Environment | Athesia und der Wolf

Anti-Wolfs-Katechismus

Ein neues Buch über Wölfe „Der Wolf im Visier. Konflikte und Lösungsansätze“, Bozen 2022, verlegt bei Athesia, genauer unter die Lupe genommen.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Wolf
Foto: USP
Der Klappen-Text verspricht „Antworten auf brennende Fragen zum Wolf“ (…) Wie im klassischen Katechismus folgen Frage und (eine vorhersehbare) Antwort. Für ein gutes Wolfsbuch fehlen wildbiologische, sachlich vorgestellte Informationen aus erster Hand, die Lösungsansätze nehmen im Vergleich zum Konfliktkatalog wenig Raum ein.
Zitat aus dem Cover-Text: „Die Fragen stellt eine Gruppe von Fachleuten, wobei auch die betroffenen Nutzergruppen, z.B. aus der Landwirtschaft, zu Wort kommen. Die Antworten geben ausgewählte Expertinnen und Experten, und beinhalten die aktuellsten Informationen zum Thema Wolf – möglichst ohne Wertung.“ Es sind 27 Autoren und Autorinnen. Luigi Boitani und John Linnell sind die zwei einzigen langjährigen und international anerkannten Wolfsforscher unter den Autoren des Buchs, Boitani auch Präsident der LCIE, Large Carnivore Initiative for Europe. Von LCIE ist er der Einzige, der mitschreibt.
Die Redaktionsgruppe, auch wenn sie nicht als Herausgeber genannt wird, ist in der jahrelangen Diskussion um Wolfspräsenz und Herdenschutz ausreichend bekannt. Die Institutionen, die Wolfsforschung, Monitoring, wissenschaftliche Berichterstattung und Beratung in Österreich, Deutschland, Schweiz und Slowenien tagein tagaus bewältigen, wurden nicht angefragt oder lehnten eine Mitarbeit ab.
 
Nun könnte Boitani auch ein Thema im „Wolfsbuch“ anvertraut werden, das zentraler ist. Mit feiner Ironie meint Boitani, es sei eine politische Entscheidung, wann ein Hund oder Wolf als Hybride bezeichnet wird, denn streng genommen sind Nachkommen innerhalb einer Art keine Hybriden.
 
Luigi Boitani schreibt den Beitrag „Können sich Wolf und Hund paaren“. Nun könnte Boitani auch ein Thema im „Wolfsbuch“ anvertraut werden, das zentraler ist. Mit feiner Ironie meint Boitani, es sei eine politische Entscheidung, wann ein Hund oder Wolf als Hybride bezeichnet wird, denn streng genommen sind Nachkommen innerhalb einer Art keine Hybriden. Die beiden erstrangigen Wolfsspezialisten decken mit drei von 43 Artikeln sehr wenig zu den eigentlichen Wolfsthemen ab. Auf der anderen Seite schreibt Christine Miller die längsten Beiträge. Sie kommt nicht aus Forschung oder Monitoring. Ihre Informationen sind aus zweiter oder dritter Hand. Hier stimmen sehr viele Fakten nicht. Miller wertet Fachliteratur aus, wobei sie mit isolierten Sätzen arbeitet um die gegenteilige Aussage zu erreichen als der Autor, den sie zitiert, wie das Beispiel von Reinhard Schöller, Kulturgeschichte des Wolfs deutlich zeigt. Zu denken gibt ihr Beitrag Nr. 43 „Wieviel ein Wolf kostet“. Wie viel kosten die Almwirtschaft und die Milchwirtschaft die Gesellschaft?
 
Wenn Ausnahmen gesucht werden, statt von den normalen Vorgängen auszugehen, werden unbedarfte Leserinnen und Leser nicht korrekt informiert.
 
Klaus Hackländer schreibt, elektrifizierte Zäune seien zu wenig, um Schutz vor Wölfen zu bieten, da die Wölfe auch eine Höhe von 160 cm überspringen. Wenn Ausnahmen gesucht werden, statt von den normalen Vorgängen auszugehen, werden unbedarfte Leserinnen und Leser nicht korrekt informiert. Dass es Praxis ist, die Zäune nicht gut zu warten und Wölfe an Zäune gewöhnt werden, die kaum Strom führen und dem Schutzinstrument sein „Erziehungseffekt“ genommen wird, wird auch unterschlagen.
 
Herdenschutz beginnt bereits beim organisatorischen Umbau des Weidebetriebes, führt weiter über die Weideführung durch erfahrene Hirten und Hirtinnen, setzt auf Infrastrukturen auf den Almen – nicht nur Fahrstraße und Ausschank - und rundet bei den Herdenschutzhunden und der entsprechenden Kommunikation an Wanderer und Radfahrerinnen ab. Herdenschutzprojekte werden gefördert, Infrastrukturen ebenfalls durch öffentliche Finanzierung und Mitarbeit der Forstbeamten, aber beharrlich vom eigentlichen Interessensverband der Almwirtschaft negiert. Die Halter der kleinen Wiederkäuer bekommen die Sätze, die sie hören möchten, aber keine konkrete Unterstützung durch ihre Verbände.
Ulrike Pröbstl-Haider (Thema Wolf und Bergtourismus), die auch an der Universität für Bodenkultur in Wien lehrt wie Klaus Hackländer, zitiert eine österreichische Untersuchung zu Bergtourismus, Wolf und Weidetieren. Demnach lassen sich die meisten der Befragten aus dem urbanen Umfeld nicht von Wolfspräsenz beeindrucken und sind bereit einen Umweg zu gehen, um Weidetiere und Herdenschutzmaßnahmen zu respektieren. Das widerspricht der im Buch öfter wiederholten Behauptung, die Touristen würden ausbleiben, wenn Wölfe im Gebiet leben und Herdenschutzmaßnahmen ließen sich mit Bergsport nicht verbinden.
 
In derselben Zeitschrift, die Züger zum Thema zitiert (Hotspot 27), hält der Leitartikel fest, dass die Nutzungsintensität durch Bewirtschaftung auf die alpinen Lebensräume steigt. Mehr Tourismus und Stickstoffeinträge beeinträchtigen die Qualität der Landschaft und damit die Biodiversität.
 
Oder Marcel Züger zum Thema Biodiversität und Wolf im Alpenraum, Autor mit Biologiestudium und landwirtschaftlichem Hintergrund, beruflich mit maschinenunterstützten Weidepflegemaßnahmen beschäftigt. Kenner der Szene sagen: Züger hat wenig Ahnung von Wölfen und Biodiversität insgesamt (hier: Gartenrotschwanz und Baumpieper, Allerweltsvögel, sind bei ihm Zeigerarten des Gebirgsraums). Er bringt nur solche Elemente aus Studien, die seine These unterstützen, Wölfe veranlassen die Aufgabe der Beweidung. Entsprechend finden Offenland-Flora und Fauna einen reduzierten Lebensraum. Anders als Züger schreibt, nehmen auch die Tierarten, am besten untersucht bei den Vögeln, auf der alpinen Stufe ab. In derselben Zeitschrift, die Züger zum Thema zitiert (Hotspot 27), hält der Leitartikel fest, dass die Nutzungsintensität durch Bewirtschaftung auf die alpinen Lebensräume steigt. Mehr Tourismus und Stickstoffeinträge beeinträchtigen die Qualität der Landschaft und damit die Biodiversität. Die Biodiversität der Bergweiden wird nicht sichergestellt, indem Weidetiere aufgetrieben werden, es hängt von der Art der Beweidung ab. Wölfe kamen spät ins Spiel, Mitte der 1990er-Jahre kamen Wölfe aus den Abruzzen nach Piemont, in den weiteren Jahren zogen Wölfe Richtung Schweiz, Lombardei, Trentino, Südtirol und Österreich. Dieser Zeitraum ist zu kurz, um die Wechselbeziehungen von Vegetation, Insekten, Vögeln, Wölfen etc. zu erheben und zu verstehen, hingegen setzte die Auflassung der Beweidungspraxis bereits vor der Mitte des 20. Jahrhunderts ein.
Wie der Direktor des Amts für Natur, Leo Hilpold, in seinem Beitrag klarstellt, bildete sich die Artenvielfalt bei traditionell und standortgerechter Bewirtschaftung der Almweiden heraus, Mahd von Hand und Führung der Herden durch Hirten, die ständig bei den Tieren waren. Er benennt die Faktoren Nährstoff-Nullbilanz der traditionellen Bewirtschaftung und Almerschließung mit entsprechenden Folgen (Düngerimport aus den Tallagen, nicht Standort-angepasste Bestoßung und Überstoßung).
 
Die Technik der Ausblendung ist eine wichtige redaktionelle Taktik
 
Die Technik der Ausblendung ist eine wichtige redaktionelle Taktik: Natürlich hat der Tierarzt Helmuth Gufler recht, wenn er sagt, Bewegung der Nutztiere im Freien stärke die Gesundheit der Nutztiere, ihr physisches und psychisches Wohlergehen und mache die Lebensmittel aus den gealpten Tieren (Fleisch, Milch, Käse usw.) qualitätvoller. Allerdings sagt Gufler nicht, dass nur ein Bruchteil von Käse und Fleisch von Südtiroler Almweiden kommen, die überwiegende Mehrzahl der Milchkühe bleibt das ganze Jahr im Stall, die Milchziegen ebenso. Die Schafe werden zu zwei Dritteln an den italienischen Großhandel verkauft und prägen den Südtiroler Fleischmarkt nicht, weder im familiären Haushalt noch in der Gastronomie, was Alberich Hofer in seinem Artikel verständlicherweise beklagt. Frage an die Redaktion: Wölfe werden sehr isoliert behandelt, als ob sie sich nicht mit einer Reihe von anderen Tieren und Lebensräumen entwickelt hätten; der Begriff „landscape of fear“ fällt öfter. Wenn dem so gewesen wäre, dass Rehe oder Hirsche aus ständiger Furcht vor Wölfen unterernährt und mit schwachem Immunsystem dahingesiecht wären, ja, die Evolution hätte Beute und Beutegreifer ausgemustert.
 

Fazit

 
94 Fragen, und 321 Textseiten, und doch hat der Leser und die Leserin am Ende nicht den Eindruck, rundum zum Thema Wölfe informiert zu sein. Kapitel überschneiden sich, dasselbe Thema wird in unterschiedlichen Kapiteln, sogar von denselben Autoren, widersprüchlich dargestellt, wobei es nicht eine Frage von Meinung und Haltung ist, sondern Sachverhalte betrifft. Vor allem die Autorinnen und Autoren, die für längere Texte verantwortlich sind, schreiben sehr tendenziös: Der Subtext des Buchs zielt auf Forderung nach Abschuss von Wölfen, nicht auf Erhaltung der Almweiden.
Das Buch enthält zahlreiche Fotos, anders als der Großteil der Artikel vermuten ließe, sind es keine Schreckbilder, sondern Fotos von Wölfen im Gehege/Wildpark: Fotos von Wölfen in ruhiger Haltung. Die üblichen Fotos mit gefletschten Zähnen oder die aufgerissenen Weidetiere kommen sparsam nur in den thematisch passenden Artikeln vor. Sollte das Buch beim Durchblättern animieren, von Interessierten gekauft und angelesen zu werden, ohne bereits die weitgehend negative Grundhaltung des Buchs zu Wölfen zu zeigen?
Der Titel des Buchs „Wolf im Visier“ fasst es treffend zusammen. Geschäfts- und Politmodell im Schafspelz.
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Ceterum Censeo Fri, 01/20/2023 - 20:52

In reply to by Dietmar Nußbaumer

Wenn die Demokratie entschlieden hätte, wäre der Wolf schon ausgerottet, wir hätten auch auf jeden Gipfel eins Seilbahn hinaufgebaut, es gäbe keine Naturparke ... man hätte auf der Autobahn wohl Tempo 200 und in den Dörfern 90. Es ist gut, wenn in bestimmten Bereichen Experten entscheiden und nicht die stammtischvergiftete Wählerschaft.
A propos, hätte Italien demokratisch abgestimmt, gäbe es keine Autonomie und keine deutsche Sprache mehr in Südtirol.

Fri, 01/20/2023 - 20:52 Permalink
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Johannes Engl Fri, 01/20/2023 - 21:13

In reply to by Ceterum Censeo

Sie haben eine eigenartige Sicht von Demokratie.
Ohne Demokratie könnten sie wahrscheinlich nicht ungestraft unter einem Pseudonym ihre Unterstellungen zum besten geben.
Sie unterstellen, dass die Wähler so blöd wären, um Auto mit 90 durchs Dorf fahren lassen.
Tempo 200 gibt es europaweit nur in Deutschland. Sogenannte Experten (die Autoindustrie) sagt, dass das in Deitschland nötig ist, obwohl es in allen anderen Ländern mit 130 auch geht.
Also - ich würde nicht so salopp über die Demokratie herziehen. Das wäre mir zu blöd.

Fri, 01/20/2023 - 21:13 Permalink
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pérvasion Sat, 01/21/2023 - 13:29

In reply to by Ceterum Censeo

Nein, der springende Punkt ist aus meiner Sicht: Es wurde demokratisch entschieden und nicht von Expert:innen.

Naturparke, Tempolimits und Steuern gibt es zudem auch in der Schweiz, wo sie die Stimmbevölkerung jederzeit abschaffen könnte.

Sat, 01/21/2023 - 13:29 Permalink
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Hartmuth Staffler Sat, 01/21/2023 - 14:37

In reply to by Ceterum Censeo

Ich bin Teilnehmer eines Stammtisches, also in ihren Augen nicht nur vergiftet, sondern geradezu Ursache einer kollektiven Vergiftung. Bei uns sind alle Stammtischteilnehmer für Naturschutz und Naturparks, gegen weitere Seilbahnen, vor allem gegen die öffentliche Förderung unsinniger privater Seilbahnen (Tiers), gegen die Zerstörung von Biotopen (Beispiel Auwald Brixen), gegen alle (auch von Landtagsabgeordneten bzw. -innen) ausgeübten Bauspekulationen, die zu solchen Umweltfreveln führen, für Tempolimits usw., Alle sind sich aber darin einig, dass die Wölfe dezimiert werden müssen, um unsere Almen als Natur- und Kulturlandschaft zu erhalten. Ob bei einer allgemeinen Abstimmung die Befürworter oder die Gegner einer traditionellen Almwirtschaft, die nur ohne Wölfe möglich ist, die Oberhand hätten, kann man nicht voraussagen. Aus diesem Grund werden ja auch keine Abstimmungen zugelassen, weil man Angst vor einem möglichen Ergebnis hat.

Sat, 01/21/2023 - 14:37 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Fri, 01/20/2023 - 22:14

C.C. findet die Expertokratie wünschenswert. Diese hat uns auch die freie Marktwirtschaft und die globale Erwärmung beschert. Nächster Schritt Ökodiktatur als einziger Ausweg?

Fri, 01/20/2023 - 22:14 Permalink
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Salto User
Günther Alois … Sat, 01/21/2023 - 09:15

Die Experten,die keine sind,nur Theorie,keine Ahnung was in solchen Tieren wirklich vorgeht! Sollen mal 10 Saisonen auf einer Alm arbeiten,wo Wölfe unterwegs sind,dann hört die Theorie auf,es kommt die Praxis.Nutzloses Buch ,ohne Fundament in meinen Augen.

Sat, 01/21/2023 - 09:15 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Sat, 01/21/2023 - 12:47

Wer macht dann in der sogenannten Demokratie die Gesetze? Das Volk darf nicht mitentscheiden, die Experten auch nicht??? Im Übrigen ist dieses ganze Tamtam um den Wolf nur ein armseliges grünes Mäntelchen, das die italienische und EU-Politik überzieht. Der Rest, wie wir wissen, entwickelt sich ja so, wie es der Club of Rome vor 50 Jahren vorausgesagt hat.

Sat, 01/21/2023 - 12:47 Permalink
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Josef Fulterer Sun, 01/22/2023 - 16:07

In reply to by Dietmar Nußbaumer

Da es Wilderer infolge der strengen Waffengesetze kaum mehr gibt und die Jäger mehr auf einmalige Trophäen aus sind, wagen sich selbst die früher sehr scheuen Gemsen bis in Obstwiesen vor.
Nicht bejagdes Wild verliert die Scheu und ...
"Das WOLFs-MONITORING lässt sich die Politik Einiges kosten," während man bei der Entschädigung von gerissenen Tieren um jeden Cent knausert.

Sun, 01/22/2023 - 16:07 Permalink
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Gerold FIEDLER Sun, 01/22/2023 - 17:33

In reply to by Josef Fulterer

Im Gegensatz zu den Nachbarregionen wie Schweiz, Trentino oder Nordtirol wird das Wolfsmoitoring in Suedtirol bestenfalls auf dem Papier durchgefuehrt, leider, da ein umfassendes Monitoring die wichtigste Grundlage fuer jegliches
"Manegement" in der Grossraubwildproblematik darstellt. Da helfen Buecher von selbsternannten Experten nicht weiter. Die Polarisierung wird nur vorangetrieben.

Sun, 01/22/2023 - 17:33 Permalink