„Ein realistischeres Bild geben“
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Seit knapp drei Jahren ist die aus Bozen Stammende Journalistin Julia Tappeiner bei Perspective Daily tätig. Das Onlinemedium will “Schluss mit dem endlosen Strom negativer Schlagzeilen” machen und hat sich deshalb dem konstruktiven Journalismus verschrieben. Das Portal veröffentlicht dabei täglich „nur“ einen einzigen Artikel und berichtet über Lösungen statt Probleme. Im SALTO-Interview erklärt Tappeiner was konstruktiver Journalismus ist, welches Ziel ihr Medium verfolgt und wie sie zur Onlinenachrichtenplattform kam.
SALTO: Frau Tappeiner, was ist konstruktiver Journalismus?
Julia Tappeiner: Konstruktiver Journalismus ist zunächst einmal genauso wie der klassische Journalismus, ein Journalismus, der sich auf Fakten beruht, der die klassischen Fragen stellt: Was ist passiert? Warum ist es passiert? Wer war involviert? Aber im Vergleich zum herkömmlichen Journalismus geht konstruktiver Journalismus noch einen Schritt weiter und stellt die Frage, was jetzt? Also was tun wir mit dem Problem, das wir gerade beschrieben haben? Welche Lösungen gibt es vielleicht schon irgendwo in anderen Ländern? Was können wir davon lernen? Oder was sagt die Wissenschaft zu diesem Thema? Ein zweiter Aspekt des konstruktiven Journalismus, wie wir ihn bei Perspective Daily verstehen, ist, dass es eine Berichterstattung ist, die nicht spaltet. Oft sind ja Talkshows, zum Beispiel, sehr emotional, sehr spalterisch, weil das natürlich auch viele Klicks bringt und so weiter. Wir versuchen verbindende Interviews zu führen, zu fragen, wie könnte man da vielleicht einen Kompromiss finden mit der anderen Seite? Wie könnte man da irgendwie zusammenkommen? Konstruktiver Journalismus basiert sich außerdem sehr viel auf Wissenschaft. Wir geben zum Beispiel immer die Quellenangaben an und nehmen uns auch Zeit, die Quellen ordentlich durchzulesen. Was wir auch machen, ist ein langsamer Journalismus. Wir versuchen uns genug Zeit zu nehmen für unsere Recherchen, deswegen veröffentlichen wir zum Beispiel auch nur einen Artikel pro Tag, der dafür tiefer geht. Es geht oft auch darum, dass man mehr die Zusammenhänge erklärt, dass man mehr auch den Hintergrund erklärt. Und vor allem, das ist auch ein wichtiger Aspekt, wir wollen neue und verschiedene Perspektiven mit hineinbringen, um das Thema nicht eindimensional zu lassen.
Und wie gelingt diese Art der Berichterstattung?
Zunächst lässt man sich mehr Zeit beim Schreiben. Der Vorteil, den wir bei Perspective Daily haben, ist, dass wir unabhängig sind. Wir werden rein durch Mitglieder bezahlt und haben keine Werbeeinnahmen. Das heißt, dass wir natürlich auch nicht darauf angewiesen sind, sehr viele Klicks zu generieren. Letzteres ist ja oft der Grund, weshalb eher negativ berichtet wird und man sich sehr auf reißerische, emotionalisierende Titel fokussiert. Ich persönlich bin vor allem für Konfliktberichterstattung zuständig. Was man sich dabei immer fragen kann, ist zum Beispiel, wie stelle ich die Menschen in dem Konfliktgebiet dar? Also stelle ich sie als hoffnungslose Opfer dar, oder stelle ich sie auch als Menschen dar, die wieder am Aufbau mitwirken? Welche Geschichten erzähle ich, wenn ich da bin? Erzähle ich nur die Geschichte von Leid und Krieg, die natürlich auch wichtig ist, oder gehe ich weiter und berichte zum Beispiel auch von der Aufbauaktion oder von den AktivistInnen, die sich dafür einsetzen, dass ein Gesetz verändert wird oder dass es mehr Rechte gibt. Wenn es jetzt um das Reißerische und das Spalterische geht, ist auch ein wichtiger Aspekt zu fragen, wen laden wir denn zu unseren Interviews, zu unseren Talkshows ein? Laden wir den einen bekannten Rechtsextremisten ein, der sehr polarisierende Aussagen trifft und auf der anderen Seite die Person, die auf der komplett entgegen liegenden Seite des Meinungsspektrums steht? Oder laden wir zwei Leute ein, die vielleicht auch bereit dafür sind, den Argumenten des anderen zuzuhören und eine Brücke zu bauen?
„Wir stellen Lösungen vor und verschönern diese nicht.“
Redet man damit nicht einfach alles schön?
Diese Kritik hören wir häufig, dass wir eben keinen richtigen Journalismus machen, dass wir nur alles schönreden. Aber wir stellen Lösungen vor und verschönern diese nicht. Wir finden, damit man den Menschen ein realistisches Bild der Welt gibt, ist es wichtig, nicht nur über die negativen Dinge zu berichten, sondern auch über potenzielle Lösungen. Denn Journalismus sollte über das berichten, was da ist und es sind auch Lösungen da. Es gibt so viele Menschen, die sich für Lösungen einsetzen und wenn wir nicht darüber berichten und nur über das Problem, dann verzerrt das die Wirklichkeit.
Es gibt Nachrichten, die schlichtweg negativ sind. Wie geht Perspective Daily mit solchen Beiträgen um?
Ich schreibe über Konflikte und Kriege, die bedeuten immer Leid und Schmerz. Die Themen sind dementsprechend negativ. Aber auch da kann ich entscheiden, welche Perspektive ich einnehme. Berichte ich nur über den Konflikt, sobald er ausbricht oder berichte ich auch darüber hinaus, wie eine Gesellschaft sich später wieder aufbaut, wieder versucht, politische Strukturen aufzubauen. Es geht auch darum, ob ich während des Konflikts darüber berichte, welche Menschen an Lösungen arbeiten. Vor allem bei Konflikten ist es immer wichtig, diese Aspekte im Blick zu behalten und nicht zu sagen, ja, es ist eh ein Konflikt, warum soll ich über Lösungen reden? Zudem ist auch wichtig, nicht oberflächlich und emotionalisierend zu berichten, sondern auch sachlich und umfassend.
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Welche konkreten Ziele verfolgt Perspective Daily?
Das Hauptziel von konstruktivem Journalismus ist eigentlich, ein realistischeres Bild der Welt zu geben. Umfragen zeigen, wenn Menschen danach befragt werden, wie sich bestimmte Dinge auf der Welt entwickeln, sie dazu tendieren, diese viel negativer einzuschätzen, als sie in Wahrheit sind. Und das hängt einerseits damit zusammen, dass wir biologisch darauf fokussiert sind, uns auf das Negative zu konzentrieren, weil das unser Überleben sichert, ein evolutionsbiologischer Aspekt unseres Gehirns sozusagen. Aber es liegt auch daran, dass wir die Welt nun mal durch Medien verstehen, und die Information, die wir bekommen, eher negativ befangen ist. Das gibt den Menschen ein falsches und negatives Bild der Realität. Deswegen will konstruktiver Journalismus ein ausgewogeneres, wahres und realitätsnahes Bild vermitteln. Damit zusammenhängend verfolgen wir bei Perspective Daily das Ziel, die Menschen von dieser Hilflosigkeit wegzubringen, die viele gerade spüren. Gerade in Momenten, wo von Kriegen, Klimakatastrophen, Rechtsradikalismus und ähnlichem berichtet wird, wenden sich die Menschen von den Medien ab, sie werden nachrichtenmüde und immer weniger Leute gehen wählen. Wir Journalisten haben hier die Aufgabe, den Menschen Instrumente in die Hand zu geben, die sie wieder motivieren und sie aus der Hilflosigkeit herausholen. Sie müssen merken, dass es einen Unterschied macht, ob sie wählen gehen oder nicht.
Perspective Daily veröffentlicht nur einen Artikel pro Tag, warum?
Zum einen wollen wir die Leser nicht überfordern, das ist nämlich ein weiterer Aspekt der heutigen Informations- und Medienwelt. Von Live-Ticker bis Newsletter werden wir einfach mit Informationen bombardiert. Oftmals handelt es sich dabei um sehr oberflächliche Informationen, also sehr kurze Nachrichten, Informationsspam sozusagen. Dieser Tendenz wollen wir mit unserem Slow-Journalism-Ansatz entgegenwirken. Wir veröffentlichen nur einen Artikel am Tag, dafür ist dieser etwas länger. Bedeutet, wir sind tiefgründiger und ausführlicher. Zudem ist es auch für Journalisten angenehm, wenn sie weniger Zeitdruck haben und dadurch besser recherchieren können.
„Unser Gehirn ist nach dem Negativen ausgerichtet, das haben wir evolutionsbiologisch gebraucht.“
Wie trägt sich das Modell?
Es trägt sich jetzt bereits seit sieben Jahren. Natürlich, dadurch, dass wir keine Werbeeinnahmen haben, ist es schwerer. Wir müssen natürlich jährlich schauen, dass wir genug LeserInnen erreichen. Das Schöne am konstruktiven Journalismus ist, das haben auch Studien gezeigt, dass es weniger um die Masse der LeserInnen geht. Aber dafür sind diese viel treuer, weil sie hinter dem gesamten Konzept stehen. Sie merken, dass das Modell wirklich einen Mehrwert für sie hat.
Ihr Medium schaltet keine Werbung, wie funktioniert die Finanzierung?
Die Einnahmen kommen nur von unseren Mitgliedern. Es handelt sich dabei um ein Bezahlmodell, unsere Artikel befinden sich hinter einer Bezahlschranke. Es gibt ein zweimonatiges Probeabo, das man gratis ausprobieren kann und danach muss man für unsere Artikel bezahlen, das ist unsere Haupteinnahmequelle. Natürlich bewerben wir uns manchmal für internationale Medienpreise oder Förderungen.
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Auf der Homepage von Perspective Daily steht „Medien, die Werbung schalten, verdienen am Weltuntergang“, was ist damit gemeint?
Unser Gehirn ist nach dem Negativen ausgerichtet, das haben wir evolutionsbiologisch gebraucht, um zu überleben, weil wir früher darauf schauen mussten, wo das gefährliche Tier kommt. In der heutigen Welt ist diese Tendenz aber eher schädlich, weil wir in einer sehr sicheren Welt leben und mit sehr viel Information bombardiert werden. Medien machen sich das zunutze, indem sie vor allem über negative Dinge berichten. Es gibt diesen klassischen Spruch in Redaktionen: "Bad News are Good News", also schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Denn für Medien bringt es Aufmerksamkeit. Und je mehr Klicks ein Medium kriegt, desto mehr zahlen natürlich auch die Werbekunden.
Bestimmt gibt es auch Werbepartner, die mit der Einstellung von Perspective Daily einverstanden sind und bei Ihnen Werbung schalten möchten, auch wenn dort keine negativen Nachrichten gibt, oder?
Ich persönlich weiß das nicht, ich bin nicht im Marketing. Aber ich glaube schon, dass Werbepartner mehr Geld zahlen, je mehr Klicks ein Medium macht. Die Sichtbarkeit verändert den Preis und ich glaube, dass es deswegen vielen Medien wichtig ist, mehr Klicks zu kriegen und Aufmerksamkeit zu bekommen.
Wie sind Sie zu Perspective Daily gekommen?
Es hat damit begonnen, dass ich von einer Freundin zum Geburtstag ein Buch mit dem Titel "Schluss mit dem täglichen Weltuntergang" bekommen habe. Dieses Buch wurde von der Gründerin von "Perspective Daily" geschrieben. Maren Urner, ist Neurowissenschaftlerin, sie erforscht das menschliche Gehirn und vor allem, was Medien mit dem menschlichen Gehirn machen. Dabei hat sie diese ganzen problematischen Tendenzen erkannt, die ich eben beschrieben habe. Deshalb wollte sie Medien anders gestalten, damit sie nicht so überlastend für die Menschen sind und wieder ein realistischeres Bild geben. Deshalb hat sie auch Perspective Daily mitgegründet. Zunächst war ich zwei Jahre lang Leserin des Mediums und habe mich dann beworben, bin jedoch nicht angenommen worden. Ein Jahr später habe ich mich erneut beworben und dann hat es geklappt und ich bin nach Berlin gezogen. Mittlerweile arbeite ich seit fast drei Jahren hier.
Super! Eine erfreulicher…
Super! Eine erfreulicher Kontrapunkt zur aktuellen Mediensituation. Die Form der Berichterstattung in den Medien prägt die Wahrnehmung der Perspektiven zu den einzelnen Themenstellungen. Kein Wunder also, wenn die andauernde Negativberichterstattung und polarisierende Darstellung der Fakten und Positionen den Blick auf positive Entwicklungen verstellt und eine negative Grundstimmung erzeugt und sukzessive verfestigt.
In reply to Super! Eine erfreulicher… by Karl Gudauner
Ja, super erfreulich, den…
Ja, super erfreulich! Den Anstand in den Mittelpunkt nehmen, professionell und klug, aus guten Motiven heraus agieren.
Dieser FrageAnsatz und diese Haltung könnten in allen (Gesellschaft-, Politik-, Arbeit-, ...) Bereichen, zu konstruktiver Kommunikation bzw. (Gemeinwohl-) Lösungsfindung beitragen, - zusammen mit der Fähigkeit zur Selbstreflektion.
Kompliment an die junge Frau…
Kompliment an die junge Frau/Journalistin: wirklich alles auf den Punkt gebracht.
Hans Heiss hat vor wenigen…
Hans Heiss hat vor wenigen Wochen passend in einem Interview gesagt: "Die Beschleunigung von Medien und Politik treibt die Verkürzung von Sachverhalten voran, in krassem Gegensatz zu ihrer wachsenden Komplexität".
Ein wirklich begrüßenswerter Gegenentwurf, der in die Tiefe statt in die oberflächliche Breite geht.
Ich will auch daran glauben…
Ich will auch daran glauben dass konstruktiver Journalismus Zukunftsfähig ist … und viele LeserInnen hätte. Und damit der Gesellschaft GUT TÄTE!
Hoffentlich nehmen sich…
Hoffentlich nehmen sich viele Medien ein Beispiel daran. Genau so wichtig wäre es, neutral und möglichst umfassend zu berichten und dem Leser die Interpretation der Fakten zu überlassen. Medien dürften auch nicht zu viel politische Macht besitzen. Salto ist da schon mal fein draußen, deswegen lesen wir salto ja auch,
In diesem Zusammenhang wäre…
In diesem Zusammenhang wäre es schön,wenn es die " zensierenden" Athesiamedien nicht geben würde!