früher, schneller, jünger
Aussage: heuer gibt es sehr viele Doldenblütler (Wiesenkerbel, Bärenklau u.a.), diese müssen früh geschnitten werden damit sie nicht aussamen:
Die Doldenblütler können nur durch einen frühen Weidegang zurückgedrängt werden, sofern die entsprechenden ausläuferbildenden Gräser vorhanden sind und entsprechend gefördert werden. Wenn Doldenblütler durch den frühen Schnitt ausfallen würden, wären sie in den Silagewiesen (5 Nutzungen auf 1100m im oberen Vinschgau) nicht mehr anzutreffen. Meine Beobachtungen lehren mich anderes. Doldenblütler sind an den Trieben sehr empfindlich. Durch eine Frühjahrsweide kann sehr viel entgegengewirkt werden (Verbiss und Vertritt), standortangepasste Schnitthäufigkeit, eine mäßige Düngung, gutes Wassermanagement und die Pflege eines guten Grasbestandes können mehr bewirken als frühes mähen. Die Doldenblütler hängen v.a. mit der Nährstoffgabe (und dem Mikrorelief) zusammen. Der Samenpool im Boden ist nicht ausschlaggebend, sondern die geschlossene Grasnarbe, welche nur durch sachgemäße Bewirtschaftung (Nutzung und Düngung, sowie Vermeidung von Bodenverletzungen und -verdichtungen) geschlossen bleiben kann. Je intensiver die Wiese bewirtschaftet wird, desto empfindlicher wird dieselbe. Dass man diese bekämpft, indem man früher schneidet (aber nichts über eine mäßigere Düngung oder Anpassung des Pflanzenbestandes regelt) und damit einige wertvolle Futterpflanzen schwächt, klingt nicht nach einer Bewirtschaftung, bei der man den Bestand im Griff hat, vielmehr werden Symptome bekämpft, deren Ursachen wo anders liegen.
Aussage: es muss früh gemäht werden, damit die Bauern nicht „Stroh“ in den Stadel fahren.
Das stimmt natürlich schon für die intensiven Futterwiesen, welche ein Eiweiß- und Energiereiches Grundfutter liefern können und deren Futter-Aufwuchs in relativ kurzer Zeit rasch altert – d.h. der Rohfaseranteil im Futter steigt relativ schnell an und der Eiweiß- und Mineralgehalt nimmt im gleichen Zuge entsprechend ab. Bedenklich wird die Aussage dann, wenn der ganze Betrieb nur noch intensive, früh zu nutzende Wiesen bewirtschaftet, da auch dieser seine gesamten Wiesen wohl kaum zum geeigneten Zeitpunkt nutzen kann. Die Möglichkeit der differenzierten Bewirtschaftungsintensität auf den Wiesenflächen des Betriebes sieht früh zu nutzende Fettwiesen, wenig bis traditionell genutzte Fettwiesen (z.B. Gold- und Glatthaferwiesen), sowie spät zu nutzende meist entlegene oder Randflächen (Magerwiesen) vor. Damit stünde dem Betrieb ein Spektrum an Bewirtschaftungsintensitäten zur Verfügung, welches 1. eine sachgerechte Wiesenbewirtschaftung ermöglicht, 2. dies zum jeweils geeigneten Zeitpunkt und 3.im Sinne der Biodiversität der Wiesen-Flora und Fauna.
Die frühe Mahd fördert wohl v.a. den Bewuchs regenerationsfreudiger Wiesenpflanzen (bei häufiger Schnitt- oder Weidenutzung nehmen besonders die ausläufertreibenden Gräser zu, aber bei Fehlen dieser auch lückenfüllende Kräuter wie die gemeine Rispe, Löwenzahn und andere). Regenerationsschwächere Gräser nehmen ab, kurzlebige Kräuter fallen ganz aus. Die Bewirtschaftungsempfehlung richtet sich so also kaum nach einem ausgewogenen Bestand sondern klingt eher nach Notfallmedizin bzw. nach den Grundsätzen des intensiven Futterbaus auf höchstem Niveau, welcher im kleinstrukturierten Berggebiet nicht umsetzbar ist. Die Vorzüge des Berggebietes (Artenreichtum, Mineralgehalt des Grundfutters, hohe Biodiversität auf den Wirtschaftsflächen, u.a.) gehen dabei verloren. Zusätzlich werden durch die hohen Futterzukäufe (Heu, Silage, Kraftfutter / Eiweiß- und Energie-Konzentrate) die eigenen Wiesen durch die anfallenden Hofdünger-Mineralgehalte, besonders Stickstoff, Phosphor und Kali, überlastet, was früher oder später eine teilweise bis massive Ertragsreduktion zur Folge hat.
Die ausschließliche Betrachtung des Milchviehbetriebes aus der Sicht der Eiweiß- und Energiedichte im Futter führt zu solchen Handlungen. Um diese extremen Werte (v.a. Eiweiß) im Futter ausgleichen zu können müssen Futtermittel zugekauft werden. Mais in allen Formen, Getreidemischungen, Soja usw. – angekarrt aus der halben Welt. Das ist ökologisch bedenklich. Da wir wenig ackerfähige Flächen besitzen, tendieren Landwirte beispielsweise im Maisanbau über Jahre auf denselben Flächen die Frucht anzubauen und die Fruchtfolgen zu vernachlässigen. Der Befall von Maiszünler und Maiswurzelbohrer nimmt zu, die Bodenfruchtbarkeit ab.
Für diese Art der Futterverwertung ist das Rind nicht geschaffen- die durchschnittliche Anzahl von 2,4 Kalbungen pro Kuh in Südtirol zeugt davon. Aus einer etwas globaleren Sicht betrachtet wird eine, in dieser Form gefütterte Kuh zum Nahrungsmittelkonkurrenten des Menschen (Mais, Getreide usw.). Die kongeniale Partnerschaft Mensch - Rind verliert ihre Existenzberechtigung, da nicht mehr, die für den Menschen größtenteils unverdauliche Zellulose als Futtermittel dient sondern Lebensmittel (v.a. Getreide). Aus Sicht der Produktivität mögen solche Fütterungsmethoden bis zu einem gewissen Punkt nachvollzogen werden können, jedoch lässt sich diese Wirtschaftsweise aus der Sicht der Effizienz (Miteinbezug der Ressourcen Boden, Wasser, Energie und des Klima) nicht nachvollziehen.
Aus diesen Überlegungen heraus, wäre es mir ein sehr großes Anliegen, wenn der BRING in seinen futterbaulichen und fütterungstechnischen Empfehlungen die Landwirtschaft aus einer etwas nachhaltigeren Perspektive betrachten würde und entsprechende Empfehlungen tätigen könnte.