Über den Fremdenverkehr
Dass Menschen aus kriegs- und krisengeschüttelten Ländern zu uns kommen, ist ein Phänomen das seit Jahren andauert, 2015 jedoch bedeutet eine Zäsur für Europa in der Einwanderungsbewegung. Mehr als eine Million Menschen, die meisten aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, versuchten ihre Einreise in die EU, das sind viermal so viele wie noch 2014.
Politiker und Medien suchen nach Begriffen und Zusammenhängen um das Flüchtlingsphänomen in den Griff zu kriegen und es ist klar, dass es hier keine patenten und schnellen Lösungen gibt, dass wir vieles zu besprechen haben, in erster Linie, wie wir mit den einwandernden Personen umgehen sollen.
Einer, der das ebenfalls versucht, ist der Touristiker und Lehrende an der Katholischen Universität Eichstätt, Harald Pechlaner. Er stellte im Rahmen des aktuellen Theaterstücks der Vereinigten Bühnen Bozen zum Thema Flucht die Frage, ob wir im Zuge der Migrationsentwicklungen eine neue Gastfreundschaftskultur brauchen.
Auf den ersten Blick scheint das Zusammenwerfen von „Flucht, Migration und Tourismus“ eine kuriose Vermischung von Phänomenen und Begriffen. Flucht und Migration ergeben ein Begriffspaar, aber Flucht und Tourismus, oder eben Migration und Tourismus? Da denkt man unweigerlich an die Badenden in Lampedusa, wo an den Urlaubsstränden die abgewrackten Flüchtlingsboote landen oder noch schlimmer, Badende neben Leichen am Strand. Da ist auch Lesbos, die griechische Urlaubsinsel, nunmehr fixer Andockpunkt in der Flüchtlingsroute; auch die Klagen der Hoteliers hat man gehört, die Einbußen durch den nicht enden wollenden Strom von Einwanderern befürchten.
Der Titel sei durchaus gewollt und provokativ zu verstehen, sagt Pechlaner eingangs in seinem Vortrag. Doch wolle er das Augenmerk in erster Linie auf den oszillierenden Begriff der Gastfreundschaft werfen und diesen aus dem Blickwinkel des Tourismus darstellen; vielleicht ergebe sich manche Frage und Überlegung für den Migrationsbereich.
Das Verhältnis zwischen Gast und Gastgeber macht das Wesentliche von Tourismus aus, es ist ein kommerzielles und professionelles Verhältnis, das aber auch die wertschätzende Begegnung und nicht nur die Dienstleistung einschließt. Pechlaner zitiert in diesem Zusammenhang den französischen Philosophen Jacques Derrida, der von bedingter und unbedingter Gastfreundschaft spricht. Ist der Gast, der Fremde einer, den man in ein „Spiel von Rechten und Pflichten“ hereinnimmt oder „öffnet man ihm die Pforte, ohne von ihm Gegenseitigkeit zu verlangen“? Diese absolute Gastfreundschaft hat man gesehen in den Fernsehbildern jener Tausender, die die Flüchtlinge an den Bahnhöfen willkommen hießen und er klang auch durch im Satz der deutschen Kanzlerin „Wir schaffen das“. Doch daraus wurde schnell etwas anderes und jetzt gibt es den politischen Konsens auf eine Einschränkng dieser Gastfreundschaft, man verhandelt Obergrenzenzahlen für die Asylbewerber.
Wer sind die Fremden die wir wollen und dürfen wir diese selektive Frage so stellen? Aus touristischer Sicht wohl, geht es hier doch um freiwillig Reisende die ja nur für einen gewissen Zeitraum zu uns, etwa nach Südtirol kommen. In Nordtirol, so Pechlaner, kam es in den 1980er Jahren bei der Bevölkerung erstmals zu massiver Kritik am zunehmenden Massentourismus – eine Debatte über Identität und Gastlichkeit war die Folge, Begriffe wie Qualitätstourismus und Sanfter Tourismus wurden geprägt. Damals, so Pechlaner, stellte man sich in der Tourismusbranche die Frage, welche Gäste man haben wolle und wer man als Gastland überhaupt sei.
Die Frage nach der eigenen Identität passt hinein in den aktuellen Diskurs über Zuwanderung. Sind wir ein Land, das Fremde als Bereicherung versteht, oder haben wir Angst vor ihnen? Als wer wollen wir uns den Ankommenden präsentieren? Und auch: Kann sich ein Land, das sich gegenüber Asylsuchenden restriktiv oder abweisend verhält, als gastfreundschaftlich gegenüber Touristen bezeichnen?
Vieles, was Harald Pechlaner vorbrachte, zeigte einen frischen und unkonventionellen Zugang zum Thema Flucht – Migration auf; die Thesen aus der Tourismusbranche langen aber nicht dorthin, wo es um die Notlagen und die Unfreiwilligkeit dieser „Reisenden“ geht und auch darum, dass die Menschen aus Syrien oder Afghanistan nicht kommen, um nach einer gewissen Zeit wieder abzureisen, sondern um zu bleiben.