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Working Poor - die neuen Armen

Trotz Arbeit in der Armutsfalle? Mit einer international besetzten Tagung eröffnet das AFI die Diskussion über ein Phänomen, das auch vor Südtirol nicht haltmacht.
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Foto: upi

In Deutschland hat sich ihre Zahl in zehn Jahren verdoppelt, in Italien werden mittlerweile 2,2 Millionen Arbeitnehmerhaushalte dazu gezählt: Working Poor werden Menschen genannt, die trotz Job an der Armutsschwelle entlang schrammen. Ein Phänomen, das zuerst in den USA bekannt wurde und spätestens seit der Wirtschaftskrise auch in Europa immer mehr zum Thema wird. „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“, gibt die Bibel vor. Doch kann im heutigen Europa, kann in Südtirol im Jahr 2018 auch jeder essen bzw. sich ein würdiges Leben erlauben, wenn er oder sie arbeitet?

Diese Frage stand am Donnerstag Vormittag im Mittelpunkt der Fachtagung Working poor - Wenn arbeiten nicht reicht des Arbeitsförderungsinstitutes AFI, auf der europäische, italienische und hiesige Experten das Phänomen Erwerbsarmut beleuchten und sich dazu austauschen. Eine Premiere in Südtirol, wo das Thema bislang bis auf ein Arbeitspapier zur Situation in der Landeshauptstadt unbeackert war.

„Working Poor gibt es nicht nur in anderen italienischen Regionen oder europäischen Ländern, sondern auch hier in Südtirol.“

Nun dagegen hat man beim AFI mit Unterstützung von Hermann Atz und dem Institut Apollis eine erste Einschätzung über das Ausmaß der Erwerbsarmut im Land gemacht. Angesichts schwer zugänglicher Primärdaten ein schwieriges Unterfangen, das laut AFI-Forschungsmitarbeiter Friedl Brancalion dank des Zugangs zu einer Datenbank der Michael-Gaismair-Gesellschaft von 1.228 repräsentativ ausgewählten Haushalten in Südtirol gelang. Die Daten waren für die Studie „Ethnische Differenzierung und soziale Schichtung in der Südtiroler Gesellschaft“ erhoben worden und wurden nun von Brancalion und Hermann Atz als Basis für die Einschätzung der Erwerbsarmut in Südtirol ausgewertet. „In erster Linie geht es uns darum, Bewusstsein für das Problem zu schaffen“, sagt der AFI-Forscher. „Working Poor gibt es nicht nur in anderen italienischen Regionen oder europäischen Ländern, sondern auch hier in Südtirol.“

Eine Aussage, die mit dem Ergebnis der Auswertung nachdrücklich unterstrichen wird.  „16 Prozent der Arbeitnehmerfamilien mit nur einem Lohneinkommen leben in Südtirol an der Armutsgrenze“, bringt es Friedl Brancalion auf den Punkt. Eine Zahl, die allerdings nicht direkt mit EU-weiten oder italienischen Erhebungen vergleichbar ist. Denn obwohl das AFI zur Definition der Armutsschwelle den international gebräuchlichen Standard von 60 % des national verfügbaren Medianäquivalenzeinkommens verwendet hat, wird die Definition von Erwerbstätigkeit weiter definiert als in anderen Studien. Sprich: Auch wenn ein Familienmitglied nur wenige Stunden arbeitet, wurde die Familie als erwerbstätig gerechnet. Damit erklären sich Unterschiede zu Statistiken, wie sie am Donnerstag etwa  Valentina Ferraris vom Mailänder Forschungsinstitutes REF Ricerche präsentierte. Hier ist Südtirol in Sachen Erwerbsarmut im positiven Sinne Schlusslicht in Italien.

 

Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der in Südtirol geschaffene Wohlstand trotz des boomenden Arbeitsmarktes und des optimistischen Stimmungsbildes in allen Wirtschaftsbereichen „noch nicht in den Taschen aller Arbeitnehmer landet”, sagt AFI-Vizedirektorin Silvia Vogliotti. Wie überall steigt das Risiko von Arbeitsarmut in Südtirol je weniger Mitglieder einer Familie arbeiten und je mehr Kinder sie hat. Entscheidende Risikofaktoren sind auch ein niederes Bildungsniveau und ein Migrationshintergrund, der in Italien mit knapp 35 Prozent das höchste Erwerbsarmutsrisiko birgt. „Jobs in Branchen mit prekären Arbeitsverhältnissen, schlechtbezahlte Jobs oder Jobs mit geringer Qualifikation sind Katalysatoren für die Armut von Beschäftigten und ihrer Familien“, sagt Friedl Brancalion.

Das Risiko, unter die Working Poor zu fallen, kann auch branchemäßig differenziert werden. Mit Ausnahme des produktiven Gewerbes ist es im Privatsektor höher als im öffentlichen Dienst. Besonders armutsgefährdet sind Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, gefolgt vom Gastgewerbe oder Baugewerbe. Sektoren also, in denen befristete Arbeitsverhältnisse und schlecht bezahlte Jobs häufiger anzutreffen sind als in anderen. Das bestätigt auch internationale Beobachtungen, wonach der Anstieg der Erwerbsarmut in direktem Zusammenhang mit der Zunahme atypischer Beschäftigungsformen steht, vor allem im Dienstleistungsbereich und im Niedriglohnsektor.

Das Geld zum Leben fehlt an allen Ecken

Was Erwerbsarmut im konkreten bedeutet, verdeutlicht Friedl Brancalion anhand konkreter Beispiele der Südtiroler Auswertung: “Auch nur ein einziger Urlaub im Jahr ist für 43% der Working Poor unerschwinglich; 38% von ihnen ist außerstande, Ausgaben von über 1.000 Euro zu tätigen; 13% können sich eine vollständige Mahlzeit alle zwei Tage nicht leisten“.  Auch eine Haushaltsplanung finde in diesen Familien kaum statt, weil sich diese Familien keine Geldmittel für Notfälle zurücklegen könnten“, so der AFI-Forscher.

Nöte, die in einem reichen Land wir Südtirol aufrütteln sollten. Zehn Jahre nach der letzten Armutskonferenz des Arbeitsförderungsinstitutes ist es laut AFI-Präsidentin Christine Pichler deshalb höchst an der Zeit, das Thema Armut erneut in die Öffentlichkeit zu tragen – „und Möglichkeiten für die Behebung der Schieflage aufzeigen“, wie Pichler einlädt.

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manuel frank Thu, 02/22/2018 - 13:25

wirklich? Um diese Zusammenhänge zu erkennen, niederes Bildungsniveau und ein Migrationshintergrund,
je weniger Mitglieder einer Familie arbeiten und je mehr Kinder sie hat,
im Privatsektor höher als im öffentlichen Dienst,
direktem Zusammenhang mit der Zunahme atypischer Beschäftigungsformen steht, braucht es eine Fachtagung? Wie weit entfernt von der Wirklichkeit stehen unsere Entscheidungsträger denn, wenn sie diese Zusammenhänge erst erklärt bekommen müssen.

Thu, 02/22/2018 - 13:25 Permalink
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manuel frank Thu, 02/22/2018 - 17:42

Liebe Frau Pichler sie haben meine Kritik falsch Verstanden. Ich bemängle nicht die aufarbeitung durch das AFI, sondern den Zustand das wir solche Fachtagungen benötigen obwohl die Zusammenhänge und die Not sichtbar sind. Dieser Umstand sollte jeden Politischen Entscheidungsträger bekannt sein, doch leider ist das nicht so und das ist es was ich kritisiert habe.
Gerne können wir dieses Thema bei der nägsten Zugfahrt diskutieren. ;)

Thu, 02/22/2018 - 17:42 Permalink