Gitsch oder Bua?
Auf die Plätze, fertig, los! Der Weihnachtskaufrausch hat begonnen. Noch interessanter als sich davon selbst einnehmen zu lassen, ist es, andere bei der Geschenkeauswahl zu beobachten: Trotz der unzähligen Möglichkeiten – vor allem bei Kindern – folgt unser Schenkverhalten häufig noch immer konservativen Mustern.
„Gitsch oder Bua?“, fragt die Verkäuferin. „Boades, mei Nichte und mei Neffe sein Zwilling, boade elf Johr olt“, gibt die Dame zur Antwort und folgt der bemühten Servicekraft schnellen Schrittes durch den Buchhandel in der Bozner Altstadt. „I woaß leidr net, wos sie gern lesn“, gibt die Frau zu und hofft auf einen guten Rat der Expertin. Jetzt bin ich neugierig, Lauscher auf!
Für ihre Nichte wird der Kundin eine Erzählsammlung von Mädchen über Rassismus vorgeschlagen. Auf die Frage hin, was für ihren gleichaltrigen Neffen in Frage käme, wird ihr ein Action- und ein Science-Fiction-Buch dargeboten. Spannend. Das Lied „Nicht mein Zirkus, nicht meine Affen“ von „Alte Bekannte“ kommt mir in den Sinn. Aber ich beiße mir auf die Zunge und mische mich nicht besserwisserisch ein. "Die werden ihren Kram schon ohne mich schaffen. Nicht meine Baustelle, nicht mein Haus, darum halt ich mich da raus", singt die Stimme in meinem Kopf weiter. „Sonst gäbe es auch dieses Abenteuerbuch, eine Art Tagebuch aus dem Überleben im Dschungel. Das wäre für Bub und Mädchen gleichermaßen interessant“, betont die Verkäuferin. „Schau dich an, wer hätte gedacht, dass es Bücher gibt, die beide lesen können?“, denke ich und kann mir ein sarkastisches Grinsen nicht verkneifen.
Einer höheren Macht sei Dank, kam als Schlussinput noch das Unisex-Buch vom geschulten Fachpersonal und die Dame entscheidet sich für Letzteres. Ich will keiner der beiden ihre Herangehensweise übelnehmen. Beim Geschenkekauf will jede und jeder bloß alles richtig machen. Aber die Frage ist: Was ist richtig? Ist es legitim Kinder mit einer geschlechtstypischen Geschenkauswahl nach den existierenden, alten Rollenmustern zu erziehen? Täte frau nicht gut daran, Bücher zu kaufen, die den Horizont ihrer jüngsten Verwandten erweitern, anstatt deren Leben verstärkt in die von der Gesellschaft vorgelebten Bahnen zu lenken?
Das erfolgreiche Crowdfunding-Projekt "Good Night Stories for Rebel Girls" erfindet beispielsweise das Konzept des Märchenbuchs neu und zeigt Geschichten von 100 großartigen Frauen auf, von Elisabeth I. über Frida Kahlo bis Serena Williams. Es handelt sich dabei um Lebensgeschichten von erfüllten und erfolgreichen Frauen, für deren Glück das Erscheinen vom Prinzen mit der goldenen Rüstung nicht ausschlaggebend war. Kurzum, eine Quelle der Inspiration für heranwachsende junge Mädchen.
Ich konsultiere den weltweit größten Online-Buchhandel, was das perfekte Kinderbuch für Mädchen oder Buben ist. Rankingplatz 1 und 2 der Suchergebnisse bei „Kinderbuch für Mädchen“ sind von Einhorn-Büchern belegt. Bei derselben Suche für „Jungsbücher“ stoße ich auf Abenteuergeschichten. Das Internet hat also auch eine präzise Vorstellung davon, was Mädchen und was Buben lesen wollen oder sollen. Oder spiegelt es schlicht und ergreifend die Kaufnachfrage wider? Die noch viel wichtigere Frage ist: Sind diese Präferenzen durch unsere Vorauswahl anerzogen und inwieweit konditionieren wir die Zukunft von Kindern dadurch? Eines steht fest: Geschlechterspezifische Vorlieben lassen sich im Jugendalter nicht leugnen. Doch würde man Mädchen und Buben im Kleinkindalter eine Puppe und ein Auto vorsetzen, würden sie ohne unseren Einfluss zu dem geschlechtstypischen Spielzeug greifen? Oder verlangen Mädchen im Laufe ihrer Entwicklung vermehrt nach Puppen und Jungs mehr nach Spielzeugautos, weil sie diese bereits kennen und weil sie ihnen von Beginn an zugänglich gemacht und nahegelegt wurde?
Wie frei entwickeln Kinder Vorlieben und wie viel erziehen wir ihnen bewusst und unbewusst an? Ist es ein Zufall, dass im Jahr 2020 acht von zehn ErzieherInnen in Deutschland Frauen sind, während nur drei von zehn BauplanerInnen weiblich sind? In Südtirols Grundschulen ist die Zahl noch geringer. Der Anteil der männlichen Lehrpersonen betrug 2018 gerade einmal 12 Prozent. Hat das etwas damit zu tun, dass Mädchen mehr mit der Spielzeugküche als mit Bauklötzen spielen? Und wenn ja, was wäre, wenn Mädchen mehr Spielfahrzeuge als Puppen im Kinderzimmer hätten? Hätte das Auswirkungen auf ihre spätere Entwicklung? Eine wissenschaftliche Kausalität hierbei festzustellen ist aufgrund fehlender Langzeitstudien schwierig, doch die Frage ist berechtigt.
Was wäre, wenn Mädchen mehr Spielfahrzeuge als Puppen im Kinderzimmer hätten?
Das Gender-Thema bei Kinderspielzeug ist ein Dauerbrenner und wird zu Weihnachten so viel diskutiert wie sonst nie. Melanie Plattner, Besitzerin des Meraner Spielwarenladens Pinocchio ist überzeugt, dass Geschenke, die wir Kindern machen, sie in ihrem Werdegang, beim Lernen sowie in ihrem Rollenverständnis konditionieren: „Ein Spielzeug hinterlässt Spuren im Gedächtnis. Wir alle können uns auch als Erwachsene noch daran zurückerinnern, womit wir früher gerne gespielt haben“, sagt sie. „Schenken ist auch kulturell geprägt", weiß sie aus jahrelanger Erfahrung „hierzulande dominiert noch die alte Schule." Es wird spezifisch nach Geschenken für Mädchen oder Jungen gesucht, während beispielsweise deutsche BesucherInnen ihres Ladens eher zu neutralem Unisex-Spielzeug greifen. "Die hiesige Kundschaft differenziert noch sehr viel. Da heißt es dann Puppen oder Autos?“, erzählt sie. Klassische Farbenklischees spielen in Südtirol eine eher unbedeutende Rolle, im restlichen Italien wird dagegen noch immer viel nach hellblau und rosa verlangt. Auf die Frage, ob man einem Buben eine Puppe kaufen solle, antwortet Melanie Plattner: „Wenn ein Bub eine Puppe haben möchte, sollte man sie ihm kaufen. Deswegen wird in der weiteren Entwicklung nichts schieflaufen. Jedes Kind soll das bekommen, was es glücklich macht.“ Die Spielwarenexpertin vertritt die Meinung, dass Spielzeug in erster Linie wertig sein soll. Wer auf die Herkunft und Materialien achtet, macht bereits vieles richtig. Wichtig ist Produkte aus Ländern zu kaufen, die Kontrollen bei der Spielzeugherstellung vorsehen und naturbelassene, biologische Materialien verwenden. Und wie immer gilt: Weniger ist mehr! Gutes Spielzeug ist besser als massenweise Spielzeug.
Wo wenig Spielzeug rumliegt, bleibt mehr Platz für Phantasie.
Studien bestätigen: Weniger Spielzeug ist nicht nur rohstoffsparend, sondern auch für die Entwicklung des Kindes besser. Spielzeug ist wichtig, aber zu viel Spielzeug blockiert die Konzentration. Es bremst das kreative, länger anhaltende Spiel, weil das Kind sich aufgrund der vielen Sachen nichts selbst ausdenken muss. So beschäftigt es sich mit jeder Spielsache nur für kurze Zeit, legt es dann beiseite und fängt an mit etwas Anderem zu spielen. In anderen Worten: Wo wenig Spielzeug rumliegt, bleibt mehr Platz für Phantasie. Das erinnert mich an ein Interview mit dem deutschen Musiker Mark Forster, der einst erzählte, dass er durch Langeweile in der Kindheit die Basis für seine Kreativität geschaffen habe. Macht Sinn.
Also, weniger ist mehr, nachhaltig und pädagogisch wertvoll. Na dann, schönes Schenken, aber nicht zu viel!
Find ich gut - erstens ist
Find ich gut - erstens ist grün eine tolle Farbe, und zweitens hatte ich ohnehin vor, meiner 2-jaehrigen Tochter zu Weihnachten einen Bagger zu schenken. Mit Betonung auf "einen". Oder auf "Bagger". ;-)
In reply to Find ich gut - erstens ist by Ka Pic
... und ich dachte, der
... und ich dachte, der Artikel wolle vermitteln, der Vorliebe und Neigung des Kindes gerecht zu werden, und das Kind gemäß seinen eigenen Vorlieben zu beschenken.
Also das Kind darf bekommen, was es „liebt“ - und nicht, was die Mutter gemäß ihrer eigenen Ansicht vorgibt... auch der absichtliche von der MUTTER gewünschte Bagger für das Mädchen ist in meinen Augen Manipulation...
wir von "väter aktiv" haben
wir von "väter aktiv" haben gerade eine Workshopreihe mit einigen frühpädagogischen Fachkräften Merans u.a. auch zu dem Thema Spielzeug und Geschlecht gemacht. Die Rückmeldungen waren, daß die (kleineren) Kinder in den Einrichtungen ihre Spielzeug- bzw. die Materialwahl großteils geschlechtsunabhängig treffen. Wenn "Genderstereotypen" auftauchen, wird das mit den Kindern thematisiert. Unsicher bzw. traditioneller sind da eher manche Eltern.