Politics | TTIP

Ein Pakt mit dem Teufel

Das Freihandelsabkommen TTIP wurde am Mittwoch Abend in Bruneck diskutiert. Dabei ging es in der Diskussion mit Markus Lobis mehr um das Wider als das Für.

Das Transatlantische Handelsabkommen ist in aller Munde, kurz vor seiner Realisierung und umstrittener denn je. Die potenziell größte Freihandelszone der Welt zwischen den USA und Europa forciert einen Abbau von tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen, und verspricht sich davon mehr Wachstum sowie weniger Kosten für amerikanische und europäische Unternehmen. Am Mittwochabend, 15. Juli, referierte der kritische, und bestens informierte Blogger Markus Lobis über die Risiken eines solchen Abkommens, in Bruneck. 

Als Europäer (und auch als Südtiroler!) eröffnet sich uns alles andere als ein hoffnungsvoller Horizont. "Oft meinen wir Südtiroler es betrifft uns nicht wenn es nicht direkt vor unserer Haustür passiert", mahnte Lobis von Anfang an. Im Sinne der Wirtschaft kann man heute jeden Skandal mit Wachstum rechtfertigen. Jawohl!, Wachstum ist Pudels Kern. Es ist aber stark umstritten und dubios wie groß die wirtschaftlichen Effekte und das Wachstum tatsächlich ausfällt. Selbst TTIP-freundliche Studien - unter äußerst blauäuigigen Annahmen - sagen ein Anstieg von 0,5% des europäischen BIP bei einer Realisierung des Abkommens voraus, aber erst ab 2029. Auftragsstudien prophezeien zwar ein "positives" Szenario, doch schlaue Köpfe aus Ökonomie und Politik diffamieren diese als unrealistisch. Nach deren Prognosen mit anderen methodischen Annahmen würde bei Zunahme des transeuropäischen Handels der innereuropäische Handel sinken.

Trotzdem versuchen die USA ihren wirtschafts-imperialistischen Drang in Form dieses Abkommens zu realisieren. Bereits 1995 haben sie versucht im Zuge des "Multilateralen Abkommens über Investitionen", kurz MAI, Europa ihre Logik aufzudrücken. Anno dazumal scheiterte das Abkommen am sich formierenden zivilgesellschaftlichen Widerstands. "Aber auch wir Europäer spielen brav mit, kuscheln uns in das Bett der Amerikaner und werden dann hochkantig rausgeschmissen", erläuterte der Blogger unter dem Schmunzeln des Publikums. Cirka 50 Leute wohnten der Runde bei, wenngleich auch nur Gegener des Handelsabkommen.

Drückt man zwei Augen zu, so ist ein verschwindend geringes, ja irrelevantes Wirtschaftswachstum für Europa zu erwarten. Doch die Reihe an negativen Auswirkungen mutet katastrophal an. Geltende Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz, Gesundheit, Arbeit und Soziales würde als Handelshemmnisse eingestuft und somit aufgeweicht. Auch sinkende Lohnquoten werden prognostiziert. Zeugnis dessen legt uns das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) zwischen den USA, Mexiko und Kanada ab. Erst durch diesen Vertrag entstand in Nordamerika ein riesiger Niedriglohnsektor. "Soweit dürfen wir es nicht kommen lassen. Entweder wir bekommen eine Bewegung von unten auf oder wir sind selbst Schuld", gab Markus Lobis zu bedenken.

"Wir Europäer können eigentlich nur verlieren", erläuterte der Brixner Blogger. An den Verhandlungstischen debattiert man auch über eine Harmonisierung der Standards, soll heißen: Amerikanische und europäische Qualitätskontrollen, Schadstoffgrenzwerte und Arbeiterrechte werden angeglichen. Es liegt nahe, dass man sich in puncto Standards auf die wirtschaftsfreundlichsten einigen wird. Ökonomen sprechen dabei von einem "Race to the bottom". Der Begriff beschreibt dabei ein Modell mit dessen Hilfe sich der Abbau von Standards um immer niedrigere Steuersätze beschreiben lässt. De facto erzielt nur die Wirtschaftswelt Profit aus dem Abkommen, denn bekanntlich ist das Kapital scharf auf Nullen.

Groß das Interesse und die Skepsis. Foto: Facebook/Armin Mutschlechner

Auf die Umwelt und Natur bezogen könnte das geplante Freihandelsabkommen Energiekonzernen die Möglichkeit geben, die umstrittene Fördertechnologie Fracking in Europa durchzusetzen. Bei dieser Fördermethode um Erdgas wird eine Mixtur aus Wasser und verschiedensten Chemikalien in die Erde, genauer zur Schieferschicht gepumpt. Der dabei entstehende Druck setzt das Erdgas im Schiefer frei. Dieses wird dann an die Erdoberfläche befördert, der Mix an Chemikalien bleibt. Verheerende Folgen für Mensch und Natur lassen sich dabei erahnen. In Gesundheitsbelangen sind den USA anders als in Europa Antibiotika und Hormonbeigaben zur Wachstumsförderung in der Tiermast erlaubt. Die massenhafte Anwendung von Medikamenten und Antibiotika, führt dazu dass resistente Keime entstehen, die für den Menschen Risiken bergen. Zudem sind in den USA gentechnisch veränderte Lebensmittel frei käuflich und bedürfen keiner Kennzeichnung. Zudem wird das Arbeitsrecht beschnitten, durch die vorhergesehene Liberalisierung des Marktes, wovon vor allem Investoren profitieren. Negative Auswirkungen auf öffentliche Dienstleistungen wie Bildung, Nahverkehr und Gesundheit könnten ausgehen. Mangelnde Unterstützung und Streichung von Geldern im Auftrag der Bildung treibt Universitäten direkt in die Arme der Konzerne.

Ein weiteres heißes Eisen des Freihandelsabkommen ist der Investorenschutz. Man plant die Einführung internationaler Schiedsgerichte, die über die Schadensersatzforderungen von Unternehmen gegen zukünftige Vertragsstaaten entscheiden. So kann beispielsweise ein deutscher Konzern über seine US-Unternehmen Deutschland auf Milliardenhöhe verklagen. Durch jegliche politische Entscheidung, so der Atomausstieg, könnte sich ein Unternehmen in seiner Gewinnspanne beraubt fühlen und klagen. Ein derartiger Investorenschutz würde sämtlichen rechtsstaatlichen Schutz aushebeln.

Für Unmut sorgt auch der intransparente Verhandlungprozess. Lobby-Vertreter der Industrie verhandeln unter Ausschluss der Öffentlichkeit, faktisch ohne demokratische Kontrolle. Die EU-Kommission veröffentlicht zwar den Stand der Verhandlungen, aber nicht konkret ausgehandelte Vertragsbedingungen. Lediglich durch geleakte Dokumente bekam man bisher Einblick in den Fortschritt der Verhandlungen."Und wenn irgendein Politiker Einblick in die Dokumente bekommt, so darf er nichts preisgeben. Das ist absurd.,"wetterte er. Dass nur wirtschaftliche Aspekte von Belangen sind lässt sich auch daraus schließen, dass 119 von 130 Verhandlungsrunden mit Industrieverbänden und nur 11 mit NGO`s abgehalten wurden. 90% der Teilnehmer an den amerikanisch-europäischen Verhandlungstischen, welche darüber entscheiden, was wir zukünftig essen, unter welchen Bedingungen wir arbeiten und worauf wir Recht haben, vertreten Handelsinteressen.

Auf die Frage hin, welche positiven Aspekte wir von TTIP herausfiltern können antwortete Markus Lobis mit einem Lachen:" Das einzig positive ist, dass die Amerikaner nicht schon mit den Panzern vor unserer Haustür stehen." Mit dieser halb-humoristisch, halb-bedenklichen Auffassung ging die Runde auseinander. Die Illusion durch den freien, sich selbst regulierenden Weltmarkt, Wohlstand und Wachstum für alle Menschen zu fördern ist so alt wie der Kapitalismus selbst. Wir befinden uns an einem Scheideweg und laufen Gefahr unsere, einst hart-errungenen Rechte und Standards am Altar des Wachstums zu opfern. TTIP ist "unfairhandelbar" und gleicht einem Paktieren mit dem Teufel höchstpersönlich. Doch eine Wahrheit sei auch noch gesagt: Ein derartig maßloses System frisst sich zum Schluss selbst auf.

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Dr. Streiter Thu, 07/16/2015 - 22:28

Freihandel im Sinn von Zollfreiheit wär nicht das Problem. Investorenschutz ohne Bürgerrechtsunion führt zu klar zu den genannten Asymetrien. Es braucht die Gesetzliche Verbindung auch für Verbraucherschutz und aus gegebenen Anlass, einen Rechtlichen Rahmen der die Rechte der Bürger garantiert. Siehe abartige Datenakkumulation der NSA ueber EU Bürger.

Thu, 07/16/2015 - 22:28 Permalink
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Stefan Hauptmann Fri, 07/17/2015 - 10:14

Auch wenn die Verbraucherschutzstandards nach Abschluss des TTIP nicht zurückgehen, wäre eine Erhöhung der Standards umso schwieriger, da die Bestimmungen mit USA abgeglichen/abgestimmt werden müssten. Aber diese Punkte wurden alle bereits des öfteren besprochen. Die Intransparenz der Verhandlungen sehe ich hier tatsächlich als großes Problem, da bei Abschluss das EU-Parlament nur mehr mit JA oder NEIN stimmen kann, aber das "Papier" nicht aktiv mitgestalten darf.

Auch interessant TiSA:
https://www.youtube.com/watch?v=PZgP8mGSt8s

Fri, 07/17/2015 - 10:14 Permalink