Tschanont, Lawod und Pummaduerz
Graubünden ist der „östliche Zwilling“ Südtirols: dieselben Sprachgruppen (deutsch, rätoromanisch und italienisch; wenn auch in anderem Stärkenverhältnis), die in etwa gleiche flächenmäßige Ausdehnung und eine imposante Gebirgslandschaft, wo im Schutz von Armut und Kargheit romanische Kirchen, schöne Dorfbilder und heidnisch anmutende Bräuche wie das Scheibenschlagen bis heute bewahrt wurden. Innerhalb dieser zentralalpinen Großregion kann man wiederum zwei Nachbars-Talschaften, das Engadin und den Vinschgau, herausgreifen. Beide weisen enge kirchlich-historische und vor allem sprachlich-ethnologische Bezüge auf, auch wenn heute die EU-Binnengrenze beide Talschaften voneinander trennt. Das Bistum Chur, das aus den Trümmern der römischen Provinz Raetia I herauswuchs, umfasste über 1000 Jahre lang auch den Vinschgau. Die Passer, und damit Meran, bildete bis 1806 dessen östliche Grenze. Als Fürst hatte der Churer Bischof die Gerichtsgewalt über seine Vinschger „Gotteshausleute“ (Churer Untertanen) inne, die Verwaltung der Einkünfte oblag dem Schlosshauptmann auf der Fürstenburg in Burgeis. Mit der Reformation, die sich im Engadin und im Münstertal (bis auf die zwei Ausnahmen Tarasp und Müstair) durchsetzte, liefen dem Churer Fürstbischof die Schäflein davon und oft genug musste er sich in Bedrängnis in das katholisch verbliebene Tirol, ja bis nach Meran hinunter, retten.
Es war auch die Reformation, welche Vintschger und Engadeiner zunehmend entzweite, mehr als der Blutrausch der Engadiner Freiheitskriege mit der Calvenschlacht im Mai 1499. Gegenreformation und Sprachpolitik Anhand von Feuerstättenverzeichnissen der Jahre 1427 und 1437 schätzt man den romanischen Bevölkerungsanteil von Matsch und Glurns in dieser Zeit auf über 50 %. Bis ins 17. Jahrhundert behauptete sich das Rumantsch als Alltagssprache eines Teils der Obervinschger Bauernbevölkerung. In dieser Zeit führten verschiedene politisch-religiöse Entwicklungen zum Niedergang des Romanischen im Obervinschgau: zum einen erlosch 1652 die Gerichtsgewalt des Churer Bischofs über die Gotteshausleute, zum anderen traten die beiden Klöster Marienberg und Münster aus dem Herrschaftsbereich des Engadins aus. Wenige Jahrzehnte zuvor hatte der Marienberger Reformabt Matthias Lang zu einer restriktiven „Sprachpolitik“ gegriffen. Damit wurde versucht, der „ketzerischen“ Lehre der Reformation Herr zu werden: deren Vehikel, die romanische Sprache, sollte zurückgedrängt werden. Neben dem Verbot von Mischehen und der Anstellung romanischsprachiger Dienstboten, wurde vor allem untersagt auf Rumantsch zu predigen. Lehnwörter aus dem Rumantsch im Vinschger Spezialwortschatz Die lange währende gemeinsame Sprache der Vinschger und Engadiner Bauern – parallel zum Deutsch des Adels und dem Latein der Geistlichkeit – lässt sich am Spezialwortschatz der Vinschger Mundart und an tausenden Vinschger Orts- und Flurnamen ablesen. Beispiele aus dem Ackerbau und der Viehzucht: die Filjaun ist ein einfacher Pflug mit einem Horn, der sich für die Bearbeitung steiler Äcker besonders gut eignet, er ist im Engadin als fliauna bekannt. Ein Acker am Ostufer des Haider Sees heißt Filjaunes. Der Ackerrand, wo das Pfluggespann gewendet wurde, ist im Obervinschgau die Radont (rumantsch raduond „rund“). Mit Karpenn wird im Vinschgau das Unterdach im Stadel als Lagerraum für Stroh bezeichnet, die engadinische Entsprechung dazu ist carpaint „Fuhrwerk, Wagen“. Die Mëin ist auf Vinschgerisch das Gespann der Zugtiere (mittellat. minare „treiben“, rum. manadüra, zu lat. mandium „Rind“). Nach der Weide gramailn die Vinschger Kühe, im Vallader, dem Idiom des Unterengadins, heißt dies rumagliar (lat. rumigare „wiederkäuen“). Auf den Almanger, der Tschanånt (zu alpenromanisch *tšenanta „Abend-, Nachtlager“), wird die Herde abends zusammengetrieben (Vallader: tschainanta) und zum Schutz vor Wölfen in den Gångl (zu vorrömisch *kankolo- „Umzäuntes“), dem Viehpferch, getrieben. Bewässerung Aus der romanisch geprägten Bewässerungsterminologie kennt man den Waal (alpenrom. *aquale „Bewässerungsgraben“; rum. aual „Bach“), die Tschött „Bewässerungsteich“ (alpenrom. *aqua kontšetta „eingefasstes Wasser“; rum. cuntschet „Damm, Wehr“), die Ilz „kleiner Wiesenwaal“ (alpenrom. *elitse; rum. aischel „kleiner Wassergraben“), die Pinggér „Verbindungswaal zwischen zwei Tragwaalen“ (alpenrom. *punctuaira „Anzapfstelle des Waals“, rum. Pünchera, Name) und die Lawod „Mühlwiere“ (alpenrom. *levada „weggehobenes Wasser“, rum. Lavada, Name). Mit levadas werden übrigens auf den Azoren die Waale bezeichnet. Pflanzennamen Von den Pflanzennamen seien die Jochs-Ifer „Moschus-Schafgarbe“ (rum. iva), die Malånzn „Weißer Germer“ (rum. malom), die Pummaduerzn „Wolliger Schneeball“ (rum. pomaduor), das Scharniggele „Leberblümchen“ (lat. saniculum „Heilkraut“), die Lutzn „Ackerquecke“ (lat. licium „Bändchen“; lange unterirdische Ausläufer), die Masigga „Isländisch Moos“ (alpenrom. *muscu siggu „dürres Moos“), die Petschlan „Zirmzapfen“ (rum. betschla) und die Zaufn „Felsen-Johannisbeere“ (rum. uzua
Ich finde den Beitrag von
Ich finde den Beitrag von Johanne Ortner äußerst interessant. Als gebürtiger Obervinschger und lange Jahre Mitglied im Münstertal beim dortigen Philatelisten-Verein, sind mir noch viele Begriffe geläufig. Nach meiner Erfahrung werden aber sehr viele Wörter im Oberland anders ausgesprochen, als sie hier im Beitrag angeführt sind. Für Radont sagen wir im Oberland "Ounawont" zum Beispiel.
Ich darf auch auf ein schönes Werk von + Franz Angerer, Grundschullehrer in St. Valentin hinweisen, das zu diesem Thema im Provinz Verlag im Jahre 2003 erschienen ist: "Rätoromanische Namensgebung in St.Valentin auf der Haide".
Dort ist auch die Flurbezeichnung "Filiaunes" angeführt und mit föglia, staudenreicher Wald, aunes , ein wasserführendes Tälchen erklärt.
Nicht zu vergessen ist im Oberland auch der Einfluss und die sprachliche Vermischung mit dem oberen Inntal mit dem Gerichtsbezirk Nauders, dessen Grenze auf der Malser Heide mit dem Hohen Kreuz gekennzeichnet ist.
In reply to Ich finde den Beitrag von by Sebastian Felderer
Ounewont ist eher die
Ounewont ist eher die Bezeichnung für ein steile, fast oder gänzlich unzugängliche, ja absturzgefährliche Fläche (oder eben "Wond").
In reply to Ounewont ist eher die by Dietmar Holzner
Ohnewond was bei uns im
Ohnewond war/ist bei uns im Passeier, wo ich her komme, der Wiesenstreifen am unter Ende des steilen Ackers.
In reply to Ounewont ist eher die by Dietmar Holzner
Ich weiß nicht, warum Sie mir
Ich weiß nicht, warum Sie mir solche Begriffe streitig machen, Herr Holzner, mit denen ich aufgewachsen bin? Es ist genau so, wie es nun Johannes Ortner erklärt hat. Es ist der Ackerrand, den es brauchte, um nicht das benachbarte Feld zu betreten, dies bei allen Ackerarbeiten. Er wurde beweidet oder gemäht.
In reply to Ich weiß nicht, warum Sie mir by Sebastian Felderer
Hauptsächlich wurden sie von
Hauptsächlich wurden sie von den Frauen gegratscht. Daher auch das sprichwörtliche Rodonnen ohgratschn, welches heute hauptsächlich in dieser Wortfolge verwendet wird.
In reply to Ich weiß nicht, warum Sie mir by Sebastian Felderer
Das sollte kein streitig
Das sollte kein streitig machen sein. Ich dachte nur nicht, dass dieser so spezielle Begriff auch bzw. offensichtlich vorwiegend eine andere Bedeutung als die von mir beschriebene (und erfahrene) haben könnte. Mea culpa.
In der Tat, im Vinschger
In der Tat, im Vinschger Oberland sind auch Ommat (Anmahd) oder Ounawont gebräuchlich. Zumindest in den Flurnamen kommen auch die Radonten vor: Pfoffaradont bei St. Jakob/Söles in Glurns. Die Anewand ist der Ackerrand, wo der Pflug gewendet wurde; er ist mit Gras bewachsen und diente gleichzeitig als Weide. Im Eisacktal befindet sich ein "Stuef" (Stufe) zwischen den Ackerparzellen. Althochdeutsch anawenti; ana = an, bei, zu sowie wenti = wenden.