Aktiv Vater sein
Haben Sie schon einmal den Rand eines Spielplatzes beobachtet? Haben sie die Bänke bemerkt, die sich etwas abseits der Sandkästen einander reihen und auf denen Erwachsene sitzen um mit einem Auge ihre Kleinen zu beobachten, mit dem Anderen sich mit ihren Nachbarn zu unterhalten? Haben Sie auch mal darauf geachtet wie viele davon Frauen, und wie viele Männer sind? Die Erwachsenen mit Bart in diesem Bild lassen sich wohl auf einer Hand abzählen.
Umfragen widerspiegeln die Sandkastengleichung: Laut der 2016 durchgeführten Familienstudie der Astat bleibt bei 81 Prozent der Befragten hauptsächlich die Mutter daheim, wenn die Kinder krank sind. In 77 Prozent der Fällen bereitet die Mutter das Essen für die Kinder zu, bei 73 Prozent ist sie für das Anziehen der Kinder verantwortlich und 60 Prozent gaben an, dass die Mutter auch die Hausaufgaben und das nächtliche Aufstehen übernimmt, wenn das Kind weint.
VäterAktiv versucht als Sozialgenossenschaft und Verein Südtiroler Familien bei einer balancierteren Verteilung der Erziehungsrolle zu unterstützen. „Unser Ziel ist es, Väter darin zu motivieren und zu unterstützen, aktiv Vater zu sein“, erklärt der Präsident der Sozialgenossenschaft Michael Bockhorni. Das versucht die Organisation unter anderem durch Sensibilisierungs- und Öffentlichkeitsarbeit.
Laut dem Präsidenten und zweifachen Vater Bockhorni kommt dem Vater eine spezifische Rolle, in Abgrenzung zur Mutter, zu: „Das Kind kommt im Bauch der Mutter zur Welt, daher ist das Weibliche bekannt und selbstverständlich für das Kind. Mit der Geburt bekommt es aber mit, dass es noch eine Außenwelt gibt. Das Kind lebt dann in einer ständigen Ambivalenz zwischen der Neugier auf Neues und der Geborgenheit des Bekannten. Und hier spielt der Vater eine Schlüsselrolle. Je früher der Vater sich bereits in der Schwangerschaft involviert, desto früher lernt das Kind beide Qualitäten kennen. Insofern kann der Vater das Kind darin unterstützen, in die Welt zu gehen.“
Diese Erkenntnisse sind entwicklungspsychologisch erforscht, die Wichtigkeit eines aktiv involvierten Vaters wissenschaftlich bewiesen. Selbst die Natur zeigt es vor: Bei Seepferdchen etwa tragen Männer das Ei teilweise in der Bruttasche mit aus. Und dennoch fallen immer wieder Aussagen, wie Ein Kind gehört zu seiner Mutter. Laut Michael Bockhorni widerspiegeln sie Gewohnheiten, die daher kommen, dass früher keine anderen Facetten zugelassen wurden: „Das sind Bilder die traditionell z.B. von der Kirche geprägt wurden. Das war aber nicht immer so. Bis 1870 ging das Sorgerecht für Kinder noch an den Mann. Denn der Mann war der Vertreter der Familie und ihm gehörten somit alle Rechte, inklusive der Kinder. Damals blieben die Väter als Handwerker oder Bauern auch noch zuhause. Erst mit der Industrialisierung und der Geburt der ‚Kleinfamilie’ gingen Väter außer Haus und der Frau wurden die typischen Haushaltsaufgaben wie Kinderbetreuung zugeschrieben.“
Die Verbindung von Arbeit und Familie auf einen einzigen physischen Raum sorgte für eine gerechtere Aufteilung beider Bereiche zwischen Mann und Frau. Laut dem Sozialwissenschaftler Bockhorni hängt ein traditionelles Familienleben weniger mit länderspezifischen Kulturen zusammen. Er weiß es, denn als Sozialarbeiter arbeitete er jahrelang mit Migranten und Flüchtlingen. Vielmehr handle es sich um eine Milieufrage: In bäuerlichen und ländlichen Kreisen wird ein traditionelleres Familienbild geprägt, während im urbanen und akademischen Milieu die Bildungsaufgaben zwischen den Geschlechtern verteilt sind.
Papa arbeitet, Mama bleibt zu Hause: Wie sieht es in Südtirol aus?
In Südtirol habe man eine balancierte Verteilung pädagogischer Verantwortung noch nicht erreicht, meint Bockhorni. Nur 15% der Mitarbeiter in der Privatwirtschaft beanspruchten Vaterurlaub, Teilzeitväter machten gerade mal 6% aus. Das liege nicht zuletzt an politischen Rahmenbedingungen, erklärt Bockhorni, der früher selbst Teilzeit Papa war. Das Recht auf Teilzeitarbeit ist zwar gesetzlich gewährleistet, allerdings unglaublich bürokratisch und starr.
Änderungsbedarf besteht aber nicht nur in Gesetzbüchern, sondern insbesondere in den Köpfen der Menschen, bestätigt auch der Präsident von VäterAktiv Bockhorni: „Aus meiner Praxiserfahrung bekomme ich immer wieder mit, dass die Väter, die Teilzeit beantragen, großes Stirnrunzeln oder Kopfschütteln als Antwort erhalten. Und das sogar im sozialen Bereich, was mich sehr gewundert hat.“ Dennoch ist Südtirol stark im Umbruch, freut sich der Sozialarbeiter. Die Anzahl der Väter, die Vaterurlaub beanspruchen, hat sich in den letzten fünf bis zehn Jahren fast verdoppelt. Junge Väter unter 35 beginnen, sich von traditionelleren Vaterrollen zu lösen und das Sandkastenbild langsam zu diversifizieren. Die Europäische Union versucht, die Länder dazu zu bringen, vermehrt Möglichkeiten zu Vaterschaftsurlaub zu bieten. Die Vorgabe der EU liegt nun bei 15 Tagen Mindestbeurlaubung bis 2030. Die italienische Regierung arbeitet zurzeit an der Umsetzung und will jedes Jahr einen Tag Vaterurlaub mehr gesetzlich festlegen. In anderen Ländern werden Schritte hin zu sogenannten Elterngeldkonten eingeleitet. Je nach Alter und berufliche Situation, können Eltern flexibel Teilzeitarbeit aufteilen und anpassen.
Als Vater zuhause zu bleiben, ist nichts Exotisches!
Diese Richtung will VäterAktiv mit Kampagnen und Weiterbildungen von pädagogischem Personal unterstützen. Denn Änderungen fangen im Kleinen an, ist der Präsdient Bockhorni überzeugt: „Es geht darum, Die Bevölkerung mit Fakten und Gesprächen aufzuklären und zu zeigen: das ist nichts Exotisches! Insbesondere gilt es, Unternehmen miteinzubinden, um wenigstens ein Klima der Väterfreundlichkeit und Gleichberechtigung zu schaffen. Oft braucht es dafür gar nicht viel. Zum Beispiel dass ein Vater mal von der Arbeit gehen kann, oder erst später kommen, um den Sohn zum Arzt zu bringen. Da besteht viel Spielraum bis zur tatsächlichen Gesetzesänderung“
In einem Thema hingegen, das viele Väter beschäftigt, ist Italiens Recht überraschend fortschrittlich: das gemeinsame Sorgerecht. „Das, was sich Österreicher und Deutsche erst jetzt über den Europäischen Gerichtshof erkämpfen mussten, sieht das Italienische Recht schon seit 2006 vor,“ erklärt Bockhorni. „Das Problem liegt vielmehr in der Rechtssprechungspraxis. Dass jeder Richter seit 2006 das geteilte Sorgerecht erlaubt hätte, davon sind wir noch weit entfernt. Hier zählt wieder die klassische Ansicht ‚Das Kind gehört zur Mutter’.“ Zusätzlich bleibt die Höhe des Elterngelds in Italien für jedes Kind gleich, während in Deutschland beispielsweise die Summe beim zweiten und dritten Kind etwas niedriger ist. „Das kann zu Folge haben, dass man bei 3 Kindern auf über 1000 Euro kommt. Sie können sich vorstellen, dass das bei einem Familienvater mit normalem Einkommen zu finanziellen Schwierigkeiten führen kann,“ so der Präsident von VäterAktiv.
Aber auch hier kann Michael Bockhorni generationsbedingte Verbesserungen bezeugen. Elternteile, die ihren Partnern das Sorgerecht verweigern, kommen kaum mehr vor. Und auch die Rechtspraxis ist laut Bockhorni flexibler geworden. „Das kommt davon, dass eine neue Generation von Richterinnen und Richtern in Bozen in den Dienst getreten ist.“
Wollen Männer überhaupt diese Verantwortung übernehmen?
Nimmt man die gesetzlichen Möglichkeiten beiseite, bleibt die individuelle Motivation der Väter. Wollen Männer überhaupt diese Verantwortung übernehmen? Von Familiensprengeln weiß Bockhorni, dass viele Väter damit überfordert sind. Oft zeige sich aber, dass gerade nach einer Trennung den Vätern bewusst wird, wie kostbar die Zeit mit den eigenen Kindern ist. Bockhorni schildert aus seiner Praxiserfahrung: „Man kann davon ausgehen, dass in den traditionellen Familienrollen, die noch bestehen, die meisten Väter viel arbeiten und dementsprechend wenig Zeit für ihre Kinder haben. Nach einer Trennung wird ihnen dann bewusst, was sie verloren haben. Und dann wollen sie wirklich, können aber nicht. Sowohl aus pädagogischen Gründen, als auch, weil die Arbeitszeiten es nicht zulassen.“
Solchen verspäteten Einsichten möchte die Sozialgenossenschaft VäterAktiv vorbeugen und bietet deshalb Beratungen für Väter an, wie zum Beispiel den Papa Startup Kurs für frischgebackene Väter. „Leider gab es kaum Nachfrage“, bedauert Bockhorni: „Vor der Geburt sind interessanterweise alle Väter sehr optimistisch und von gar keinen Sorgen geplagt. Erst nach der Geburt kommt der große Schock für viele Männer darüber, plötzlich an dritter Stelle zu stehen.“
Zeit, um sich darauf vorzubereiten, oder es mit dem Partner zu bereden, bleibt nicht. Denn wenn das Kind da ist, ist es da. Dafür gibt es keinen Standby-Knopf. Aus diesem Grund empfiehlt der Experte die Konsultation mit Beratungsstellen wie Väteraktiv, bereits vor dem ersten Nachwuchs. Denn die klassischen Reaktionen vieler Väter lassen dann meist nicht lange auf sich warten. Sie reichen von stillem Ertragen bis hin zu Gereiztheit, von Rückzug in ein Hobby oder die Freunde. Das führt zu Konflikten, denn die wenigsten Männer schaffen es, das Problem offen anzusprechen. Für das Kind, die Familie und die Partnerschaft ist die richtige Problembewältigung daher entscheidend.
Den Knackpunkt verortet der pädagogische Vaterbegleiter in der Zeiteinteilung. „Man muss die richtige Balance finden zwischen fünf verschiedenen Zeiten. Erstens, Mutter-Kind Zeit. Zweitens, und das auch von Beginn an, eine Vater-Kind Zeit. Drittens, eine Vater-Mutter-Kind Zeit. Dann sollte es natürlich auch eine Paar-Zeit geben. Und schlussendlich braucht eine Beziehung jeweils eine Eigenzeit für den Vater und eine Eigenzeit für die Mutter. Und genau das geht leider viel zu oft verloren.“
Casting zum Super Daddy Südtirol
In diese gesunde Strukturierung, die Luft lässt für eigene Freiräume, die Gefühle und die Beziehung im Kinderstress nicht vernachlässigt und auch für den kostbaren Aufbau des Verhältnisses beider Elternteile zu den Kindern sorgt, will der Verein seine Väter bewusst führen. Um den Austausch unter Vätern zu fördern, organisiert VäterAktiv ab 19. Mai ein Casting zum Super Daddy Südtirol. Die besten drei Bewerber werden ein Jahr lang mit der Genossenschaft für Sensibilisierungskampagnen und Workshops auf Tour gehen. Dort sollen nicht nur Väter motiviert werden, eine größere Rolle in der Kindeserziehung einzunehmen, sondern es geht auch um die Vermittlung einer wichtigen Erkenntnis: „Es geht hier nicht um Supermamis und Superpapis. Die besseren Mütter oder Väter sind jene, die wissen, dass Kinder Aufmerksamkeit und Zeit brauchen, aber auch glückliche Eltern, die sich die nötige Zeit für sich selbst nehmen. Das hilft Kindern zu lernen, dass sie eigenständige Persönlichkeiten sind, die sich selbst verwirklichen können. Wenn Eltern später das Gefühl haben, für die Kinder alles geopfert zu haben, ist das kein gutes Vorbild. Außerdem soll man Kindern auch weitergeben, dass man als Mensch nicht perfekt sein muss und selbst die Eltern nicht immer alles schaffen.“