Welche Zukunft hat die Politik?
Ein Beitrag von Valentina Gianera
Blauäugige Aktivist:innen und pragmatische Realpolitiker:innen? Ist das tatsächlich so, wenn institutionelle Politik auf Aktivismus trifft? Die start.klar Reihe im Jugend- und Kulturzentrum UFO in Bruneck fragt nach und stellt sich gleichzeitig die Frage: Wo passiert Politik und welche Gestaltungsmöglichkeiten hat Politik zwischen Lobbys, Sachzwängen und Bürgeransprüchen heute?
Am Montag, dem 24. Oktober (20 Uhr), diskutiert Moderator Markus Lobis mit zwei Gästen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise politisch engagieren: Rosmarie Pamer ist SVP-Bürgermeisterin von St. Martin in Passeier. Innerhalb ihrer Partei wird sie als “kritischer Geist” wahrgenommen, die sich nicht scheut, Missstände beim Namen zu nennen. Pamers institutionellem politischen Engagement steht der politische Aktivismus von Zeno Oberkofler gegenüber: Oberkofler ist einer der Köpfe der Fridays for Future-Bewegung in Südtirol und stellt als Aktivist klare Forderungen an die Politik.
Salto.bz hat vorab fünf Fragen in den Raum geworfen, um Publikum und Gäste auf die Diskussion einzustimmen. Zur Debatte steht: die Zukunft der Politik selbst.
Salto.bz: Rosmarie Pamer, Zeno Oberkofler, wem hören Sie zu, bevor Sie eine politische Entscheidung treffen oder sich hinter eine bestimmte Forderung stellen?
Rosmarie Pamer: In der Gemeinde müssen tagtäglich Entscheidungen getroffen werden, viele davon bekommen die Bürger:innen nicht mit, weil sie mit der Verwaltung zu tun haben. Hier sind natürlich die ersten Ansprechpartner:innen mein Gemeindesekretär und meine politischen Mitstreiter:innen. Wichtig ist auch, dass man im Dorf präsent ist, gute Antennen hat und auch die Meinungen der Bürger:innen in die Entscheidungsfindung miteinfließen lässt. Hier habe ich sehr gute Erfahrung mit Partizipationsprojekten und Planungswettbewerben gemacht.
Zeno Oberkofler: Ich tausche mich mit meinen Mitstreiter:innen in der Klimabewegung aus, die Experten:innen und Freund:innen zugleich sind. Ich kann mich immer auf sie verlassen.
Beim UFO-Diskussionsabend stehen sich zwei unterschiedliche Arten der Politik gegenüber: ein institutioneller und ein aktivistischer Weg. Ein Widerspruch?
Pamer: Das ist überhaupt kein Widerspruch. Aktivismus bezieht sich meist auf ein einziges, aktuelles Thema und kann für uns Politiker:innen einen Impuls darstellen, sich mit den entsprechenden Themen auseinanderzusetzen. Daher ist aus meiner Sicht diese Art der Meinungsbildung auch fruchtbar und eine Bereicherung für die Politik. Wir als Institutionen und Politiker:innen müssen allerdings das Gesamtbild im Auge behalten und Entscheidungen sehr vielschichtig überdenken.
Oberkofler: Absolut kein Widerspruch. Es gibt nicht "die Politik" und dann den Rest. Politik kann und sollte man überall machen: in der Zivilgesellschaft, in den Institutionen, in den Vereinen, in der Uni, am Arbeitsplatz, in der Schule... Das alles geht Hand in Hand.
Politische Reife zeigt sich auch darin, sich eine Meinung zu bilden und diese auch mit der eigenen Stimme zu untermauern. - Rosmarie Pamer
Zwischen Skandalen und fehlenden Gestaltungsräumen haben viele das Vertrauen in die Politik verloren. Was bewegt Sie dazu, sich weiterhin im politischen Raum zu engagieren?
Oberkofler: Nur, wenn die Zivilgesellschaft aufsteht, haben wir die Möglichkeit, uns gegen die ökonomische Macht von großen Akteur:innen wie z. B. die fossile Industrie oder die IT-Giganten durchzusetzen. Ziehen sich die Bürger:innen zurück, wird der Gestaltungsspielraum immer geringer und das Interesse von wenigen überwiegt immer mehr. Nur durch aktives politisches Engagement können wir diese Spirale brechen und die gigantischen Herausforderungen dieser Zeit im Sinne des Gemeinwohls angehen.
Pamer: In meiner Position erfahre ich viel Zuspruch und Unterstützung aus der Bevölkerung. Das motiviert mich und zeigt mir, dass Engagement unabhängig von politischer Ausrichtung geschätzt wird. Natürlich ist es nicht einfach bei der allgemein vorherrschenden Politikverdrossenheit, den Spagat zwischen Realpolitik mit Bürgernähe und der überbordenden Bürokratie mit trockener Verwaltungspolitik zu schaffen.
Die Nichtwähler:innen waren bei den letzten Parlamentswahlen mit 36 Prozent (!) die zweitstärkste Partei. Was bedeutet das für die repräsentative Demokratie?
Pamer: Dies ist sicher eine sehr negative Entwicklung, bedeutet aber in der Realität nichts. Die Gewählten werden in den nächsten Jahren unseren Staat führen, das ist Demokratie. Nicht wählen bedeutet, sich stillschweigend dem Ergebnis zu beugen. Politische Reife zeigt sich auch darin, sich eine Meinung zu bilden und diese auch mit der eigenen Stimme zu untermauern. Wobei hingehen und weiß wählen ein klares Statement der Unzufriedenheit, gegenüber unserer politischen Landschaft wäre und die Verantwortlichen zum intensiven Nachdenken anregen könnte.
Oberkofler: Man kann nicht einfach so weitermachen und so tun, als sei alles ok. Die perfekte Lösung kennt wahrscheinlich niemand, aber was meiner Meinung nach sicher dazugehört, ist: das Wahlrecht ab 16, die Möglichkeit, auch im Inland per Brief zu wählen, eine neue politische Diskussionskultur (hier sind sowohl politische Vertreter:innen als auch die Medien gefordert), schnellere und nachvollziehbare Entscheidungen, mehr Partizipation in Form von Bürgerräten, eine ehrliche Fehlerkultur (auch Politiker:innen sind Menschen), politische Bildung, Kurse zum Umgang mit sozialen Medien und mehr Raum für Begegnung und Diskussion.
Man kann nicht einfach so weitermachen. - Zeno Oberkofler
Welche positiven Entwicklungen haben Sie in den letzten Jahren im Bezug auf das politische Engagement der Bürgerinnen und Bürger beobachten können?
Pamer: Leider habe ich in den letzten Jahren beobachtet, dass das politische Engagement aus den unterschiedlichsten Gründen eher abnimmt. Politik machen bedeutet, dass man unter der öffentlichen Lupe steht, dass man kritisiert wird und politische Entscheidungen hinterfragt werden. Viele bleiben lieber in der Komfortzone und wollen sich das nicht antun. Ein Weg für mehr politisches Engagement vor allem auch bei Jugendlichen ist natürlich der partizipative Ansatz, dieser braucht aber Zeit und wir Politiker:innen geben damit Macht aus den Händen. Viele sind dazu aber nicht bereit.
Oberkofler: Wer sich um die Zukunft sorgen macht und aktiv werden möchte, ist nicht mehr allein. Er/Sie kann Mitstreiter:innen finden und sich einer Bewegung anschließen.