Dort, wo die Welt passiert
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Als Pädagogin komme ich nicht drumherum ins Schwärmen über meinen Beruf zu kommen. Ein Loblied, eine Hymne, einen Nobelpreis mindestens möchte ich dem Kindergarten widmen.
Wer Kinder aktiv beim Wachsen und Lernen begleitet, weiß wovon ich spreche, wenn ich sage: Wir arbeiten dort, wo die Welt passiert. Der Kindergarten ist jene Institution, welche gesellschaftliche Veränderungen am frühesten spürt. Unsere Antennen sind wie jene der Kinder selbst – fein justiert und sehr empfindlich. Das Schöne und Anstrengende liegt hier nah beieinander. Die Freudentränen über gelungene Freundschaften, überwundene Ängste und erklommene Erfolge sind mindestens so real, wie die Sorge um Vernachlässigung, Diskriminierung und Mobbing. Eine zunehmend heterogene Gesellschaft, mit komplexen sprachlichen und familienkulturellen Veränderungen ist im Kindergarten sehr früh spürbar. Genau deshalb widme ich diesen Text nicht der Zukunft, sondern der Gegenwart. Die zukünftige Gesellschaft hat nämlich nichts davon, wenn wir es weiterhin aufschieben, Herausforderungen und funktionierende Modelle anzusprechen und umzusetzen. Das muss heute passieren. -
Vorausgeschickt
Inklusion setzt voraus, dass Menschen unterschiedlich sind bzw. mit unterschiedlichen Voraussetzungen in die Gesellschaft hineingeboren werden.
Inklusion ist kein Projekt mit Verfallsdatum. Inklusion ist ein Menschenrecht und beschreibt eine Gesellschaft, in welcher allen Menschen Teilhabe ermöglicht wird, unabhängig von bestimmten Merkmalen. Im Gegensatz zu Integration, wo Menschen integriert und also angepasst werden, setzt Inklusion voraus, dass jeder Mensch mit seinen besonderen Merkmalen uneingeschränkt Platz findet und sich entfalten kann. Inklusion ist direkt mit dem Recht auf universelle Menschenwürde verknüpft und somit mit dem Recht aller Menschen auf Schutz vor Diskriminierung aufgrund der eigenen Herkunft, Geschlechtsidentität, Hautfarbe, Behinderung oder sexuellen Orientierung. Inklusion ist somit kein Konzept, das es anzuwenden gilt oder nicht. Inklusion ist ein Menschenrecht. -
Inklusion und Familie
Die Herausforderungen in Zeiten stagnierender Löhne, steigender Lebenshaltungskosten, rasanter Digitalisierung und Kriegstreiben werden für Familien und Bildungseinrichtungen nicht weniger, sondern mehr. Die Zukunft ist unsicher, die Gegenwart anstrengend. Die Kindergartengruppen sind heterogen in ihren Sprachkenntnissen, familiären Bedingungen und ökonomischen Möglichkeiten. Die gesellschaftliche Klasse spielt noch bzw. wieder eine Rolle. Wer in welchem Stadtviertel wohnt und wessen Eltern es sich leisten können, in Teilzeit zu arbeiten oder Klavierunterricht und Wochenendausflüge ins Museum zu ermöglichen, ist auch im Kindergarten präsent. Genauso Kinder, welche bereits mit Diskriminierungen aufgrund ihrer Herkunft oder Sprache zu kämpfen haben oder “unsichtbare” Familien, welche kaum am gesellschaftlichen Leben teilhaben (können). Familien deren Lebensrealitäten nicht anerkannt werden. Familien, die alleine und leise sind. Und mittendrin die Kinder.
Die Pädagogik von heute muss diese Dynamiken erkennen und darauf reagieren können.
Den Familien fehlen oft Netzwerke und Orientierung. Jede Familie kämpft für sich selbst – so der Eindruck. Im Kindergarten muss deshalb genau hier angesetzt werden: Netzwerke fördern, Verantwortungsbewusstsein stärken und an gemeinsam gestalteten Räumen arbeiten. Familienstrukturen schrumpfen und es mangelt an Einrichtungen und Zugangsmöglichkeiten für Kinderbetreuung und Pflege. Dies erhöht den Druck und die Belastung von Familien selbst. Das alles ist in Bildungseinrichtung deutlich spürbar und darauf müssen Antworten gefunden werden. -
Ein neuer Zugang – eine mögliche Lösung
Um Inklusion flächendeckender garantieren zu können, wird in einigen Kindergärten in Meran vermehrt auf sozialpädagogische Begleitung im Alltag gesetzt. Die soziale Fachkraft übernimmt in diesem Fall eine Brückenfunktion zwischen Familien und Kindergarten. Dieses Konzept wird vom Kindergartensprengel Meran in Zusammenarbeit mit dem Forum
Prävention seit konkret vier Jahren umgesetzt.
Es sieht vor, dass eine soziale Fachkraft in einem oder zwei Kindergärten täglich (oder wochenweise abwechselnd) vor Ort ist und den Alltag miterlebt und mitgestaltet. Gleichzeitig hat diese soziale Fachkraft die Möglichkeit, Eltern auch außerhalb des Kindergartens zu treffen und zu begleiten. Pädagogisches Fachpersonal in Kindergärten kommt zwangsläufig vermehrt in Berührung mit Familien in unterschiedlichsten herausfordernden Lebenslagen und genau hier zeigt sich die Zusammenarbeit zwischen Sozialpädagogik und Kindergarten als wertvoll.
Die engere Verzahnung zwischen Kindergarten/Bildung, Sozialpädagogik und Familien ist somit ein großer Mehrwert für alle. Familien können früher abgeholt werden und Präventionsarbeit kann gezielt stattfinden. Soziale Fachkräfte sind Netzwerker*innen und ermöglichen es, dass keine Familien alleine bleibt, dass bedenkliche Situationen sofort gemeldet werden und der Kinderschutz schneller greift. In den bestehenden Projekten wird viel an einer guten Vertrauensbasis zwischen allen Partnern gearbeitet. Erziehungsunsicherheiten von Familien können besser angesprochen und eng begleitet werden. Wenn der fachliche Austausch funktioniert, sind die Familien in ein interdisziplinäres Netzwerk eingebettet. Pädagog*innen lernen die Familien und ihre Sorgen, Ressourcen, Gewohnheiten und Werte besser kennen und somit funktioniert auch die Begleitung der Kinder besser. Der Mehrwert liegt somit in der Verknüpfung der jeweiligen Expertisen. -
Was Geld mit Inklusion zu tun hat
Gestärkte Familien nehmen eher am Bildungsalltag teil und sind z.B. offener für sprachliche Unterstützungsmaßnahmen. Gerade beim Thema Sprache muss vermehrt darin investiert werden, dass Eltern in ihrem Verantwortungsbewusstsein gestärkt werden. Das klappt besser durch Beziehungsarbeit und eine gute Vertrauensbasis.
Der Kindergarten hat den Vorteil, in engem Kontakt mit Familien zu sein und könnte durch den Ausbau und die Implementierung sozialpädagogischer Begleitung in den Strukturen noch bessere und effizientere Präventionsarbeit leisten.
Die Herausforderung liegt jedoch darin, ständig um Ressourcen bangen zu müssen. Solche sozialpädagogischen „Projekte“ dürfen keine Projekte bleiben, sondern müssen als fixer Bestandteil in das Bildungssystem implementiert werden. Ressourcen müssen langfristig garantiert werden.
Bis dahin singen wir weiter das leidige Lied der fehlenden Ressourcen, der Unsicherheit in der Planung und der oberflächlichen Wertschätzung.
Als Pädagogin bin ich davon überzeugt, dass interdisziplinäre Arbeit im Kindergarten den Unterschied ausmachen kann. Das laufende Projekt „die Brücke/il ponte“ in Meran zeigt gute Ergebnisse und zeigt, was heute getan werden muss und nicht mehr auf morgen verschoben werden kann. -
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