Kultur | Summer School

Wer hat noch nicht, wer will noch mal?

Für kühle Körper und heiße Köpfe dürfte die 10. Summer School auf Schloss Feldthurns sorgen. „Geschlechter werden und wieder loswerden“ ist heuriges Motto. Ein Überblick zu den Terminen vom 25. bis 30. August.
Summerschool Schloss Feldthurns
Foto: Jörg Oschmann
  • Mit der Krake als Vorbild und mit (mehr als) „drei Herzen und in jedem Arm ein Gehirn“ eröffnet die Summer School in ihrem Jubiläumsjahr ein regenbogenfarbenes Programm am Puls der Zeit und des gesellschaftlichen Diskurses, das an einem Sonntag beginnt. Nach dem Olympiadrama ist schließlich auch vor der ersten Pride in Südtirol im nächsten Sommer, so dass die Schlossmauern dem einen oder anderen Hitzkopf im Sommer davor vielleicht ein geeignetes Umfeld für eine Annäherung bieten.

    Neben der Eröffnungsrede, in welcher Summer School-Gründerin Maxi Obexer (sie bedarf in Südtirol keiner Vorstellung) die Frage stellt, wohin die Diffamierung von Queernes zielt, steht auch Alexander Graeffs Vortrag „Tentakel ausbilden. Ein Plädoyer für ein queeres Denken und Handeln“ auf dem Programm. Der offen bisexuelle Schriftsteller und Philosoph Graeff engagiert sich unter anderem für mehr Sichtbarkeit queerer Inhalte und Personen in den Medien und zählt zu den Gründungsmitgliedern des PEN Berlin. Der Abend wird mit einer Lesung aus „Die im Schatten, die im Licht“ der Österreicherin Sabine Scholl, die ebenfalls bei der PEN Berlin Gründung dabei war und ebenso der Grazer Autorinnen Autorenversammlung angehört, beschlossen und klingt mit einem - wie immer - queeren Nina Duschek Konzert aus. Scholls Roman nähert sich, basierend auf wahren Biographien und ausgiebiger Recherche, neun weiblichen Perspektiven zwischen Widerstand und Anspannung auf die Jahre 1938 bis 1946 an.

  • (K)eine neue Vorstellung

    Wem man in Südtirol erstmals den Begriff „queer“ vorstellen muss, der findet die Wurzel des Wortes vor allem bei einem abwertenden Adjektiv oder Nomen des ausgehenden 19. Jahrhunderts für schwule und bisexuelle Männer, wie etwa Oscar Wilde. Das Wort hat in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine Aneignung zur Selbstbezeichnung und zum Sammelbegriff für Lesben, Schwule, Bisuexelle, Asexuelle Orientierungen, sowie für Inter- und Transgeschlechtliche Identitäten erfahren.

    Montag, der 26. August, ist unter anderem Idee der Intersektionalität gewidmet und beginnt mit einem Vortrag von Nivedita Prasad, Professorin für genderspezifische Soziale Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, die mit „An der Schnittstelle von Rassismus, Sexismus, Klassenunterdrückung und Transphobie. Die Idee des Intersektionalen“ eine Einführung in die Welt der Überschneidungen und Wechselwirkungen bei Diskriminations- und Ausgrenzungs-Mechanismen gibt. Zwei Lesungen runden den zweiten Tag ab, einmal mit Mazlum Nergiz schwuler Beziehungs-Geschichte im Graphic Novel Format (Bilder von Leonie Ott) und abschließend, zum Geschlechterausgleich, einer gemeinsamen Lesung von Scholl und Obexer aus „Wir kommen“. Die beiden Autorinnen haben gemeinsam mit 16 FLINTA Kolleginnen (Frauen, Lesben, Inter- und Transsexuelle, sowie Agender Personen) im Format des Kollektivromans über weibliche Lust nachgedacht, sich gefordert und gegenseitig geantwortet.

    Dienstag widmet man unter anderem den Transgeschlechtlichen Körpern und Lebenswirklichkeiten. Psychotherapeut Michael Peintner spricht „Über die rechtlichen, sozialen, und persönlichen Herausforderungen bei geschlechtsanpassenden Eingriffen“ und zwei gemeinsame Mütter und Mitglieder des Vereins Regenbogenfamilie sprechen über den langen Kampf um Anerkennung als Familie im Staat Italien. Von der Wirklichkeit zur Möglichkeit gehen dagegen Theaterautor Jan Geiger und Lyriker:in Lisa Jeschke über, die eine Performance vorbereitet haben: „Feast. Zwei fast austauschbare Körper suchen nach einer Form“ beschließt den Abend.

  • Summer School: Gruppenfoto mit einer beschlussfähigen Mehrheit der Summer School, zu deren Organisationsteam Maxi Obexer, Anna Heiss, Maria Lobis, Anne Schneider, Carmen Torggler und Judith Waldboth zählen. Foto: Jörg Oschmann

    Nicht mit Queerem aus Österreich und Deutschland, sondern Queerness DOC und Marke Südtirol, geht es in die zweite Hälfte der Summer School. Am Mittwoch, den 28. August, werden Vertreter:innen von Arcigay Centaurus, sowie des davon unabhängigen Organisationskomitees der Alto Adige Pride Südtirol mit Priska Garbin von der Antidiskriminierungsstelle diskutieren und überpolitisches und gesellschaftliches Engagement, sowie zu bestehenden und werdenden Plattformen für Information, Aufklärung und Begegnung im Lande sprechen. Es folgt eine Performance auf den Spuren der Mann-Zwillinge, Erika und Klaus Mann, man geht 100 Jahre in die Vergangenheit und findet dort, bei den Anfängen von Drag-Queens und Drag-Kings zu einer nach wie vor radikalen Sprache in Theresa Seraphins „Erik.A“. Anschließend wird die dramaturgisch und schriftstellerisch tätige Allex. Fassberg aus „Meine nackte Existenz“ vorlesen. Diese gegenwärtige Auseinandersetzung mit Themen des Geschlechts nahm ihren Ausgang übrigens bei einer Recherche zu den albanischen „burrnesha“, oder eingeschworenen Jungfrauen. Keusch und ohne eine Familie zu gründen, werden die biologisch weiblich geborenen Frauen sozial als Männer akzeptiert.

    Unter Tieren ist queeres Verhalten nichts Neues, fragen Sie etwa eine Giraffe oder einen Delfin, denn es gilt „Binäre Geschlechter, Transsex, Intersex, Zwittertum: Vorstellungen von dem, was normal oder schicklich ist, haben unter Tieren keine Bedeutung“. Ismeni Walter, Umweltjournalistin für ARD, WDR und arte kann alternativ, falls sich in Feldthurns keine Giraffen oder Delfine finden lassen sollten, in die Welt der queeren Tiere einführen. Rut Bernardi und Maxi Obexer nähern sich ihren Tieren mit neuem, literarischem Material. Die Ladinerin liest aus ihrem neuen Buch „Katzenhaftes“, die Exilsüdtirolerin präsentiert ihren Roman „Unter Tieren“.

    Neben Tieren gibt es auch zahlreiche Rock- und Hosenrollen, die es umzukrempeln, oder zumindest genauer unter Betracht zu nehmen gilt. „Queer-feministische Überschreibungen in Theater, Film und in der Literatur“, stehen am letzten Tag der Summer School, dem 30. August auf dem Programm. Christine Richter-Nilsson, Autorin, Dramaturgin und Literaturwissenschaftlerin wird den Vortrag als Impuls zum Start des Abends führen, der Schauspieler Tommy Fischnaller-Wachtler und Moritz Franz Beichl nähern sich über die querfeministische Komödienüberschreibung des Autors dem literarischen Stoff der Effi Briest, die 2022 bei S.Fischer erschienen ist. Auch seinen Roman „Männer“, von 2024, wird Moritz Franz Beichl nach Feldthurns mitbringen. Letzter Programmpunkt wird die Performance von Autorin und Komponistin Raphaëlle Oskar sein. Sie widmet sich dem Thema über den Zugang von Isaac Bashevis Singers Stück „Yentl“, das 1983 zum Barbra Streisand Musical wurde, und erzählt wie die junge Polin Yentl, sich Beginn des 20. Jahrhunderts als Junge verkleidete um den Talmud zu studieren. Vielleicht lässt sich zumindest das Geschlecht als Verkleidung, als Schutz und als Schlüssel, ablegen.

  • Beginn der Veranstaltungen auf Schloss Feldthurns ist jeweils um 18 Uhr, am 25. August, zur Eröffnung, ist Unterrichtsbeginn in der Summer School um 19 Uhr. Alle weiteren Infos zu An- und Abreise, sowie zum Programm finden sie online. Wir wünschen gutes Lernen.

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Elisabeth Garber Di., 27.08.2024 - 13:56

Unter Tieren gibt es auch Kannibalismus, nicht nur Queerness. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel und sollten nicht ideologisch ausgebeutet werden. Der Vergleich mit der Tierwelt ist m.E.n. eine Beleidigung für den Menschen.
Ganz altmodisch (aber überzeugt) verbinde ich das Tier immer noch mit Instinkt, den Menschen hingegen mit Vernunft.
Mit dem ,Queerness-Trend' (O-Ton einer Oberschülerin) kann ich wenig anfangen.

Di., 27.08.2024 - 13:56 Permalink