat, will sie ihm typischerweise auch eine stabile Parlmentsmehrheit gewähren.

Ansonsten gibt es eine strikte Trennung zwischen Landeshauptmann- und Landtagswahl doch auch im Trentino, oder täusche ich mich? Weder Dellai noch Rossi gehören/gehörten der Mehrheitspartei im Landtag an, allerdings glücklicherweise (?) dann dem Mehrheitsbündnis. Wäre interessant zu sehen, wie dort eine "cohabitation" funktionieren würde.

Mi., 21.09.2016 - 11:52 Permalink
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gorgias Mi., 21.09.2016 - 13:02

Wer das Listenzeichen ankreuzt gibt automatisch diesem Spitzenkandidaten auch eine Vorzugsstimme.

Das ist weder formal noch de facto korrekt. Weil der Bürgermeisterkandidat nicht als Erstplazierter in den Gemeinderat einzieht, sondern als Zweitplatzierter.

Mi., 21.09.2016 - 13:02 Permalink
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gorgias Mi., 21.09.2016 - 15:04

Antwort auf von Christoph Fran…

Nur gorgias bitte.
Bei Gemeinden mit über 15000 Einwohnern zieht in Südtirol der Kandidat auf der Liste mit den meisten Vorzugsstimmen als erstes ein. Dann der Bürgermeisterkandidat als zweites, falls er nicht das Amt des Bürgermeisters einnimmt. Und dann wird der Rest der Sitze in Reihung nach Vorzugsstimmen belegt bis die Sitze, die die Liste erhalten hat alle besetzt sind.

Somit kann man nicht sagen dass jede Stimme die eine Liste erhält als Vorzugsstimme für den Bürgermeisterkandidaten angesehen werden kann. Weil er dann immer als erstes Einziehen müsste, weil er dann immer am meisten Vorzugsstimmen haben müsste, mit Ausnahme es würde der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass ein anderer Kandidat von all jenen die seine Liste gewählt haben diesen auch eine Vorzugsstimme gegeben hätten.

Mi., 21.09.2016 - 15:04 Permalink
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Christoph Fran… Mi., 21.09.2016 - 20:14

Antwort auf von gorgias

Herr Gorgias,
nicht weil ich recht haben will. Sie irren aber. In diesen Gemeinden ist ein Bürgermeisterkandidat gleichzeitig auch Listenkandidat. Und er kann am Ende wählen ob der die Vorzugsstimmen als Bürgermeister nehmen will oder jene als Listenkandidat. Der erste Sitz der vergeben wird ist jener des Bürgermeisters. Hat ein Gemeinderat 30 Mitglieder so wird zuerst der Bürgermeistersitz vergeben und danach werden die anderen 29 Sitze aufgeteilt. Da kann dann einer Stimmen haben wie viele er will, er kommt immer nach dem Bürgermeister.

Mi., 21.09.2016 - 20:14 Permalink
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gorgias Di., 27.09.2016 - 11:14

Antwort auf von Christoph Fran…

Sie haben gesagt dass eine Stimme für das Listenzeichen eine Vorzugsstimme für den Bürgermeister gleich kommt. Das ist nicht der Fall in Gemeinden über 15000 Einwohner für jene Listen oder Koalitionen von Listen, die nicht den Bürgermeister stellen. Bei diesen hat der Bürgermeisterkandidat nur Anrecht auf den ersten Listensitz im Gemeinderat falls der Liste mindestens zwei Sitze zustehen. Das würde einer Zweitplazierung nach Vorzugsstimmen gleichkommen und nicht einer Erstplazierung. DPReg. vom 1.Februar 2005 Nr. 1/L, Art. 89 Abs. 1 Buchst. h

Di., 27.09.2016 - 11:14 Permalink