Culture | Salto Afternoon

Alle Tage Fasching…?

…oder wie man Kindern über Kunst und Kultur das aufmerksame Lernen beibringen kann. Beispiele aus dem Mart in Rovereto und der Waldorfschule Meran.

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Foto: Salto.bz

Spielen und Lernen? Lachen und dabei seriös lernen? Geht das? Für viele gehört Spielen, sich Unterhalten oder gar Lachen einfach nicht zum Lern- bzw. Lehrprozess. Warum eigentlich?
Da kann an Faschingstagen auf die wildeste Art herumgetobt werden, aber wehe wenn dies dann auch am Freitag den 13. März geschieht. Es kann am Faschingsdonnerstag gescherzt und gelacht werden, aber wehe wenn es an allen anderen Donnerstagen genauso gemacht wird. Lernen und lehren wird allgemein nur mit Ernst und Ernsthaftigkeit verbunden, weswegen auch schon mal solch „unnütze“ Schulfächer wie Musik oder Kunst aus dem Lehrplan gestrichen werden sollen. Da bekommt eine Schülerin schlechte Noten, wenn sie während einer Mathematikstunde abstrakte Zeichenmuster in ihr Heft kritzelt, es wird aber nicht hinterfragt, ob das denn nicht ihre eigene Art ist, aufmerksam zu sein. Denn: totale Aufmerksamkeit und Interesse wird gefragt. Und - wie kann das erzeugt werden? Kann man Interesse überhaupt lehren oder lernen? „Interesse“ bedeutet laut Duden „Anteilnahme“ oder „Beteiligung“ oder „Eifer“ oder „Beachtung“ oder „Neugier“ oder „Konzentration“, die alle als Synonyme genannt werden. Und da sind wir schon mittendrin im Thema, denn all diese aufgezählten Worte gehören doch zum guten Lernen. Kann ich spielend beteiligt und konzentriert sein? Ja! Kann ich interessiert zeichnen? Ja! Kann ich interessiert lachen? Kann ich lachend lernen? Ja!
Wo liegt also der Haken? Warum stöhnen so viele Lehrpersonen über desinteressierte SchülerInnen in allen Altersklassen?

 

Vielleicht hat das mit Über- oder Unterforderung zu tun? Wie kann es sonst sein, dass die siebte und achte Klasse der Waldorfschule Meran ein Theaterstück auf die Bühne bringen, wobei alles selbstgemacht und die einzelnen SchülerInnen – wie uns von mehreren Seiten berichtet wurde - sich auf seriöse Art auf der spielerischen Ebene gefunden haben? Die schwarzen Brüder, im Meraner Stadttheater zweimal aufgeführt, am Morgen für die Schule und am Abend für ein Erwachsenen- und Familienpublikum, ist die Bearbeitung des gleichnamigen Romans von Lisa Tetzner, der 2013 als Neuverfilmung von Xavier Koller in der Schweiz erschienen war. Es gab auch schon ein Hörspiel und eine japanische Zeichentrickverfilmung von dieser Geschichte um das traurige Schicksal vieler kleiner Jungen in der Tessiner Gegend im 18. und 19. Jahrhundert, als sie als Kaminfegerbuben nach Mailand verkauft worden waren. Eine der beiden Lehrpersonen erklärte vor dem Stück, dass sie dies auch deshalb gewählt haben, da ähnliche Schicksale aus dem Vinschgau bekannt seien. Zwar nicht als Kaminfeger nach Mailand, aber als Arbeitskräfte nach Deutschland. Ein Thema, also, das vom Inhalt her nicht gerade federleicht ist, was uns schon mal aufzeigt, dass junge Leute nicht so desinteressiert für Geschichte sind.

 

Es ist beeindruckend mit welcher Anteilnahme jeder und jede deren Rollen spielen, wobei besondere Figuren, die von mehreren gespielt werden wollten, ganz einfach auf die jeweiligen Interessenten aufgeteilt wurden. Die Rolle der Nonna ist somit auf Maila Kerner und Jadu Maya Eschgfäller aufgespalten, die immer wieder beide erscheinen, wenn es darum geht, die Erzählfunktion zu erfüllen, die diese Figur innehat, während die Rolle der Hauptfigur Giorgio auch, aber anders, auf zwei Darsteller verteilt ist: hier spielt die erste Hälfte Giacomo Weger als echter „kleiner“ Kaminfeger, wie sie damals scheinbar bevorzugt waren, da sie gut in die schmalen Rohre hineinkriechen konnten, während die zweite Hälfte von Manuel Donà auf seine Weise ebenso mitreißend bewältigt wird. Ausgetauscht wird – wie kann es anders sein? – im Kaminrohr, als der erste Einsatz bei einem Edelmann auf die Bühne gebracht wird, nachdem die gesamte Ladung voller Jungs auf einem Floß bei der Überfahrt über den See gekentert war. A propos: hier gibt es eine Federico Fellini-reife Darstellung der Hohen See im Halbdunkel, wo ein riesiges weißes Tuch von vier Jugendlichen gebeutelt die starken Wellen mimen, während die Gruppe der Jungs auf einer Holzplatte mit einigen langen Stöcken das Rudern mimen. Alle spielen mit Hingabe, die Musik wird professionell von Manuel Randi (einem Vater, der als Gitarrist arbeitet und hier Piano, Gitarre  und anderes spielt) und Karin Knoll (einer Mutter, die als Geigerin ihr Können beiträgt) gespielt. Das Bühnenbild, bestehend aus Apfelholzkisten und sonstigen einfachen Objekten, wurde genauso von Vätern, wie zum Beispiel Franz Weger, getischlert und gezimmert. Die Vorführung im großen Theater ist noch mal Bestätigung für die Beteiligung und das Interesse auch vonseiten der Erwachsenen für die Kinder: so wurde bei der Gemeinde um einen Beitrag angesucht, der die Leihkosten des Theatersaales abdecken kann. Eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Groß und Klein im schulischen und kulturellen Kontext, die bestimmt den Zusammenhalt und das allgemeine Interesse der SchülerInnen auch in Zukunft fördert. Denn, um so eine historische Geschichte glaubhaft darstellen zu können, braucht es auch das nötige fachliche Hintergrundwissen. Genauso wie die Mitarbeit der Schülerinnen der Landesberufsschule Luis Zuegg die optimale Maskenbearbeitung auf die Gesichter nicht nur hingezaubert sondern mit saghaftem Können geschminkt und frisiert hat. Nicht schon wieder ein Beweis, dass gegenseitige Interessen immer Früchte tragen?

 

Ein weiteres einfühlendes Erlebnis hatten wir im Mart, im Museum für zeitgenössische Kunst in Rovereto. Mindfulness oder Hilfe! Ich suche Zuflucht in der Kunst, sind nur zwei der vielen Angebote für Schulklassen ersten und zweiten Grades sowie für Oberschulen. Dabei geht es um Interesse wecken für Bilder und Kunstrichtungen, die im Klassenunterricht oder in Schulbüchern viel zu abstrakt und fern wirken. Wie kann das Interesse, also sprich Anteilnahme und Aufmerksamkeit, bei SchülerInnen geweckt werden, auch in diesem Bereich, der noch mehr mit Schule und Lernen und Verstehen verbunden ist? Ebenso auf spielerische Weise.

 

Da geht es einmal um das stille Betrachten einer Skulptur oder eines Gemäldes, um sich hineinversetzen zu können, um Farbe oder Materie zu werden, um Stimmungsausdruck nachvollziehen zu können und anschließend bei der Beschreibung, all das wieder in Beziehung zu setzen. Da gilt es auf der körperlichen Ebene wach zu sein, auf der intellektuellen Ebene mitzudenken und auf der psychischen eigene Entdeckungen zu machen. Offen zu sein für neue Wahrnehmung, neugierig auf anderes, um spielend Künstler und ihre Zeit kennenzulernen. Welche Geschichte(n) sie beeinflusst haben und welche Wege sie gegangen sind. Es geht aber auch darum, den anderen zuzuhören und sich selbst einzubringen. Es geht um Fantasie, um das Umsetzen dessen, was wir in der Schule gelernt haben, wenn wir zum Beispiel ein Bild unserem blinden, weil mit einer schwarzen Augenbinde versehenem Mitschauer beschreiben sollen, auf dass dieser es sich vorstellen kann. Da gilt es die Fachkenntnisse einzubringen, aber auch mit Mitgefühl und Nächstenliebe unserem Zuhörer etwas zugänglich zu machen. Über alle Vorurteile hinweg. Über alle Vorbewertungen hinweg. Da ergibt sich plötzlich ein anderes Zusammensein, ein gleichwertiges, ein anerkennendes, ein beseeltes – weg vom Halbstarkenverhalten, denn selbst diese oder die sogenannten ewigen Störenfriede finden hier kein Terrain mehr für ihre oft verzweifelten Versuche ganz einfach nur Aufmerksamkeit zu erregen. Hier geht es nämlich um die Aufmerksamkeit selbst, die andauernd im Mittelpunkt steht. Klar braucht es eine geschulte Leitung um dies zu erreichen. Und – wie uns gesagt wird – es klappt! Dieselben LehrerInnen kommen sogar mit derselben Klasse noch einmal, um die Fortschritte auf dem jeweiligen Lernniveau zu testen.

 

Nach dem „Hilfeschrei“ im zweiten Workshop, geht es darum den Zufluchtsort und –weg in die verschiedenen Kunstwerke zu finden. Aber wie? Das geht über kleine Figuren, die uns helfen, kleine Geschichten zu erfinden, die wiederum mithilfe von Plastilin dargestellt werden, und dann in einer Skulptur oder in einem Gemälde Zuflucht finden können und/oder dürfen. Interessant ist hier, dass das Bauen der Szenenbilder ein eigenes Zusammengehörigkeitsgefühl aufsteigen lässt. Plötzlich ist nicht mehr das Vorurteil dem Klassenkameraden oder der Klassenkameradin gegenüber im Vordergrund, sondern die Geschichte der Figuren und genau diese gilt es zu entwickeln und dann in Sicherheit zu bringen. Das Interesse ist voll da, eifrig wird modelliert und geschnipselt, nach Einzelheiten und Details geforscht, die Studieneinheiten plätschern nur so dahin. Bis dann noch jede Kleingruppe das geeignete Kunstwerk ausfindig gemacht hat, um dann in der Endrunde die jeweils erfundene Geschichte den anderen vorzustellen und zu erzählen. Wobei dann die Daten des Werkes und des Künstlers oder der Künstlerin noch eingewoben werden und sich nicht selten mysteriöse Zusammenhänge ergeben. Diese wiederum können dann in Einzelarbeiten weiter nachgeforscht werden. Was auch prompt geschieht, denn beim Nachhausegehen wird lebhaft weiterdiskutiert. Eigentlich ist der sogenannte Unterricht schon längst vorbei, jedoch das Interesse dauert an...

Allen Verschwörungen gegen Störenfriede oder Zappelphilippen zum Trotz: die haben da eifrig mitgemacht. Komisch, was?