Society | Familie

Mutige Architekten für den Systemwandel

Es ist an der Zeit zu überlegen, wie Gesellschaft gestaltet werden muss, damit der permanenten Überforderung und Überlastung ihrer Mitglieder Einhalt geboten werden kann.
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Mutter und Kind
Foto: (c) unsplash

Tobi ist drei Jahre alt. Er kann noch nicht schreiben, aber wenn er es könnte, schriebe er in sein Tagebuch: „Liebes Tagebuch, ich musste heute wieder früh aufstehen, obwohl ich noch müde bin. Weil ich muss in den Kindergarten. Und Mama und Papa zur Arbeit. Wir müssen uns am Morgen immer sehr beeilen, sonst ist Papa gestresst. Weil er bringt mich hin. Mama geht früher, damit sie genug arbeitet. Dafür kommt sie mich abholen. Beim Waschen habe ich heute im Spiegel Grimassen geschnitten... das war lustig, aber Papa hat gemeint, ich soll die Faxen jetzt lassen. Im Kindergarten verabschiedet sich Papa am Eingang und ich muss dann alleine hineingehen.“

 

Sobald man den Alltag von Kindern und Eltern unter die Lupe nimmt und dabei auf die übliche Schönrederei verzichtet, kommen klare Widersprüchlichkeiten zu Tage. Die Perspektive der gesunden Entwicklung eines Kindes kollidiert oft mit den Bedürfnissen von berufstätigen Eltern. Hektik und Stress charakterisieren das Leben vieler Erwachsener – und teilweise auch von Kindern. Ruhe und Entzerrung des Alltags sind meist nicht viel mehr als ein individuelles Wunschprogramm.

Für viele Eltern führt der Alltag zwischen Arbeit, Kinderbetreuung, Haushalt und tausend anderen Verpflichtungen in die psychophysische Überlastung. Zeitdruck charakterisiert das Leben vieler Familien, in der Folge werden psychische Erkrankungen nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern diagnostiziert. Psychologische Beratung und Therapie können zwar Linderung verschaffen, die Ursachen können aber dadurch nicht „geheilt“ werden.

Wandel der Grundstrukturen gesellschaftlichen Zusammenlebens

Seit Jahren weisen die in der Allianz für Familie zusammengeschlossenen Familienorganisationen und Elterninitiativen auf die aktuellen Schieflagen hin und fordern nachdrücklich ein Ende der andauernden Rücksichtslosigkeit gegenüber Notwendigkeiten für ein „gutes“ Zusammenleben. Familie braucht Zeit – Kinder brauchen Zeit! Die Care-Arbeit darf daher nicht mehr unhinterfragt hinten angestellt werden wie bisher, die Altersarmut, von der speziell der Frauen betroffen sind, muss endlich der Vergangenheit angehören. Es geht aber auch um neue Akzente in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um eine bessere Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen sowie um die innovative und flexible Umstrukturierung der Arbeitszeit und der Schule.

Was brauchen Kinder, was brauchen Erwachsene in der heutigen Zeit?

Familiärer Wandel und demographischer Wandel müssen langfristig in den Blick genommen werden. Es ist an der Zeit zu überlegen, wie Gesellschaft gestaltet werden muss, damit der permanenten Überforderung und Überlastung ihrer Mitglieder Einhalt geboten werden kann. Die Mitarbeiter*innen der Fachstelle Familie im Forum Prävention beschäftigen sich daher aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Wandel der Grundstrukturen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die zentrale Frage in der Prävention lautet: was brauchen Kinder, was brauchen Erwachsene in der heutigen Zeit?

Dauerbelastung führt zu Krankheit

Unser Fazit: Ein wenig Herumjustieren an den derzeitigen Rahmenbedingungen, in denen Familie gelingen muss, funktioniert nicht mehr. In einer sich derart rasant verändernden Gesellschaft braucht es neue Denkansätze, strukturelle Veränderungen und ein Umdenken in der Gestaltung von Unterstützungsangeboten. Will man ein gutes Aufwachsen von Kindern – inklusive jenen, die unter weniger optimalen Voraussetzungen in diese Welt hineingeboren werden –  gewährleisten, braucht es eine kollektive Anstrengung, sei es in ökonomischer als auch emotionaler Hinsicht. Niemand schafft es alleine, aber immer mehr Menschen sind mittlerweile weitgehend auf sich alleine gestellt oder aus anderen Gründen in Not.

Man denke nur an die Schwierigkeiten von alleinerziehenden Elternteilen ohne soziales Netz, an zugewanderte Menschen ohne Wurzeln, an Familien, in denen das Einkommen kaum reicht oder wo ein Mitglied erkrankt ist.

Wenn Familien in schwierigen Situationen einmal Hilfe und Unterstützung brauchen, muss diese schnell und unbürokratisch zur Verfügung stehen, denn Dauerüberlastung führt zu Krankheit. Bei der Gestaltung von Angeboten im Familien- und Sozialbereich ist also Innovation gefragt. Wir müssen weg von der Logik der „sozial schwachen Familie“, die über Jahre betreut werden muss, hin zu schnellen, aber zeitlich begrenzten Hilfen, mit dem Ziel, die Ressourcen der Familie derart zu aktivieren, damit sie es danach wieder selbständig schafft.

Wirkliche gesellschaftliche Systemveränderungen brauchen mutige 'Architekten'

Die Stabilisierung und Unterstützung der Familien muss frühzeitig und niederschwellig gewährleistet werden, z.B. über den Ausbau der Frühen Hilfen oder durch den Einsatz von Sozialarbeiter*innen im Kindergarten, so wie es derzeit im Rahmen des Projektes Die Brücke erprobt wird.

Wenn traditionelle Gesellschaften brüchig werden, genügen aber nicht allein die Fachkräfte, denn das Sozialsystem ist nur bedingt ausbaufähig. Und auch wenn eine solidarische Gesellschaft das Fundament darstellt, das stützt und begleitet, wenn es das kleine System Familie nicht mehr schafft, ist dies allein nicht ausreichend. Wirkliche gesellschaftliche Systemveränderungen brauchen mutige „Architekten“, die konsequente politische Weichenstellungen vorantreiben. Es braucht spürbare Veränderungen mit der richtigen „menschlichen“ Prioritätenliste.

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Josef Fulterer Fri, 03/04/2022 - 08:50

Warum muss Tobi mit seinen drei Jahren schon in das Hamsterrad der modernen Neoliberalen Gesellschaft? Könnte er nicht mit seiner Mammi oder dem Vati einen glücklichen Tag erleben?
Das von Sepp Kusstatscher propagierte Grundeinkommen für alle Bürger, würde den massiven Druck zu bezahlter Arbeit im Hamsterrad der modernen Wirtschaft abschwächen und den Weg für mehr notwendige nützliche unbezahlte Arbeit in der Familie und der Gemeinschaft freimachen.
Das Geld dafür könnte leicht aufgebracht werden. Bei den zahlreichen "notwendigen Patronaten," Fürsorgeeinrichtungen, den aufgeblähten öffentlichen Verwaltungen zur Subventionsvergabe, mit der Politiker ihre Wiederwahl sichern wollen, wird viel mehr Geld v e r w a l t e t ! ! !
Die Politik muss dem Bürger mindestens 3 € abknöpfen, um dann gütigst wie die Mittelalterlichen Despoten, dem Bürger einen abgemagerten 1 € in die Hand zu drücken.

Fri, 03/04/2022 - 08:50 Permalink