Eine Frage der Perspektive
Herr Isler, was macht ein Nachhaltigkeitsbeauftragter eines globalen Konzerns wie Ikea?
Lorenz Isler: Als Verantwortlicher für Nachhaltigkeit der Ikea Schweiz sorge ich dafür, dass die globale Nachhaltigkeitsstrategie in der Schweiz implementiert und vorangetrieben wird. Wir engagieren uns primär in drei Bereichen: zum Schutz der Umwelt wollen wir unseren eigenen Energie und CO2-Konsum herunterschrauben und investieren vermehrt in erneuerbare Energien; weiter helfen wir unseren Kunden mit unseren Produkten Energie, Wasser und Abfall zu reduzieren; schliesslich arbeiten wir auf globaler und nationaler Ebene mit Menschen und Gemeinschaften.
Agiert die Ikea Schweiz hier autonom?
Wir haben eine globale Nachhaltigkeitstrategie. Danach entscheiden wir, was für die Schweiz Sinn macht. Ikea Schweiz ist so etwas wie ein Pionierunternehmen, wenn es um das Ausprobieren von Neuem geht; zum Beispiel verkaufen wir als 3. Land weltweit Solaranlagen für private Abnehmer. Wir versuchen oft einen Schritt voraus zu sein.
Geht es bei dieser Nachhaltigkeitsstrategie darum, das Image von Ikea als Billig- bzw. Wegwerfproduzent aufzumöbeln, also quasi "green-washing" zu betreiben?
Ich glaube nicht, dass wir unser Image aufzupolieren versuchen, dafür ist das Ganze zu breit angelegt und zu stark in unsere Geschäftsstrategie verankert. Wir wollen wirklich Veränderung herbeiführen. wenn Sie bedenken, dass Ikea stets ideologisch-pragmatisch agiert hat. Beispielsweise vor Jahrzehnten als es das erste Unternehmen war, das seine Versand-Verpackungen flach entworfen hat; wir versuchen laufend unsere Prozesse in diese Richtung zu optimieren und im Gegensatz zu anderen Unternehmen resultieren bei uns keine höheren Margen daraus, sondern wir investieren in bessere Preise für unsere Kunden.
Bis 2020 wollen wir gleichviel erneuerbare Energie produzieren wie wir verbrauchen.
Für mich stellt sich auch die Frage, wer definiert, wie lange ein Produkt hält oder wann es weggeworfen wird. Denken Sie nur einmal an Esswaren – in der Schweiz werfen wir ein Drittel der eingekauften Lebensmittel weg. Ist darum jeder Lebensmittelverkäufer ein Wegwerfproduzent? Wir haben Produkte, die man mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte behalten kann.
Welches sind dann die Herausforderungen für einen multinationalen Konzern wie Ikea?
Die knappen Ressourcen, der Klimawandel, die wachsende Zahl von Konsumenten, das sind unsere Knackpunkte. Wir wollen ja in 30 oder 40 Jahren auch noch am Markt bestehen und deshalb müssen wir heute nach Lösungen suchen, wie das möglich ist. Was beispielsweise den Klimawandel angeht, hat sich Ikea vor 5 Jahren entschieden, hier politisch aktiv zu werden: wir sind von UNO-Sekretär Ban Ki Moon zum Climate Summit 2014 eingeladen worden und haben dort unsere Strategie vorgestellt.
Ikea will also helfen, das Klima zu verbessern?
Wir haben weltweit 500 Leute in unseren Unternehmen die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen und arbeiten oft an 100-Prozent-Zielen. Ikea investierte in den letzten Jahren 1,5 Milliarden Euro in erneuerbare Energien, von Solarmodulen bis hin zu Windturbinen. Bis 2020 wollen wir gleichviel erneuerbare Energie produzieren wie wir verbrauchen, das ist unser Ziel und das haben wir auf dem Weltklimagipfel so kommunizert. In der Schweiz haben wir den Energieverbrauch pro qm-Fläche um 14 Prozent gesenkt. Unsere Geschäftsstrategie ist keine philantropische Zusatzidee, sondern gezielt verfolgte Unternehmensphilosophie.
Ikea ist aber auch ein Unternehmen das wie kein anderes Rohstoffe wie Holz und Baumwolle verbraucht.
Es stimmt, das sind unsere Hauptressourcen. Wir setzen uns aber dafür ein, dass diese Rohstoffe aus nachhaltigen Quellen stammen. So sind wir Mitbegründer des Forest Stewardship Councils, einem internationalen Standard der nachhaltige Forstwirtschaft fördert. Bis 2020 soll unser Holz, Karton und Papier zur Gänze FSC-zertifiziert oder recyclet sein.
Trotzdem gab es hierzu Beschwerden und Medienberichte, die besagen, dass Ikea Holz aus unter Schutz stehenden Wäldern in Karelien schlug?
Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst und gehen den Hinweisen aus diesen Beiträgen selbstverständlich im Detail nach, denn wir möchten nachhaltige Forstwirtschaft betreiben. Diese Beiträge im Fernsehen wie auch in den Zeitungen entsprachen oft nicht der Wahrheit und sind sehr einseitig. Die Behauptung beispielsweise, dass Ikea 600 Jahre alte Bäume fällt, war beispielsweise schlicht irreführend. Die Wälder im nordrussischen Karelien sind im Schnitt 160 Jahre alt, in ihnen befinden sich jedoch auch Bäume, die deutlich älter sind. Diese älteren Bäume werden jedoch nicht für Ikea Produkte verwendet. Karelien ist ein Gebiet von hohem Naturschutzwert. 22% unseres Pachtbereichs wurden als besonders schützenswerter Wald (High Conservation Value Forest - HCVF - laut Definition des FSC) identifiziert. Hier führen wir keine Baumfällungen durch.
Wenn man ein Lieferant für Ikea werden will, welche Auflagen muss man erfüllen?
Wir gehen nach unserem eigenen Code of Conduct vor, der unter vielem anderen folgendes vorsieht: Keine Kinderarbeit, keine Zwangs- oder Fronarbeit, keine Diskriminierung, Vereinigungsfreiheit, Mindestlöhne und Überstundenkompensation, ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld, Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung vorbeugen und den Energieverbrauch senken. 95 Personen reisen weltweit herum und überprüfen unsere Lieferanten, erstellen Verbesserungslisten, reauditieren ein weiteres Mal; danach kommen in vielen Fällen die externen Inspektoren und prüfen wiederum unsere Audits.
Da steht ein Kamerateam vor dem verschlossenen Fabrikstor und das suggeriert schon einmal, wo der Bericht hingeht...
Natürlich ist es so, dass in China andere Standards gelten als in Europa, dort sind die Wochenarbeitszeiten extrem hoch, aber wir sagen auch, wir wollen das nicht und bringen die Arbeitszeit schrittweise auf 60 und dann 49 Stunden runter, bei gleichbleibendem Lohn. Sehr oft bezahlt Ikea einen Lohn, der deutlich über dem Minimumentgelt in den Ländern liegt. Weiter arbeiten wir zur Zeit an einem Projekt mit dem Fair Wage Network und versuchen die Erkenntnisse daraus in unsere Wertschöpfungskette zu übertragen.
Wie ist es in Weißrussland, wo ein TV Beitrag im Jahre 2014 Mitarbeiter zeigte, die sagen sie würden nicht fair bezahlt werden, gar ausgebeutet?
Es wird in jedem Unternehmen, wo Sie mit versteckter Kamera filmen jene Arbeiter geben, die solches in die Kamera sagen. Tatsache ist, dass diese Mitarbeiter deutlich mehr bekommen als der regionale Mindestlohn vorsieht. Auch die Art dieser Beiträge zeigt meist schon auf, wo es hingehen soll. Da steht ein Kamerateam vor dem verschlossenen Fabrikstor und das suggeriert schon einmal, dass hinter diesem Tor nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Wenn Sie sich als Journalist heute anmelden, dann sollten Sie auch reingelassen werden, es gibt schließlich Sicherheitsauflagen in den Betrieben.
Doch könnte man hier auch argumentieren, wenn man zu 100 Prozent ein reines Gewissen hat, dann hat man nichts zu verstecken, oder?
Ja, das stimmt sicher, doch dient die Anmeldung nicht dazu, um irgendwelche Missstände zu verstecken, sondern es muss wirklich jemand da sein, der das Filmteam betreut und herumführt. Wir nehmen alle jene Fälle sehr ernst, wo es nicht klappt oder Fehler gemacht werden. Und wenn es wirklich Missstände gibt, korrigieren wir diese. Wenn man beispielsweise den Weißrussland-Fall anschaut. zeigen unsere Informationen in eine komplett andere Richtung als der TV Beitrag: Der gesetzliche Mindestlohn in Weißrussland liegt bei 120 € im Monat (2014).
Wir spekulieren nicht mit Menschen oder Rohstoffen auf negative Weise.
Das durchschnittliche Einkommen in der Region, in der unser Lieferant angesiedelt ist, beträgt 402 € im Monat. In der Fabrik, die das TV-Team besucht hat, liegt der Durchschnittslohn der Fabrikarbeiter bei 443 €. Dann zu den Arbeitszeiten: Bei den Angaben zu den Arbeitszeiten provoziert der TV-Beitrag den Eindruck, dass unser Vertragspartner seine Mitarbeiter ausbeutet. Wenn man den Kontext anschaut, sieht das etwas anders aus: der normale Einsatzplan in dieser Produktionsstätte sieht vor, dass man zwei Tage Arbeiten im Wechsel mit zwei Tagen frei hat. Die einzelnen Schichten betragen 3.5, 8 oder 11.5 Stunden. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in dieser Fabrik beträgt 40 Stunden. Die im Beitrag angesprochenen Zwölf-Stunden-Schichten sind in dieser Region nicht unüblich und wurden in Absprache mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eingeführt. Es ist auch so, dass 60 Prozent der Ikea-Produktion in Europa stattfindet, in diesem TV-Beitrag wurden einfach sehr viele Punkte nicht genannt.
Alles eine Frage der Perspektive sozusagen?
Zumindest machen wir keine systematischen Fehler, das heißt wir spekulieren nicht mit Menschen und Rohstoffen auf negative Weise. Fehler werden immer gemacht werden.
Wenn die Ikea-Unternehmenspolitik so gut greift, dann könnte auch der Einfluss auf die Politiker in jenen Ländern geltend gemacht werden, wo die Arbeitsbedingungen nicht so rosig sind, beispielsweise in China oder Indonesien?
Ich glaube, das würde unsere Rolle übersteigen, wir stellen best-practice-Modelle zur Verfügung und betreiben unsere Fabriken in den Ländern des Südens mit unseren sozialen und umwelttechnischen Standards. Dies hat dann wiederum einen Einfluss auf die anderen Fabriken in dieser Region. Wir gehen aber nicht zu den Politikern und verhandeln die Gesetze im Land, dafür betreiben wir das über unsere global advocacy im Bereich Klimaschutz. Wir schaffen gute Bedingungen für unsere Zulieferer und deren Lieferanten und das greift. In Vietnam, wo ich letztes Jahr war, sagte mir ein Lieferant, er könnte an Ikea keine gewobenen Stühle liefern, da er nicht garantieren kann, dass keine Kinderarbeit damit verbunden ist.
Ikea ist wie alle anderen großen Marken unter steter Beobachtung, auch das verpflichtet?
Das ist sicherlich wahr; wir können es uns schlichtweg nicht leisten, etwas falsch zu machen - das kommt sehr schnell raus, Medien haben ja ein ganz besonders wachsames Auge auf uns, wie man immer wieder sieht.
Der Kongress Think more about - die Tage der Nachhaltigkeit in Brixen finden vom 21. bis 23. Mai statt. Lorenz Isler ist Referent dort, neben vielen anderen Experten.