„Ich habe innerlich gejubelt“

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SALTO: Sie haben sich im Rahmen einer auditiven und visuellen Performance dem Tätigkeitsfeld von Quästor Paolo Sartori gewidmet. Warum?
Hannes Hoelzl: Eine spontane Idee. Am Tag nachdem ich die Einladung zum Konzert bekommen hatte, hörte ich die Nachricht von der Abberufung des Quästors. Ich habe innerlich gejubelt.
Weil ich gern mit Archiven arbeite, hat es sich angeboten, die Website der Quästur abzugrasen und die gut 150 Pressetexte abzuernten, die ausnahmslos dem Starken Mann huldigen. Maximilian Hauser hat mir geholfen, die Arbeit mit einem Algorithmus zu automatisieren.
Mir lief es kalt den Rücken runter.
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Hannes Hoelzl im Pippo.Stage: "Jetzt ist dann auch Schluss mit dem Kapitel in Bozen." Foto: HM (SALTO)
Mit plakativen Statements nach den An- und Ausweisungsmustern Sartoris haben Sie sich auf journalistisches Terrain begeben. Eine Kritik an dem kritiklosen Umgang der Journalistinnen und Journalisten mit dem sogenannten Sheriff von Bozen?
Journalismus ist nicht mein Gebiet, darin bewege ich mich nicht. Das Terrain ist aber insofern dasselbe, als ich als Material für die Arbeit die gesammelten Presse-Mitteilungen verwendet habe. Das ist exakt das Textmaterial, das die Journalist*innen die vg. eineinhalb Jahre über immer wieder gern verbatim veröffentlicht haben. Das fand ich schon kritikwürdig, und ich habe Journalist*innen immer wieder darauf angesprochen, warum sie sich so kritiklos zu Multiplikator*innen dieses Personenkults machen. Wem nützt das? Mir lief es kalt den Rücken runter.
Was ich schon professionell fand, war, dass Sartori in diesen 15 Monaten täglich eine gebrauchsfertige, vorverdaute PR-Meldung abliefern ließ: das schont natürlich die Arbeitsbelastung der journalistischen Zunft.
Wird er am neuen Ort mehr gebraucht als hier? Oder wird er hier nicht mehr gebraucht?
Paolo Sartori wollte mehr im Rampenlicht stehen als die vermeintlichen Verbrecher und Verbrecherinnen die er dingfest machen wollte. Sie haben Ihm nun die finale Bühne beschert. Für seinen so plötzlichen Abgang?Ja, schon so eine Art Abgesang zum Abgang. Jetzt ist dann auch Schluss mit dem Kapitel in Bozen. Persönlich bin ich immer noch neugierig herauszufinden, was der Grund für diese rasche Versetzung war. Wird er am neuen Ort mehr gebraucht als hier? Oder wird er hier nicht mehr gebraucht?
Verstörender Quästor, verstörende Visuals: "Alles besteht zu 100% aus unveränderten Originalzitaten, DOC" Foto: Hannes HölzlZu den Visuals die an die 80er Jahre und inhaltlich an den Spaghetti-Western der 70er erinnern haben sie eine sehr heutige Klangkulisse gezaubert. Wie geht das alles zusammen?
Wie geht das zusammen, das wir modernste Pressearbeit vor uns haben, digital im Netz, in einem "legalese"-Sprachstil, der völlig aus der Zeit gefallen wirkt? Mit Inhalten wie sich großer Taten brüsten und in Wirklichkeit oft minderjährige "micro-criminali" betreffen, die dann abgestraft werden wie große, echte Terroristen?
In der Wiederholung haben sie ihren Schrecken verloren, bis sie harmlos und komisch wirkten.
Mit welchen Mitteln haben Sie gearbeitet?Bei den Texten/Visuals hauptsächlich mit Mitteln der Reproduktion: Kopien, Wiederholungen, loops. Die haben etwas Meditatives, und in der Wiederholung bekommen die Fragmente gleichsam ein Eigenleben. Ich hatte das Gefühl, es wird ganz von allein absurd, wenn sich die Muster zeigen, wie dieser Personenkult textlich aufgebaut war. Und dabei musste ich kein bisschen eigene Meinung äußern: Alles besteht zu 100% aus unveränderten Originalzitaten, DOC.
Andererseits glaube ich aus dem Buddhismus gehört zu haben, dass die Wiederholung auch die Angst nimmt. Wenn der Dalai Lama täglich das Sterben übt, hunderte Male das Schrecklichste visualisiert, dann hat er keine Angst mehr davor. Ähnlich erging es mir beim Umgang mit diesen Äußerungen aus der Quästur, die mich anfangs schon schockiert haben. In der Wiederholung haben sie ihren Schrecken verloren, bis sie harmlos und komisch wirkten.Unter anderem waren verzerrte Sirenen zu hören. Laut Mythologie sind Sirenen Unruhestifter*innen. Sind Sie in diesem Fall, mit dieser Arbeit selber eine?
Die ganze elektronische Noise-Musik, wie sie an dem Abend zu hören war, kann man als unruhig ansehen. Ich bezeichne sie gern als „uneasy listening“ – das Gegenteil von Muzak und Meditationsmusik. Nach meinem Verständnis gedeiht Noise-Musik an Orten, wo Menschen sich von zu viel Ordnung eingeengt fühlen. Los ging's ja in den 80'ern in Japan. In den frühen 2000ern habe ich die Entstehung dieser Bewegung in China miterleben können; die Menschen waren begeistert über diesen brachialen Ausdruck der Unangepasstheit! Durch Indonesien ging eine Welle der Noise-Musik nochmal später – Organisator Peter Kompripiotr hat eben von einer Reise dorthin erzählt.
Ich hab in den lokalen Kulturszenen bisher nicht furchtbar viel gesehen, was sich politischer Themen annimmt.
Wie haben Sie Ihr Stück musikalisch konzipiert?Mein Konzept dieses Stücks war eigentlich um die Frage der „Kontrolle“ herum gewickelt. Ich wollte mit einem Computerprogramm und einem analogen Synthesizer spielen, die ganz dezidiert so designed sind, dass sie sich „nicht“ kontrollieren lassen wollen. Die sind eigenwillig wie eine verzogene Katze: beeinflussen kann man sie schon, aber echte Kontrolle ist hoffnungslos. Als Kontrast zur Musik, in der ich das chaotische Verhalten der Maschinen zu bändigen versuche, die Visuals mit den Sartori-Texten, die vor Kontrollfantasien nur so strotzen: Law and Order.
Wie sehen Sie ihre gesellschaftspolitische Auseinandersetzung im Nachhinein? Als kulturelle Tat? Als fein friedliches Attentat?
Es ist ein kleiner Beitrag zum öffentlichen Diskurs von Seiten der Kunst. Ich hab in den lokalen Kulturszenen bisher nicht furchtbar viel gesehen, was sich politischer Themen annimmt. Daher denke ich, das kann Bozen schon vertragen. Und der Ort war ja auch ideal dafür; das habe ich erst im Nachhinein verstanden.
Hannes HoelzlKomponist, Klanginstallationskünstler, akademischer Lehrer. Sein Studium an der Kunsthochschule Utrecht (HKU) wurde von einem Praktikum im Studio for electro-instrumental Music (STEIM) in Amsterdam begleitet. Nach seinem MA-Abschluss hatte er eine Fellowship für Klangkunst an der KHM in Köln inne. Als roter Faden zieht sich durch seine vielfältige künstlerische Praxis sein tiefes Interesse an Übersetzungsprozessen, geprägt durch die Erfahrung des Aufwachsens in einer zweisprachigen Umgebung. Solche Übersetzungen können an den Grenzen zwischen Wahrnehmungsmodalitäten wie Visualisierung, Audifikation und Sonifikation auftreten, bei der konzeptionellen Übertragung in ortsspezifischen Arbeiten, oder durch den Einsatz von Archiven als künstlerisches Rohmaterial, wie es in seinem Stück ‘AudioVisual Anarchivism’ zum Ausdruck kommt.
Der Jubel über den Abgang…
Der Jubel über den Abgang des Selbstdarstellers Sartori (mit der hier verbleibenden Ulli in einer Nebenrollee) erscheint mir verfrüht. Man weiß ja: nichts Besseres kommt nach.