Die Sprache des Nachbarn
Was haben die ladinischen SchülerInnen ihren deutsch- und italienischsprachigen Kollegen voraus? Die problemlose Verwendung aller drei Landessprachen Deutsch, Italienisch und Ladinisch, und als I-Tüpferl das hervorragende Abschneiden bei der letzten PISA-Studie. Besonders in Mathematik und in der Lesekompetenz sind die ladinischen Oberschüler top, sagt die Studie. Roland Verra, ladinischer Schulamtsleiter sagt hingegen, Vorsicht! Punktuelle Studien wie diese seien nur bedingt aussagekräftig: „Von unserer Seite her können wir aber schon sagen, dass die ladinischen Schüler eine gute funktionale Mehrsprachenkompetenz aufweisen, das heißt, im alltäglichen Gebrauch der Sprache sind sie fit.“
Also muss das ladinische Schulmodell recht gut funktionieren, doch wie läuft der mehrsprachige Unterricht konkret ab? Verra erklärt und geht weit zurück: Seit 1948 existiert das ladinische Schulmodell, damals noch allein für die Grundschulen, erst seit einiger Zeit gibt es neben der berühmten Kunstschule in St. Ulrich zwei weitere Oberschulen mit wirtschaftlicher Ausrichtung in den ladinischen Tälern. Der Unterricht geschieht auf Deutsch und Italienisch mit dem Ladinischen als „Vermittlungssprache“. Und das gilt bis heute so. „Natürlich ist das Ladinische mittlerweile mehr als eine Behelfssprache und wird ganz institutionell unterrichtet, findet aber im Gebrauch dort Anwendung, wenn die Lehrkraft das Gefühl hat, es ist notwendig und vor allem auch zum Sprachenvergleich.“
Das Ladinische ist Vermittlungs- und instituionalisierte Sprache
Neu hingegen ist seit einem Jahr die Alphabetisierung in allen drei Landessprachen in der ersten Grundschulklasse. „Das ist ein spannender Versuch, zwar nicht leicht, aber besser als das bisherige Modell,“ sagt Verra. Denn bisher wurden die Erstklässler entweder auf Italienisch (im Gadertal) oder auf Deutsch (Gröden) in die Schule eingeführt und somit auf eine potentielle sprachliche Einbahnstraße geführt.
Auch die Ausbildung für Lehrkräfte trägt mittlerweile einer mehrsprachigen Didaktik Rechnung. An der Fakultät für Bildungswissenschaften der Uni Bozen bzw. Brixen gibt es neben der italienischen und deutschen Abteilung eine kleinere ladinische für 20 Studienplätze. „Die Mehrsprachigkeit in der ladinischen Schule geschieht nach einer klar erforschten Didaktik, da gibt es keinen Sprachen-Mischmasch,“ versichert der Schulamtsleiter. Ähnlich des Sprachunterrichts in den ladinischen Kindergärten, allerdings auf einem abstrakteren Niveau: an bestimmten Momenten des Tages gibt es den Wechsel der Sprache; etwa Deutsch im Morgenkreis, wenn die Kindergärtnerin eine rote Kette trägt oder über eine Puppe die nur eine bestimmte Sprache versteht, fix vereinbarte Gegenstände, Personen oder Zeiten, in denen eine der drei Sprachen verwendet wird.
Sprache muss im Unterrichtskontext klar zugeordnet sein zu Gegenständen, Zeiteinheiten oder Personen
Jedoch, eine 1:1-Umlegung des ladinischen Mehrsprachenmodells auf die Schulmodelle der Nachbarn sei utopisch, meint Roland Verra: „Von unserer Minderheiten-Warte aus war es seit jeher lebensnotwendig, dass wir uns an anderen Sprachen orientieren und diese sprechen können. Das Deutsche oder Italienische mit einer viel größeren Kultur im Hintergrund betreiben ihren eigenen 'sacro egoismo' und das ist verständlich.“ Auf der Ebene der Schulinspektoren gebe es seit jeher einen regen Austausch der Sprachmodelle in den Schulen: „Bruna Rauzi,die ehemalige italiensiche Schulamtsleiterin hat sich sehr stark am ladinischen Modell orientiert, das wurde aber nie an die große Glocke gehängt.“
Auch die Amerikaner sind sensibel beim Absingen ihrer Hymne - sieh Beispiel Super-Bowl
Die politische Opportunität sei eine andere als jene auf der operativen Ebene, meint Verra. „Es gilt nach wie vor das Prinzip der kulturellen Autonomie der Sprachgruppen und das Thema Sprache ist insgesamt viel heikler als wir denken.“ Sprache prägt das Denken und da könne man nicht einfach befehlen, dass ab sofort „Melting Pot“angesagt sei. „Da fällt mir der Super Bowl in den USA ein, bei dem heftigst dagegen protestiert wurde, dass die amerikanische Hymne in 8 Sprachen gesungen wurde. Es sei das Recht auf die Verwendung der amerikanischen Sprache verletzt worden, meinten da viele. Und das im Jahr 2014!“