Culture | Weltkindertag

Wie erziehe ich meine Kinder?

Ein pädagogisches Fundstück aus Spanien wurde vor kurzem ins Italienische übersetzt. Ein menschenfreundlicher Salto-Buch-Beitrag zum heutigen internationalen Kindertag.
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Foto: Risma

Unterstütze. Kopiere das Schöne. Arbeite. Studiere. Kultiviere. Suche keine Ausflüchte. Engagiere dich. Liebe. Helfe. Die Aufzählung an diesen besonderen "Wirksamkeiten" wirft der spanische Schriftsteller José Antonio Emmanuel unverblümt und in sehr direkter Form Anfang der 1930er Jahre in die Runde. Seine lancierte Broschüre will vor allem eine Frage beantworten: Wie erziehe ich meine Kinder?
 

Auch viele Künstlerinnen und Künstler ließen sich von den Texten des Autors immer wieder inspirieren und kreierten anspruchsvolle Buchseiten.


Dem „Diktat der Vernunft und der Wissenschaft“ folgend widmet der Pädagoge seine Ausführungen den Kindern des spanischen Proletariats, um die Erziehung in eine innovative Richtung zu lenken. Seine Publikation La anarquía explicada a los niños (Anarchie für Kinder erklärt) erlebte im Lauf der Geschichte mehrere Auflagen (in Spanien) und wenige Übersetzungen (u.a. in Italien). Auch viele Künstlerinnen und Künstler ließen sich von den Texten des Autors immer wieder inspirieren und kreierten anspruchsvolle Buchseiten.
Aus einem gegenwärtigen Blickwinkel betrachtet muss das in der Zwischenkriegszeit entstandene Büchlein ein regelrechter Hoffnungsschimmer gewesen sein, kurz nach den Gräueln des 1. Weltkriegs, um über eine herbeigesehnte menschenfreundliche Erziehung die Kinder (und die Erwachsenenwelt) eines Besseren zu bekehren. Wie sehr die verschiedenen Faschismen in Europa den gutgemeinten Lehren des Autors entgegengearbeitet haben, konnte José Ruíz Rodríguez, wie der Autor mit richtigem Namen hieß, beim Verfassen seiner erzieherischen Anleitung noch nicht wissen. Heute ist man schlauer. Oder doch nicht?
 

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"Non sapremo mai abbastanza. Chi aggiunge sapere, aggiunge Anarchia." / Quelle: Fábrica de Estampas


José Antonio Emmanuel (oder richtig José Ruíz Rodríguez) wurde im andalusischen Málaga geboren, war Lehrer und anarchistischer Philanthrop, und ganz nebenbei der Cousin ersten Grades des Künstlers Pablo Picasso. Der menschenfreundliche José schrieb unter den verschiedensten Pseudonymen und arbeitete in Barcelona der 1930er Jahre mit dem Internationalen Schulkomitee zusammen, um – wie er schreibt – die „rationalistische Schule“ zu fördern. 
 

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"Non rassegnarti a essere servo della macchina, né schiavo dei muscoli." / Quelle: Fábrica de Estampas


L' anarchia spiegata ai bambini nennt sich die von Daniela Salomoni übersetzte Ausgabe von La anarquía explicada a los niños und erschien 2022 in italienischer Sprache im Verlag Risma. Das schön gestaltetete Buch ist ein internationaler Appell an Eltern und Lehrer, für daheim als auch für die Schule – es will eine Anleitung geben, welche „frei von Fanatismus“ danach strebt, „Kinder von den schlechten Einflüssen, denen sie ausgesetzt sind, zu befreien.“ 
 

Sei frei und sei rein: herrsche über niemanden und lass dich nicht beherrschen.


Entschlossen sind José Antonio Emmanuels Aussagen zu Klerikalismus, Militarismus und natürlich Kapitalismus. Ein Beispiel. „Der Kapitalismus ist eine brutal und menschenfeindlich organisierte Gesellschaft,“ schreibt er, „von brutalem, menschenfeindlichem Egoismus getrieben, der die absolute Macht über die Produktion und absolute Macht über die produzierende und arbeitende Menschheit ausübt und die gemeinsame Anstrengung ausnutzt, um Reichtum und Privilegien zu schaffen.“ Dem gegenüber will er, der Menschenfreund, den Kindern die gute Anarchie näherbringen. Diese wolle nämlich „den Ursprung all dieser Ungleichheiten erforschen, das Warum all dieser Ungerechtigkeiten“ und ein Leben in Schönheit, Frieden und Wohlbefinden herbeiführen. Klingt nicht schlecht. Dazu solle vor allem „Gegenseitige Hilfe als universelle Pflicht“ gelten. Außerdem solle sich die Menschheit nicht damit abfinden „ein Diener der Maschine zu sein, noch ein Sklave der Muskeln.“ Des weiteren gehe es auch darum die Schwächsten, die Alten, die Beeinträchtigten und die Kranken zu schützen, sowie jene Gefangenen, „die ihre Freiheit verloren haben, weil sie gekämpft und das Gute verteidigt haben.“
Und wer wird heute verteidigt? Banken, Steuerbetrüger*innen, Megakonzerne, pädophile Pfaffen oder die Waffen-Lobby. Pfui.
 

Kunst- und Kinderbuch für Erwachsene / Quelle: Libros del Zorro Rojo


„Strebe danach frei zu sein, und lass deinen Wunsch nach Freiheit alle entzünden. Versklavt niemanden“, heißt es im Buch und mit Betonung dann: „Seid frei und macht andere so frei, wie ihr es seid.“ Daneben sind José Antonio Emmanuels naturnahen Hinweise im Kapitel Kultivieren aus einem heutigen Blickwinkel betrachtet zeitgemäßer als so manche Nachhaltigkeitsfloskel der Gegenwart.
 

Erforsche dich selbst, bringe Licht in die Geheimnisse, die dich umgeben. Lerne. Bilde dich weiter.


Auch wenn die erzieherischen Phrasen in L' anarchia spiegata ai bambini durchaus etwas Altbackenes haben, das Buch wurde immerhin 1931 (also vor fast einem Jahrhundert) verfasst, sind José Antonio Emmanuels Ausführungen ein wunderbar menschlicher und vor allem zeitloser Ratgeber. Nicht nur für libertäre Gemüter. Und vielleicht, liebe Kinder, gibt es irgendwann auch mal eine (kommentierte) Übersetzung für den deutschsprachigen Kulturraum.