Environment | Biodiversität

„Wir müssen darüber sprechen“

Ein internationales Forschungsteam an der Eurac spricht Tacheles: Der Schutz unserer Lebensgrundlagen werde nur dann gelingen, wenn die breite Öffentlichkeit mitmacht.
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Foto: Luka Meštrović
Vom 21. bis zum 22. Dezember veranstaltet Eurac Research eine Konferenz zum europäischen Forschungsprojekt DINALPCONNECT. Im Rahmen des Projekts kartierte ein internationales Forschungsteam gemeinsam mit Eurac Research das Gebiet von Südtirol bis nach Griechenland, um Korridore für Wildtiere zu erfassen. Korridore ermöglichen es ihnen, sich in ihrem natürlichen Lebensraum frei zu bewegen und einen Raum zu finden, in dem sie sich fortpflanzen, ernähren, ausruhen und Schutz finden können.
In Südtirol ist mit der Eurac und der Universität viel Wissen und Bewusstsein vorhanden, in der lokalen Gemeindeverwaltung haben Entscheidungsträger:innen die ökologische Vernetzung aber nicht vor Augen.
„Das menschliche Handeln und Eingreifen verändert die natürliche Umwelt stark. Es bewirkt, dass Ökosysteme nicht mehr funktionieren und gefährdet damit auch das Wohlergehen der Menschen selbst“, erklärt Filippo Favilli, Geograf von Eurac Research. Artenvielfalt und Vernetzung der Lebensräume seien der Schlüssel, um eine intakte Natur zu erhalten.
 
 
Die Expertise unter den Fachleuten der DINAPLCONNECT-Konferenz ist groß, allerdings treibt sie alle die Frage um, wie dieses Wissen zum einen unter die Leute gebracht wird und zum anderen Wirtschaftstreibende überzeugt. Diese Fragestellung war auch das vorherrschende Thema der Podiumsdiskussion am 20. Dezember im Saal von Eurac Research in Bozen. Mit am Podium war die Abteilungsleiterin für Naturschutz des 160-km2-großen Naturschutzparks Učka in Kroatien, Dalia Matijević, Ioannis Gazoulis von der Agricultural Athens University aus Griechenland, Nives Rogoznica von Natura Jadera (Verwaltung von Natura-2000- und 13 Naturschutzgebieten in Kroatien) und Peter Kasal, Amtsdirektor für Landschaftsplanung der Provinz. Moderiert wurde die Diskussion von Filippo Favilli.
 

Lebensräume erhalten

 
Fokus der Debatte waren nicht die bereits unter Schutz stehenden Gebiete, sondern die Flächen dazwischen. Autobahnen, Eisenbahnstrecken oder Städte hindern Tiere daran, ihren Lebensraum zu finden und sind sogar lebensgefährlich, wenn sie versuchen, sie zu überqueren – beispielsweise werden Glasfassaden, Stromleitungen oder Drahtseile für Vögel immer wieder zum tödlichen Verhängnis. Gleichzeitig verursachen Wildtiere auch Unfälle im Straßenverkehr.
 
 
Da Naturschutzparks keine Zoos sind, wo Tiere gefangen gehalten werden, bewegen sich die dort lebenden Tiere mitunter aus dem unter Schutz stehenden Gebiet heraus und treffen auf Agrarflächen, Siedlungsgebiete, Straßen und Fabriken. In Südtirol sind 20,3 Prozent der Flächen ein Natura-2000-Schutzgebiet, das sind rund 150.000 Hektar. „Das Problem liegt hier zwischen den geschützten Flächen, wo die Landschaft einer großen Veränderung unterworfen ist“, erklärt Kasal am Podium.
Zudem sind die Herausforderungen beim Schutz der Artenvielfalt je nach geografischer Lage anders. In Teilen Kroatiens beispielsweise lohne sich das Leben auf dem Land nicht mehr: „Die Menschen würden den ökologischen Wert des Weidebetriebs verstehen, wenn wir es ihnen erklären, doch sie können es sich nicht mehr leisten dort zu leben“, sagt Rogoznica über die dünnbesiedelte Region mit Grasland im Südosten Kroatiens. „Wir brauchen auf nationaler Ebene ein mindestens über 20 Jahre laufendes Programm, um die Bevölkerung zurückzubringen. Ich sehe aber keine politischen Bemühungen in diese Richtung.“
In Griechenland sind vor allem die intensive Landwirtschaft, die Jagd gefährdeter Arten und Waldbrände ein großes Problem für die Artenvielfalt. „Als erster Schritt muss hier mehr Bewusstsein für Ökosystemdienstleistungen geschaffen werden“, so Gazoulis von der Universität in Athen. Als Ökosystemdienstleistungen (ecosystem services) werden in der Umweltforschung Vorgänge von Ökosystemen bezeichnet, die eine Nutzen stiftende Wirkung für den Menschen haben.
Sie werden in Versorgungs- und Regulierungsleistungen sowie in kulturelle und unterstützende Dienstleistungen eingeteilt. Während natürliche Ressourcen die Versorgung der Menschen mit wichtigen Rohstoffen wie Lebensmittel, Wasser, Holz oder pharmazeutischen Wirkstoffen gewährleisten, sorgen die Regulierungsdienstleistungen von Ökosystemen für die Regulierung des Klimas und Wasserhaushaltes und für die natürliche Reinigung von Wasser und Luft sowie für die Regulierung der Ausbreitung von Krankheiten.
Kulturelle Dienstleistungen beschreiben den Nutzen der Natur für unser seelisches Wohlbefinden, wie beispielsweise die Schönheit der Natur, ihre spirituelle Wirkung und ihr Stellenwert für Freizeit und Erholung. Unterstützende Dienstleistungen schließlich sind Stoffkreisläufe, die Bodenbildung und die Produktion von Biomasse. Ohne Ökosystemdienstleistungen hätten wir also ein eher großes Problem: Wir hätten Schwierigkeiten auf diesem Planeten zu überleben und würden den Nutzen der Natur für unser seelisches Wohlbefinden vermissen.
 
 
Im Auftrag der Vereinten Nationen (UN) wurde bereits 2005 im Rahmen des „Millenium Ecosystem Assessment“ ein systematischer Überblick über 24 zentrale Ökosystemdienstleistungen erstellt. Auch auf politischer Ebene gibt es Bemühungen zum Schutz der Ökosysteme: Vergangenen Montag präsentierten die Teilnehmer:innen der UN-Artenschutzkonferenz COP 15 in Montreal (Kanada) ihre Abschlusserklärung: Es ist unter anderem geplant, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen. Außerdem soll mehr Geld in den Erhalt der Artenvielfalt fließen, so sollen ärmere Länder bis 2025 jährlich 20 Milliarden Dollar für den Schutz der Biodiversität erhalten. Allerdings ist die Abschlusserklärung des Weltnaturgipfels wie auch das Pariser Klimaabkommen rechtlich nicht bindend.
Für die Forscher:innen des DINALPCONNECT-Projekts ist das kein Grund aufzugeben. Sie wissen, am Ende zählen nicht nur die geschriebenen Handlungsempfehlungen, die im Zweifel in Schubladen verstauben, sondern Entscheidungen in Politik und Wirtschaft. „In Südtirol ist mit der Eurac und der Universität viel Wissen und Bewusstsein vorhanden, in der lokalen Gemeindeverwaltung haben Entscheidungsträger:innen die ökologische Vernetzung aber nicht vor Augen“, so Kasal.
Dalia Matijević vom kroatischen Naturschutzpark Učka argumentiert in dieselbe Richtung: „Alle Teile der Gesellschaft sollten über diese Themen Bescheid wissen, denn der Verlust der Artenvielfalt führt nicht nur zu
ökologischen, sondern auch zu massiven wirtschaftlichen Problemen.“ Laut Kasal läge einer der größten Aufgaben für die nächsten Jahrzehnte deshalb in der Kommunikation: „Wir müssen darüber sprechen.“  
 

Aktuelle Situation

 
Peter Laner, Forscher bei Eurac Research, gibt einen Überblick zu den aktuellen Herausforderungen für Wildtiere: „In Italien sind die intensive Landnutzung und die Besiedlung des Talbodens zwei der wichtigsten Hindernisse. Das Etschtal, um ein lokales Beispiel zu nennen, ist ein unüberwindbares Hindernis für die Tierwelt.“
Bezogen auf das Gebiet von Südtirol bis Griechenland zeigt sich folgende Ausgangslage: „Im gesamten untersuchten Gebiet konnten mit Hilfe der GIS-Technologie 60 Schnittpunkte zwischen Autobahnen und potenziellen grünen Korridoren ermittelt werden. Da es sich um ein mathematisches Modell handelt, ist es wichtig, dass die Ergebnisse in der Praxis überprüft werden. So können wir festzustellen, ob die Autobahnen wirklich ein Hindernis darstellen oder ob es andere Querungsmöglichkeiten wie Tunnels oder U-Bahnen gibt“, so Laner weiter. Die mithilfe von Karten aufgearbeiteten Informationen können Entscheidungsträger:innen dabei unterstützen, eine gemeinsame Strategie zum Schutz der Ökosysteme zu entwickeln.
 
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Karl Trojer Fri, 12/23/2022 - 16:09

Das Wunder des Lebens ist die EINHEIT in der VIELHEIT , deshalb ist Biodiversität so lebenswichtig . Es geht ums Miteinander, frei von Sündenböcken !

Fri, 12/23/2022 - 16:09 Permalink