Environment | Pestizidverbreitung

Lettera ad un agricoltore

Ich finde es -gelinde gesagt!- unbedacht wenn der derzeitige Landesrat für Landwirtschaft behauptet, in Südtirol sei noch niemand wegen der Pestizide gestorben.
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Pestizideinsatz im Obstbau
Foto: Umweltschutzgruppe Vinschgau

Soll das heißen, dass der Beweis für die Gesundheitsschädlichkeit für ihn erst dann erbracht wäre, wenn ein Bauer nach einer Spritzfahrt tot vom Traktor fällt? Es spricht auch gegen Südtirols Präventivsystem, wenn über die Gesundheitsrisiken durch Giftstoffe – meines Wissens!- statt seriöser Untersuchungen nur oberflächliche Beschwichtigungen im Sinne von „Pestizide sind harmlos!“ veröffentlicht werden. Außerdem zitiere ich deswegen eine italienische Onkologin, weil mir außer mehreren verantwortungsbewussten Vinschger Ärzten und einem mutigen Primar keine hiesige Ärzteschaft bekannt ist, die die großen Gesundheitsrisiken für Bauern und Konsumenten in Südtirol bei der täglichen, massiven Giftverbreitung wahrzunehmen scheint.  Hier die Übersetzung von „Lettera ad un agricoltore“, also des Briefes an einen Bauern von einer Wissenschaftlerin, der Krebsforscherin dott.ssa Patrizia Gentilini.

Niemand will euch Bauern kriminalisieren. Seid ihr doch mit Euren Familien die ersten Opfer eines Systems, das Leben tötet.

Zunächst ist eine klare Präzisierung nötig gegenüber der Behauptung, Pestizide für Pflanzen seien das Gleiche wie Medikamente für die Menschen: Wenn ich ein Antibiotikum nehmen muss, weil ich eine Lungenentzündung habe, oder ein Schmerzmittel gegen den Krebs einnehme, dann nehme ich das ganz allein für mich ein. Ich zerstäube diese Wirkstoffe weder in meinem Wohnviertel noch besprühe ich damit meine Mitmenschen.

Auch bzgl. der toxikologischen Bewertungen und der ministeriellen Zulassungen (welches die europäischen Normen beinhalten nebst eigenen Verbotsverlängerungen für Substanzen, die längst schon verboten wären) bedarf es einer Präzisierung: Die gegenwärtige Risikobewertung für Dauer-Exposition mit Pestiziden ist unzureichend und muss in vielen Fällen als nicht-geeignet für den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt angesehen werden.

·      Die Pestizid-Zulassung berücksichtigt nicht die verschiedenen Expositions-Quellen: Pestizid-Grenzwerte sind zwar für Lebensmittel und fürs Trinkwasser vorschrieben, aber nicht für die Exposition und Belastung, der wir über Wasser, Luft und Boden ausgesetzt sind.

·      Nicht berücksichtigt wird bei der Pestizid-Zulassung der Umstand, dass Pestizid-Abbauprodukte oft sogar giftiger sein können als der Haupt-Wirkstoff selber.

·      Bei der Pestizid-Zulassung wird nur der Wirkmechanismus des einzelnen Wirkstoffs bewertet, ohne Berücksichtigung des Pestizid-Gemischs, dem wir ausgeliefert sind. Bereits 2012 wurde in einer wissenschaftlichen Arbeit festgestellt: „Die toxischen Effekte der Cocktails von Pestiziden auf die menschliche Gesundheit sind weitgehend unbekannt und die Besorgnis über ihre Unbedenklichkeit nimmt zu.“

Es wurde auch hervorgehoben, dass nicht alle Pestizid-Cocktails ähnlicher chemischer Struktur dieselben Effekte produzieren. Denn bei verschiedenen Zielorganismen können sie verschiedene toxische Effekte hervorrufen.

(Die an dieser Stelle folgenden beiden Absätze habe ich nicht übersetzt, weil sie meines Erachtens nur für Insider aussagekräftig sind. Stattdessen habe ich folgende Zusammenfassung der beiden Absätze vorgenommen:

Die wissenschaftiche Forschung über die Folgen von Pestizidrestmengen im Speisenplan von Franzosen, in verschiedenen Trinkwassern und Böden ist angelaufen und noch ziemlich uneinheitlich und hat zu zum Teil weit auseinanderlaufenden Grenzwerten geführt. Anmerkung des Übersetzers) 

·       In Bezug auf die Toxizität wird nur der Hauptwirkstoff berücksichtigt, viele Trägersubstanzen (Hilfs-, Konservierungs-, Lösungsmittel und Emulgatoren) werden vernachlässigt oder gar nicht berücksichtigt, obwohl sie oft deutlich die Toxizität des eigentlichen Endprodukts erhöhen, wie beim Mittel „Glyphosat“ ausführlich dokumentiert worden ist.

·       Die gesetzlich angeführten Gift- und Gefahren-Grenzwerte beziehen sich nur auf einen Erwachsenen, der zwischen 20 und 30 Jahre ist, der gesund ist und der 70 kg wiegt. Sie berücksichtigen nicht, dass auch geringfügige Mengen und niedere Grenzwerte in bestimmten Lebenssituationen (z.B. bei Embryos, bei Föten und bei Kindern) gefährlich sein können, vor allem, was die endokrinen Disruptoren betrifft.

·       Es werden bei der Pestizid-Zulassung die verschiedenen Sensibilitäten in Bezug auf genetische Faktoren, Alter, Geschlecht, Ernährungszustand, persönliche Gewohnheiten nicht berücksichtigt, welche die Empfindlichkeit gegenüber Wirkstoffen beeinflussen. So hat zum Beispiel hat das Enzym Paraoxonase (PON1) eine bedeutende Rolle in der Entgiftung von organo-phosphorischen Pestiziden; einige Polymorphismen des Gens PON1 können umgekehrt die Empfindlichkeit gegenüber diesen Pestiziden erhöhen und ihre Toxizität verändern, vor allem durch die Beeinflussung der neuronalen Entwicklung.

·       Erwähnt sei die schwerwiegende Tatsache, dass bei der Pestizid-Zulassung nur die Dokumentation der Antragsteller bewertet wird! Nicht aber jene der unabhängigen wissenschaftlichen Forschung. Dies führt oft zu sehr widersprüchlichen Einschätzungen bezüglich der Gefahren, die von Pestiziden ausgehen. Die Glyphosat-Zulassung ist das beste Beispiel dafür. Die Hersteller klassifizieren ihr Produkt als „nicht-krebs-erregend“, die IRAC (also die Internationale Krebs-Forschungsagentur der UNO) klassifiziert das Glyphosat hingegen als „wahrscheinlich-krebs-erregend“, Kategorie A2.

Es liegen also vielfache Gründe vor, um eine drastische Umkehr der Pestizid-Gepflogenheiten vorzunehmen, denn von "nachhaltigem Gebrauch von Pestiziden" zu reden, ist ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich: Pestizide sind Gifte und wir müssen sie aus unserem Leben und aus der Umwelt verbannen.

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Stereo Typ Fri, 07/06/2018 - 20:54

Vielen Dank für die Übersetzung. Ich habe jahrelang in unmittelbarer Nähe eines Apfelfeldes gelebt, das hat mir gereicht: keine frische Luft (hätte mir nie gedacht, wie kostbar saubere Luft für mich einmal sein könnte), ein ständiger Geruch (mal süßlich, mal säuerlich ...), der um das Feld weht, das Röhren des Traktormotors und der Spritzeinrichtung, wenn der Bauer im Morgengrauen seine "Arbeit" verrichtet, die ständige Besorgnis, welche Mittel denn nun wieder ausgebracht worden sind, die Angst um die Kinder, die eine Stunde später draußen spielen, das ständige Fensterschließen, die Bedrücktheit und, und, und. Für mich gab's nur den Ausweg, in einen anderen Ort zu ziehen. Erst dann hat sich wieder die Lebensqualität eingestellt, die ich mir wünsche.

Fri, 07/06/2018 - 20:54 Permalink
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rotaderga Fri, 07/13/2018 - 08:43

Der Vergiftungsfall im Etschtal zeichnet mit das Bild der Amtsführung und Gesinnung von LR Schuler.
10 Bienenvölker werden durch falsch angewendete oder verbotene PSM vergiftet. Imkerbundobmann Pohl und Landesrat Schuler wussten nichts und sind von der Vorgehensweise des betroffenen Imkers überrascht.

Immer wieder fühlten sich die Imker bei ähnlichen Fällen alleine gelassen: du kannst nicht imkern, der Hauptschuldige ist immer der Imker hinter dem Bienenkasten, es war die Varroa, das Volk ist verhungert; wenn das die Öffentlichkeit erfährt hat der Imker vergifteten Honig, der Obstbauer vergiftete Äpfel und der Landesrat ein Imageproblem, also Pestizidtirol auch für die Touristiker.

Ich begrüße den Schritt dieses Imkers den Fall ohne Wenn und Aber angezeigt zu haben. Damit hat er den üblichen Beschwichtigungen vorgebeugt und mit endgültigen Fakten Klarheit geschaffen.
Auf die Führung des Imkerbundes mit Landeswanderlehrer und Landesrat Schuler sollen umgehend unbefangene Personen im Amte folgen.

Fri, 07/13/2018 - 08:43 Permalink