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Das Unwort des Jahres? „Gästekarte“.

Wir sind viele, im Sommer und um den Jahreswechsel sind wir oft unerträglich viele. Auch das ist Tourismus, auch das bedeutet es, in einem Tourismusland zu leben.
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  • Das Unwort des Jahres? „Gästekarte“.

    Das war eines der Fazits der Anhörung im 3. Gesetzgebungsausschuss zum Tourismus, die ich beantragt hatte. Südtirol leidet unter seinem großen Glück, nämlich eines der schönsten Länder im Alpenraum zu sein. Was in den 50er und 60er Jahren als Segen begann, entwickelt sich zum Fluch. Klarer konnte es nicht gesagt werden, und es wurde in der einen oder anderen Form im Ausschuss bei der Anhörung immer wieder gesagt. Es war ein Moment der Nachdenklichkeit. Ich bin froh, dass wir im Landtag einmal so offen über den Tourismus in Südtirol reden konnten – auch über das „Unwort“ Gästekarte, denn das hatte den Anstoß gegeben, diese Anhörung einzuberufen und Tourismusforschende, Tourismustreibende und Tourismusleidende in den Saal des Landtags zu holen, um ihnen zuzuhören.

    Es war mir ein innerstes Anliegen.

    Ich selbst bin in einem Tourismusbetrieb aufgewachsen. Die Selbstausbeutung der Tourismusmenschen liegt mir bis heute in den Knochen. Ich weiß, was es heißt, kein Wochenende frei zu haben, als Familie hintan gestellt zu werden, jede Marge hart zu kalkulieren.

    Ich weiß als Bürgerin, wie belastend Tourismus ist. In Bozen wird gerade der Weihnachtsmarkt aufgebaut und ich muss meine alltäglichen Wege abändern, weil die Stadt jetzt anderen gehört. Als Pendlerin musste ich um meinen Platz im Zug kämpfen, sobald die Saison begann. Wie viele Südtiroler:innen war ich kaum einmal im August auf einem Berg in den Dolomiten. Ich staue mich mit vielen anderen durch die Täler, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin.

    Wir sind viele, im Sommer und um den Jahreswechsel sind wir oft unerträglich viele. Auch das ist Tourismus, auch das bedeutet es, in einem Tourismusland zu leben.

    Aber ich bin auch selbst Touristin. Ich liebe das Reisen, es ist meine Leidenschaft. Im Sommer war ich in Sevilla, da hingen Leintücher an den Balkons, mit drauf geschrieben: „Tourists go home.“ Ich habe festgestellt, dass ich vielleicht in dieser einer meiner Lieblingsstädte nicht mehr erwünscht bin. Auch bei uns gibt es jetzt solche Schriften. Vielleicht führt das, wie es mir in Sevilla ging, dazu, dass Menschen nicht mehr nach Südtirol kommen. Das wiederum bestürzt mich.

    Wie ist all das passiert? Das mit der Gästekarte hat eine wichtige Bedeutung. Denn an dieser Karte, die als Anreiz gedacht war, die Touris zum Nutzen der Öffis zu bringen, anstatt mit dem PKW durchs Land zu fahren, hat so viele Menschen verärgert. „Gratis fahren“, so wurde die Gästekarte beworben, das hat dazu geführt, dass man nun meint, Touristen fahren gratis mit dem Öffentlichen Verkehr, während wir Einheimischen bezahlen müssen. Das stimmt nun wieder nicht, trotzdem entlädt sich an der Gästekarte der Zorn der Südtiroler:innen über den Overtourism.

    Das muss man nicht verzerren, aber man muss es ernst nehmen. Warum fühlen sich Menschen in ihrem Land benachteiligt? Welche Verteilungsmechanismen laufen schief, lösen Unmut aus und müssen dringend korrigiert werden? Welchen Tourismus wollen wir, welcher und wie viel tut dem Land gut? Wann wird es zu viel?

    Diesen Fragen muss sich die Politik in Südtirol stellen.

    Es ist klar geworden, dass es eine Umstellung braucht. Ein Innehalten, ein Abbremsen. Das Wachstum hat seine Grenzen erreicht. Wenn es nicht eingegrenzt wird, sind die Kosten, die sozialen, die Kosten für die Natur, auch die wirtschaftlichen, zu hoch. Ich bin überzeugt, es ist das, was wir uns wirklich, ganz ursächlich, nicht leisten können.