Politik | Gemeindewahlen

Schluss mit Kirchturm-Politik?

Vor 45 Jahren war Johann Frenes Mitbegründer der Freien Liste in Kastelruth. Nun kandidiert er wieder und erklärt warum heute dieselben Wahlplakate verwendet werden können, wie zu den Anfangszeiten.
Gruppenfoto Freie Liste
Foto: Freie Liste Kastelruth
  • SALTO: Herr Frenes, zurück zum Ursprung: Was hat Sie und Christian Aigner vor 45 Jahren veranlasst, die Freie Liste in Kastelruth zu gründen?

    Johann Frenes: Die Beweggründe und Problemstellungen waren im Grunde genau dieselben wie heute. Als junge Aktivisten ging es uns damals vorwiegend um Natur- und Umweltschutz. So veranstalteten wir eine Demo zum Schutze der Confinböden und lehnten uns gegen die Willkür der Tourismusbranche auf. Weitere Konstanten waren soziale Ungerechtigkeit und das Dorfkaisertum der SVP, wobei auch die Auswahl an alternativen Parteien spärlich und uns entweder zu Links oder zu Rechts war. Und so keimte die Idee zur Freien Liste auf. Wohlgemerkt hatte man im Ahrntal auch die Idee einer Bürgerliste, aber zu Zeiten, in denen Internet noch Science-Fiction war, wussten wir leider nichts voneinander. Vonseiten der SVP kamen, wie zu erwarten war, nur entmutigende und einschüchternde Worte. Wir haben es aber durchgezogen und so stellten wir bei unserer ersten Gemeinderatswahl 1980 mit Stefan Unterkofler unseren ersten Gemeinderat. Startschuss der Präsenz der Freien Liste, von der ich selbst 23 Jahre im Gemeinderat verbrachte.

  • Johann Frenes kandidiert wieder zusammen mit Ehefrau Juliane Jaider. Holen sie die nötigen Stimmen für den vierten Gemeinderat? Foto: Freie Liste Kastelruth
  • Jung, pleite, aber einfallsreich und hochmotiviert. Wie habt ihr damals die Leute erreicht?

    Wir hatten keine Kopiermaschine und keine Hilfe von den etablierten Parteien. Wir haben unsere Wahlwerbung auf Wachsmatrizen eingeritzt, von denen man dann Kopien abziehen konnte. So vervielfältigten wir unsere Plakate. Wenn ich heute unsere damaligen Plakate bei heutigen Wahlveranstaltungen erkläre, komme ich immer wieder zum ernüchternden Punkt: Die Plakate könnte man heute eins zu eins übernehmen! In 45 Jahren hat sich im Grunde in den Problematiken nichts verändert, und ich kann sagen, das war nicht die Schuld der Freien Liste.

  • Handgemalt, mit der Kurbel vervielfältigt und immer noch aktuell die alten Wahlplakate, so "Hons" Frenes. Foto: Freie Liste Kastelruth
  • Wo liegt die Schuld?

    Die Politik hat sich stets dem Lobbyismus der Bauern, Hoteliers, Handwerker und Kaufleute unterworfen.

     

    Und die Opposition schwimmt gegen diese Ströme?

    Genau. Das braucht Energie und Geduld. In der Regel wurden wir im ersten Moment immer gnadenlos niedergestimmt, wobei die SVP dann einige Monate später mit beinahe wortgleichen Vorschlägen Erfolg hatte, um sie sich auf ihre Fahne zu schreiben – Hauptsache, die Dinge wurden vorangebracht. Die Motivation bleibt stets, mit Glück und großem Willen entscheidende Nerven zu treffen, das heißt: als Opposition immer wieder auf unausweichliche Probleme aufmerksam zu machen, die im Wirtschaftswahnsinn untergehen. 1995 prangerten wir bereits an, dass die Seiser Alm ihre touristischen Aufnahmekapazitäten erreicht hätte. Inzwischen sind diese um das Dreifache gestiegen… Auch die Bahn von Kastelruth auf den Puflatsch bleibt nach wie vor Thema, wobei sich in drei Kilometern Entfernung eine funktionierende, rentable Bahn befindet. Ich verstehe diese Kirchturm-Politik nicht!

     

    Der Ortsbevölkerung hat euer Ansatz damals besser gefallen als der SVP? 

    Ja, denn die Probleme, die wir ansprachen und ansprechen, waren und sind offensichtlich. Nehmen wir das Thema der Wohnbauzonen. Die Fraktionen lagen damals im Sterben. Abwanderung war ein enormes Problem und die Menschen hatten keine Möglichkeiten zu wohnen oder zu bauen. Wir kämpften für diese Themen, entfachten einen Diskurs darüber. Inzwischen finden junge Menschen und Familien hier wieder mehr Platz.

  • ... wie Winston Churchill einst sagte: "Wenn zwei Menschen die gleiche Meinung haben, ist einer von ihnen überflüssig”

     

    Damals wie heute scheint die Motivation, die Jörg Zemmler so schön in seinem Song verpackt, zu gelten: „Amol net SVP“. Wie bewerten Sie eure Erfolgschancen?

    Dafür bräuchte ich jetzt eine Glaskugel. Die Hoffnung ist natürlich, dass sich etwas im Wählerverhalten ändert, dass Menschen mutiger werden und den Mainstream verlassen. Leider sehen wir auch eine extreme Politikmüdigkeit nach dem Motto: “es ändert sich ja doch nichts”. Mein Wahlspruch ist: “Alle sagten, es ist unmöglich, bis einer kam, der es einfach gemacht hat”. Probleme lösen sich nicht in Luft auf, vor allem, wenn sich außer der Opposition niemand für deren Lösung einsetzt. Die Chancen des Bürgermeisters sind natürlich gering, aber unser realistisches Ziel bei der kommenden Wahl ist es, mindestens vier Gemeinderäte zu stellen. Damit können wir ein stärkeres Gegengewicht in der Diskussion bilden, denn wie Winston Churchill einst sagte: "Wenn zwei Menschen die gleiche Meinung haben, ist einer von ihnen überflüssig”, und wir sehen zu viele gleiche Meinungen!

     

    Zu Hochzeiten stellte die Freie Liste vier Gemeinderäte, und aktuell sind es drei. Warum war nie mehr drin?

    Ich sehe einen Zusammenhang mit einer gewissen Volksbildung. Es braucht eine gewisse Reife, einen Willen, um Zusammenhänge verstehen zu können und mit Mut hinter etwas zu stehen. Oppositionen sind mittlerweile salonfähig, aber neue Wege zu beschreiten, braucht wahrscheinlich für viele noch zu viel Mut. 

  • Zur Person

    Der 66-jährige Johann “Hons” Frenes ist Programmierer im Ruhestand, Mitbegründer der Freien Liste Kastelruth und kandidiert bei kommenden Gemeinderatswahlen. Natur, Umwelt, soziale Gerechtigkeit, Inklusion und ein lebenswertes Kastelruth sind seit jeher Themen, für die er sich einsetzt. Er verbrachte bereits 23 Jahre im Gemeinderat Kastelruth, 10 Jahre davon mit seiner Frau Juliane Jaider, welche auch wieder kandidiert. 

  • Also heuer “so stark wie noch nie”. Ist das der Grund, warum sie wieder bzw. immer noch motiviert sind, zu kandidieren?

    Nun, meine Frau Juliane Jaider, die mit mir gemeinsam 10 Jahre im Gemeinderat saß, und ich wurden gefragt, ob wir mitmachen wollen. Wir haben beide Erfahrung im Gemeinderat und meine Frau ist Mittelschullehrerin. So könnten wir einen guten Beitrag leisten, wenn es darum geht, die nötigen Stimmen zu holen, um mindestens einen vierten Gemeinderat zu stellen. Das wäre das vorwiegende Ziel. 

     

    Wie steht es um deinen ehemaligen Mitstreiter Andreas Colli?

    Als er in der Freien Liste war, war er echt gut. Er hat sich hineingekniet, mitgearbeitet, Dinge kritisch hinterfragt. Wir haben allerdings nicht vermutet, dass er dies als Sprungbrett nutzte. Seine Ambition war nie die Opposition, sondern der Aufschwung zum Bürgermeisteramt. Deshalb auch der Wechsel zur SVP sowie jetzt zur Liste JWA im Landtag. Wie ich Andreas kenne, hat er mit Anderlahn nichts am Hut. Das ist nicht seine Schiene, aber die einzige Möglichkeit, in den Landtag zu kommen. Ich sage das nicht aus Ressentiment, denn in der Zeit, die er mit uns verbracht hat, hat er gute Arbeit geleistet, aber der Weg nach oben war versperrt, ganz klar.

  • Es bringt nichts beim Budel oder beim Kaffee zu schimpfen. 

     

    Barrierefreiheit und Unterstützung von Menschen mit Behinderung ist Ihnen ein besonderes Anliegen?

    Ich selbst im Jahr 2000 erblindet. Das war eine progressive Geschichte. So erlebe ich hautnahe, was es bedeutet mit Barrieren zu kämpfen. Bei architektonischen Barrieren ist man sehr bemüht diese zu vermeiden, auch wenn dies nicht überall gelingt. Schlimmer steht es um digitale Barrieren. Wenige Websites berücksichtigen Kriterien, die zur Wiedergabe der Inhalte für sehbehinderte Menschen nötig sind. Das gilt vor allem für sensible Seiten, wie Online-Banking-Portale oder wenn es um das Abrufen von Befunden, Ansuchen oder Formularen geht. Und das kann nicht sein! Jeder Mensch hat das Recht, seine Dokumente einzusehen bzw. barrierefreien Zugang zu grundlegenden Informationen zu haben. Der dritte Punkt sind die Barrieren im Kopf, dazu eine Fußnote: Es bringt nichts beim Budel oder beim Kaffee zu schimpfen. Um etwas zu verändern, wendet man sich am besten an seine Gemeinderäte. Die sollen sich nämlich nicht fünf Jahre lang zurücklehnen, sondern beobachtet und verantwortlich fühlen!

     

    5,1 Millionen Euro durch Kurtaxe 2024. Auch eines eurer Themen?

    Unser Hauptanliegen ist generell die Offenlegung. Wir wollen wissen, was mit den Geldern passiert. Licht in diese komische Grauzone zu bringen, wo keine Offenlegung der Bilanzen erfolgt. Es wäre interessant mal eine solche Bilanz zu sehen. Dann könnte auch bewertet werden, ob man die Gelder besser verwenden bzw. umschichten kann, ob es eine Idee wäre, die Kurtaxe zu erhöhen, um andere Bereiche besser abzudecken, etc.

  • Es müssen mehr Kompromisse gefunden werden, um nicht ständig das Gefühl zu haben, dass im Zeichen des Profits die Einheimischen draufzahlen müssen.

     

    Warum hat die Freie Liste die besseren Antworten auf Kastelruths Problemfelder?

    Ich weiß nicht, ob wir die besseren Antworten haben, wir haben andere! Es gilt, sich zur Diskussion an einen Tisch zu setzen und abzuwägen, wo die Gemeinde zu weite Ärmel hat und die Opposition zu restriktiv ist. Es müssen mehr Kompromisse gefunden werden, um nicht ständig das Gefühl zu haben, dass im Zeichen des Profits die Einheimischen draufzahlen müssen. Im Winter hat kein Restaurant geöffnet, maximal ein Café. Die sommerliche Touristenhochburg, wird zur verlassenen Wüste, ohne Angebot für unsere Leute. Wird jemand in Kastelruth beerdigt, muss das Toatenmahlele in Seis oder St. Michael abgehalten werden und das ist für unsereins schlicht entwürdigend. Das sind Details, die die Leute ärgern, die das Gefühl haben, dass alles dem Tourismus geopfert wird. Die Opposition hat zudem mit Sicherheit besseres Augenmerk für Natur und Landschaft. Biotope werden klammheimlich planiert und am Wochenende wird gegüllt, wenn Menschen im Sommer Grillabende in ihren Gärten abhalten möchten.

    Gibt es noch etwas, das Sie den LeserInnen mitgeben möchten?

    Wenn die Opposition, der einsame Wolf in der Wüste, mit seinen Anliegen nicht irgendwann ein Echo bekommt, dann wird er müde. Unsere Opposition arbeitet sicher nicht für sich selbst, sondern für die Menschen und wenn wir kein Echo bekommen, machen wir vielleicht den falschen Job.

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