Endlich wieder Demokratie?
Es steht nicht besonders gut, um den Glauben an die Demokratie. Laut Istat-Erhebung betrug die Wahlbeteiligung der italienischen Bevölkerung im Jahr 2019 lediglich 59% und unsere Nachbarn in Tirol lagen mit 60% bei den Landtagswahlen 2021 nur knapp darüber. Studien belegen, dass jede/r dritte ItalienerIn dem demokratischen System entweder gleichgültig gegenübersteht oder in gewissen Situationen gar ein autoritäres Regime bevorzugen würde. Viele fühlen sich von ihren Volksvertretern schlichtweg nicht angemessen wahrgenommen oder repräsentiert. Die Folgen: Partizipation bzw. die Beteiligung am politischen Prozess leiden und Entscheidungen von politischen Autoritäten entfernen sich immer weiter vom eigentlichen Willen des Volkes. Im digitalen Zeitalter aber könnte „Demokratie so viel mehr sein, als nur alle paar Jahre eine Stimme abzugeben“, so Wietse Van Ransbeeck, CEO und Mitbegründer von „CitizenLAB“. Die belgische Plattform für Bürgerpartizipation ist ein Paradebeispiel dafür, inwiefern digitale Demokratie das Potenzial besitzt, mithilfe des Internets, Bürgerpartizipation und die demokratische Teilhabe am öffentlichen Geschehen sowie die politische Formung des alltäglichen Lebens zu revolutionieren, angesetzt an lokalen Gemeinde- und Stadtverwaltungen.
Eine Brücke zwischen BürgerInnen und Verwaltungsorganen
Was im Jahre 2015 als Start-Up von den drei belgischen Studierenden Aline Muylaert, Koen Gremmelprez und Wietse Van Ransbeeck ins Leben gerufen wurde, ist mittlerweile ein global operierendes Unternehmen, bestehend aus einem internationalen Team von sechzig MitarbeiterInnen, das mit mehr als 400 lokalen Regierungen zusammenarbeitet, sei es in größeren Städten, wie Brüssel, Wien oder London, bis hin zu kleineren Gemeinden. CEO und Mitbegründer Wietse Van Ransbeeck legt den Anstoß zur Gründung von CitizenLAB dar, der das große Problem heutiger Demokratien an den Wurzeln fasst und vielen BürgerInnen vermutlich sehr gegenwärtig erscheint: „Als BürgerInnen die eigene Gemeinde- oder Stadtverwaltung mit Ideen und Meinungen zu erreichen oder etwa Ratsversammlungen beizuwohnen sind äußerst mühsame und meist nicht umsetzbare Prozeduren. Vice versa scheitern Lokalpolitiken häufig daran eine möglichst breite Bürgerschaft anzusprechen, zu erreichen, geschweige denn zu verstehen.“ So entwickelte das stetig wachsende Unternehmen die Onlineplattform für Bürgerbeteiligung, welche Städten und Gemeinden eine Brücke zu ihren BürgerInnen sein soll, indem sie direkte Kommunikationspfade aufbaut. Der prägende Unterschied zu herkömmlichen Gemeindegruppen auf Facebook? Der umfassende Online-Werkzeugkasten und die gezielte ExpertInnenberatung bauen Bürgerbeteiligung als wahre Institution in Entscheidungsprozesse der Lokalpolitik ein.
Van Ransbeeck erklärt die konkrete Funktionsweise der Onlineplattform: „Lokale Regierungen, Verwaltungen oder Organisationen erwerben bei uns die Lizenz für die Anwendung, werden von einer bzw. einem unserer ProjektmanagerInnen bei der lokalen Implementierung unterstützt und BürgerInnen bekommen die Möglichkeit über unsere App in Verbindung mit ihrer Stadt oder Gemeinde zu treten.“ Dadurch können von beiden Seiten Anwendungen, wie das Erstellen von Umfragen, Abstimmungen sowie Erhebungen oder Online-Workshops genutzt werden, um die jeweilige Gemeinschaft zu vernetzen. BürgerInnen können direkt über die Anwendung an Diskussionen, Versammlungen und Sitzungen teilnehmen sowie Bedürfnisse, Anliegen oder Ideen kommunizieren.
Parallel dazu wird lokalen Stadt- und Gemeindeverwaltungen die Möglichkeit geboten Entscheidungen oder Verwaltungsprozesse an den öffentlichen Debatten und Interessen der Bürger zu orientieren, die mittels Deep-Analytics-Technologien analysiert und nachvollziehbar aufbereitet werden. Dies soll den Aufbau eines Dialogs zwischen Politik, Verwaltung und BürgerInnen fördern, sowie Abhilfe dabei leisten sich ämterübergreifend zu organisieren bzw. die Zusammenarbeit zu erleichtern und zu stärken. Allerdings kann darauf auch ein kritischer Blick geworfen werden, insofern mit erhobenen demografischen Informationen oder etwa Meinungsgewichtungen basierend auf einer gewissen Situiertheit spezieller Bürgersparten nicht transparent umgegangen werden könnte. In der Anwendung scheint es jedoch darum zu gehen, den weitreichendsten Inklusions- und Partizipationsgrad bei lokalen Bevölkerungsgruppen zu erlangen, unterstützt das CitizenLAB-Team Gemeinden sowohl beim Aufbau von Online- als auch Offline-Kommunikationskanälen.
CitizenLAB ist eine digitale Plattform, die eine Brücke zwischen den Bürgern und den lokalen Verwaltungen schlägt, indem sie die Bürger in den Entscheidungsprozess einbezieht und die Bedürfnisse einer solchen Gemeinschaft für die lokale Verwaltung sichtbar macht.
Die Ergebnisse können sich sehen lassen! Der Londoner Stadtbezirk Newham beispielsweise etablierte seine CitizenLAB-Plattform im Jahre 2020 im Zuge des 5,3 Mio. Pound teuren „Queen's Market Good Growth Programme“. Nachdem das Beitragsansuchen durch die Gemeindeverwaltung bei der Londoner Regierungsautorität unterstützt wurde, sollte die Lokalbevölkerung aktiv in den Planungsprozess ihrer öffentlichen Räume miteinbezogen werden. In Diskussionen, Abstimmungen und Ideensammlungen konnten die Prioritäten und Anliegen der BürgerInnen ermittelt werden, wie etwa „Kunst im öffentlichen Raum“ oder „erschwingliche Arbeitsräume“, um diese laufend in die Planungs- und Realisierungsprozesse der Bezirksareale zu integrieren. Dabei wurde ebenso ersichtlich, dass die dominierende Anzahl an Teilnehmenden zwischen 25-40 Jahre alt waren. Diese Daten sowie weitere demografische Informationen, wie etwa Wohnareal und Geschäftstätigkeit, ermöglichten einen Überblick über die Betroffenheit und gaben somit Auskünfte über Beitragsgewichtung von BürgerInnen. An den erhaltenen Parametern konnten Entscheidungen gezielt nach den Wünschen der Bevölkerung getroffen werden.
Die Vielseitigkeit der Anwendungsmöglichkeiten zeigt sich beispielsweise auch am Beispiel der Stadt Almere in den Niederlanden. Durch die gezielte Implementierung von Workshops, Kommunikationskanälen und Denkfabriken, sowohl online wie auch offline, konnte der Dialog mit der bisher unterrepräsentierten älteren Bevölkerung signifikant verbessert werden. Problemlagen und Anliegen, wie etwa „Einsamkeit“ oder „Bewegungshemmnisse“ konnten mit neuen Infrastrukturen in Sachen Mobilität oder Gesellschaftsräumen beantwortet werden.
Eine neue Richtung?
Erfolgsgeschichten wie jene genannten finden sich auf der Website des Unternehmens in großer Zahl. Bürger und Bürgerinnen können an politischen Entscheidungen über ihr Leben, ihre Umwelt und ihren Alltag in ihren Heimatstädten und -gemeinden aktiv teilhaben, wie man sich eigentlich in direkten Demokratien vorzustellen vermag. Auf die Frage, ob man CitizenLAB als eine Art direkte Demokratie in digitaler Form verstehen kann, antwortet Wietse Van Ransbeeck jedoch: „Wir versuchen keine direkten Demokratien zu schaffen, sondern mit unserem Tool repräsentative Demokratien lediglich repräsentativer zu machen. Wir wollen, dass sich mehr Menschen an ihrer Regierung beteiligen und ihrer Stimme Gehör verschaffen. Dabei wollen wir nicht die Politiker oder Entscheidungsträger ersetzen, sondern sie besser über die Bedürfnisse und Hoffnungen ihrer Gemeinschaften informieren. Es geht darum unsere Demokratie zu stärken und auf diesem Weg ist es die Aufgabe unseres Unternehmens die öffentliche Entscheidungsfindung integrativer, partizipativer und reaktionsfähiger zu machen."
Mit Sicherheit birgt die Digitalität demokratischer Prozesse noch eine Vielzahl an offenen Fragen in sich, wie etwa die Debatte um Transparenz oder Praktikabilität. Allerdings gibt CitizenLAB bereits gute Ansätze vor, im Zeitalter medialer Meinungspolarisierung dennoch Menschen in gemeinsamen Anliegen zu einen, an der Beziehung zwischen Politik und BürgerInnen zu arbeiten und die Kluft zwischen politischen Entscheidungsträgern und der Bevölkerung zu verringern.
Klingt gut und sollte für den
Klingt gut und sollte für den Anfang im kleinen Rahmen ausprobiert werden. Wenn es funktioniert und erprobt ist, könnte Partizipation durchaus eine Möglichkeit sein, Demokratie wieder glaubwürdiger zu gestalten.