Warum ich nicht gewählt habe
Wir sind ungefähr 20 Millionen. Als Land wären wir größer als Rumänien und würden rund 32 Abgeordnete ins Europäische Parlament schicken. Aber wir sind kein Land, und die meisten von uns haben Ende Mai keine Stimme abgegeben.
„Wir“, das sind all jene EU-BürgerInnen, die in einem anderen europäischen Land leben und arbeiten. 17 Millionen davon haben im Ausland ihren festen Wohnsitz. Dazu kommen ungefähr zwei Millionen Menschen, die zur Arbeit pendeln und all jene, die in der Heimat registriert sind, aber viel Zeit im Ausland verbringen. Weil sie dort Saisonsjobs haben oder studieren. Diese letzten Gruppe, zu der auch ich gehöre, scheint in den offiziellen Statistiken gar nicht auf. Warum wählen wir nicht?
Warum gehen ausgerechnet die mobilsten Europäer nicht zur Wahl?
Der erste Grund ist die Bürokratie: Ich konnte bei dieser Wahl keine Stimme abgeben. Als ich Mitte März auf der Gemeinde nachfragte, wann ich mich für die Briefwahl registrieren sollte, meinte der Beamte, ich wäre zu spät dran – mehr als zwei Monate vor der Wahl. Zur Wahl nach Bozen zu kommen, war logistisch unmöglich. Ich hatte meine Chance vertan.
Für offiziell im Ausland registrierte ItalienerInnen sind die Fristen weniger absurd. Trotzdem haben bei der EU-Wahl nur 7,6 Prozent der AuslandsitalienerInnen vom Recht Gebrauch gemacht, per Briefwahl oder am Konsulat für eine italienische Partei zu stimmen.
Warum sollten sie sich auch repräsentiert fühlen von PolitikerInnen, die vor allem inner-italienische Themen zum Zentrum ihres Wahlkampfs machen? Die meisten Parteien hinken der Lebensrealität jener hinterher, für die die EU nichts Fremdes ist, sondern Grundlage für ihr Leben im Ausland. Von politischen Perspektiven für den ganzen Kontinent war selten die Rede. Der einzige Versuch, die Auslands-Europäer zu vertreten, kam von der VOLT-Partei. Doch die hat ein verbreitetes Vorurteil bespielt: Das mobile Europa bestehe aus der „Generation Erasmus“ – der jungen Elite.
Mehr als Generation Erasmus
Die Wirklichkeit ist komplexer. In Italien leben beispielsweise mehr als eine Million RumänInnen. Die größte Gruppe von EU-AusländerInnen in einem einzelnen anderen EU Land. Unter den ausgewanderten RumänInnen sind überdurchschnittlich viele gering qualifizierte Menschen, aber auch viele Uniabsolventen.
Prinzipiell und im EU-Schnitt stimmt der Gedanke, dass ein Uniabschluss besonders mobil macht. Aber zugleich trifft zu, dass Menschen, die „nur“ einen Pflichtschulabschluss haben, im Schnitt mobiler sind als ihre Landsleute mit durchschnittlicher Bildung.
Insgesamt wandern RumänInnen am häufigsten aus: Jede fünfte Person im arbeitsfähigen Alter lebt im EU-Ausland. In Italien weniger als jeder dreißigste und nur jeder hundertste Deutsche. (Quelle: https://www.balcanicaucaso.org/Tutte-le-notizie/Gli-europei-che-restano-esclusi-dalle-europee-192286)
Die europäischsten EuropäerInnen kommen aus allen Ländern und aus allen Schichten, wahrscheinlich auch aus allen politischen Lagern. Gemeinsam ist ihnen: Sie sind seltener arbeitslos als ihre zuhause gebliebenen Landsleute. 2014 gaben insgesamt nur 8% von ihnen ihre Stimme ab. Ausgerechnet sie werden wohl auch diesmal im Parlament nicht wirklich vertreten sein.
Vor kurzen wurde hier auf
Vor kurzen wurde hier auf Salto über dieses Thema diskutiert:
https://www.salto.bz/de/article/26052019/calciatori-e-universitari-non-…
Im Artikel wird nicht in Betracht genommen dass sehr viele Auslanditaliener von der Wahl für die Vertreter der jeweiligen Länder wo sie ansässig sind, gebraucht gemacht haben.
Es gab auch viele transnationale Kandidaten, zum Beispiel:
Luciana Castellina Gründerin vom Manifesto hat in Griechenland mit Syriza kandidiert;
Andrea Venzon von der Bewegung Volt hat in Grossbritannien kandidiert;
Yanis Varoufakis der ex-griechische Wirtschafts Minister hat in Deutschland für Diem25 kandidiert;
Sandro Gozi vom PD hat in Frankreich für En Marche kandidiert, usw........
Besonders mehrere deutschsprachige Südtiroler haben für die Wahl der Vertreter Österreichs oder Deutschland optiert.