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Wirtschaft | Overtourism

Auf und davon (II)

Die Auswirkungen des Massentourismus bekommt dieser mittlerweile auch selber zu spüren, ohne allerdings die notwendigen und prinzipiellen Konsequenzen daraus zu ziehen.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Froher Biler
Foto: SALTO
  • Tourismus, vor allem Massentourismus, ist ein kommerziell organisiertes Ausweichen, ein Ausweichen und Fliehen vor sich selbst. Das gilt für beide, sowohl für Touristiker als auch für Touristen. Diese Flucht aber ist zugleich eine Invasion, durch die den Ortsansässigen ihr zu Hause zu einer Fremde wird, in die sie am Ende verbannt werden. 

    Es liegt auf der Hand, dass weder Touristiker noch Touristen diesem Befund zustimmen. Das heißt jedoch nicht im geringsten, dass er nicht zuträfe. Organisierte Selbstflucht ist sogar die Grundlage und notwendige Voraussetzung auch für diesen Geschäftszweig. Diese Feststellung mehr oder weniger heftig abzulehnen, bestätigt sie allerdings letztlich nur, da eines der unverzichtbaren Prinzipien dieses Tourismus das Verleugnen der konkreten Wirklichkeit und ihrer Verhältnisse ist. Als Ware angeboten wird da ein Aufenthalt im Unwirklichen, das Touristiker Touristen als eine heile Ersatzwirklichkeit her- und einrichten.

    Nun ist der Ort, an dem da Ansässige wohnen, zum einen nicht derjenige der Touristen, sondern ist ihnen ein fremder Ort, und daher das Objekt einer Ausstellung; den Touristikern ist er zum anderen eine möglichst gewinnbringend zu vermarktende Ware. Das Gleiche gilt für Natur und Landschaft. So werden etwa Meran und seine Umgebung Exponate, die Touristiker mit Fleiß kuratieren: der Pragser Wildsee: ein Exponat; die Drei Zinnen: Exponate; Kühe auf der Weide: Exponate; indische Kellner in Lederhosen: Exponate; ein Zitherspieler auf dem Walther-Platz: ein sich exponierendes Exponat; Bauernmärkte: ein Exponat; Südtiroler: Exponate und ganz Südtirol eine einzige Riesenausstellung – una mostra mostruosa. Dementgegen ist deren jeweils eigener Sinn, eben nicht Exponat zu sein. Nun gibt es zwar im Bereich des Finanziellen Gesetze, die vor Betrug schützen sollen, im Bereich des Sinnes von Dingen und Menschen aber nicht. 

    Auf die hier nötige Einstellung von Ausstellungsbesuchern werden Touristen durch unterschiedliche Medien eingestellt, insbesondere durch Agenturen wie gerade auch der IDM. Eine ihrer Hauptaufgaben ist es, eine möglichst große Menschenmenge von der trügerischen Möglichkeit eines Aufenthalts im Unwirklichen zu überzeugen. Die Voraussetzung dafür ist die uralte menschliche Neigung zur Selbstflucht, die keine Agentur bewirken, sondern sich nur nutzbar machen kann. Dass von all dem nichts ins Wissen gelangen darf, sondern hartnäckig verleugnet werden muß, liegt auf der Hand. Und so sind Touristiker wie Touristen darauf auch nicht ansprechbar. 

    Solange sie das aber nicht sind, wird sich die Auseinandersetzung um den Massentourismus ausschließlich in jenem Horizont bewegen, der für alle – auch für die ins Unzuhause Verbannten – von dessen Akteuren vorgegeben ist und zwar einfach aufgrund ihrer finanziellen und strukturellen Macht. Dies aber ist der Horizont einer nur halben Wahrheit, die andere Hälfte – das Faktum invasorischer Selbstflucht – wird als irrelevant, wenn nicht inexistent verleugnet. Doch ist es gerade die Ansprechbarkeit, die über die Möglichkeiten von Argumenten in einer Auseinandersetzung entscheidet.  

    Und schließlich ist diese verleugnete Verleugnung keine Konstruktion oder nur Einbildung, sondern sie ist tatsächlich spürbar, nämlich in der von Massen an Touristen ausgestrahlten Atmosphäre unerträglicher Harmlosigkeit, die sich wie Mehltau über alles legt. (S. auch: https://salto.bz/de/article/16082024/auf-und-davon)

     

    Moritz Amselbrück 

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K V Fr., 11.10.2024 - 16:31

"Diese Flucht aber ist zugleich eine Invasion, durch die den Ortsansässigen ihr zu Hause zu einer Fremde wird, in die sie am Ende verbannt werden."

Sehr treffend formuliert und auf den Punkt gebracht.

Fr., 11.10.2024 - 16:31 Permalink
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Salto User
veronika dapra Sa., 12.10.2024 - 07:07

Momentan leidet die Welt an einer Reisesucht. Unlängst bei Essen mit Freunden sprach man fast ausschließlich über‘s Reisen.
Das Ganze nimmt zu viel Raum und Energie in Anspruch.

Sa., 12.10.2024 - 07:07 Permalink