Kultur | Geschichte

Bauernkrieg im Staatsarchiv

Gestern stellte der Autor und Historiker Ralf Höller sein jüngstes Werk vor. Es behandelt die Bauernkriege 1525/26, insbesondere Gaismair und Paßler. Ein Textauszug.
Ralf Höller
Foto: SALTO
  • Der Prozess war für den 9. Mai 1525 angesetzt, einem Dienstag. Die Verhandlung konnte in aller Stille stattfinden. Kein Markttag stand in Brixen an und auch kein Hochamt. Besucher von außerhalb waren nicht zu erwarten, und in der Stadt selbst würden die meisten der knapp 1700 Einwohner ihrer Arbeit nachgehen.
    Am Abend zuvor waren der Richter und die Geschworenen eingetroffen. Vier kamen aus Brixen, die übrigen von weiter weg: aus Sand in Taufers, Klausen, Feldthurns, Vahrn, Sterzing und Bozen, manche eine Tagesreise entfernt. Noch beschwerlicher war der Weg für den Bannrichter. Severus Prugger musste sich von der Michelsburg bei Sankt Lorenzen zunächst ins Pustertal und dann die Rienz entlang nach Brixen hinabbegeben. Es war eine ungewöhnliche Berufung. Eigentlich wäre der Brixner Stadtrichter zuständig gewesen. Ruprecht Rindsmaul ließ sich jedoch entschuldigen. Er sei „mit krankheit so vast beschwert gewesen“, ließ er ausrichten, „das er solich malefizrecht aigner person nit ersetzen und volfüren mügen.“  Dabei war ein Stadtrichter wie Rindsmaul, gleich dem Bannrichter, durchaus befugt, solche Prozesse an Leib und Leben zu führen und, falls die Geschworenen auf schuldig plädierten, auch die Todesstrafe zu verhängen. Lag Rindsmaul wirklich darnieder? Oder schützte er seine Krankheit nur vor?
     

    Der Name des Beschuldigten war Peter Paßler. 


    Auch der neu angesetzte Termin platzte. Diesmal war der Bannrichter unabkömmlich. Prugger meldete sich plötzlich krank. Ein Ersatztermin musste her. Als dieser endlich feststand und neben den Geschworenen auch Prugger wohlbehalten in Brixen eingetroffen war, fehlte der Kläger: Sebastian Sprenz wäre von sämtlichen Prozessteilnehmern der schillerndste gewesen. Seit vier Jahren regierte er das Hochstift Brixen, neben Trient eines von zwei exterritorialen Fürstbistümern auf Tiroler Gebiet. Die Fürstbischöfe waren geistliche und weltliche Herrscher zugleich und besaßen Stimmrecht auf deutschen Reichstagen.
    Sprenz residierte in der Brixner Hofburg. Obwohl sein Dienstsitz keine hundert Meter vom Gerichtssaal entfernt lag, zog der Fürstbischof es vor, den Prozess aus der Ferne zu verfolgen. Er quartierte sich in Tirols Hauptstadt Innsbruck ein und beauftragte einen Schreiber, ihm Bericht zu erstatten. Die gesamte Causa zog sich bereits über mehr als zwei Jahre hin. So lange hatte es gedauert, den von Sprenz verfolgten Übeltäter dingfest zu machen, zur Anklage zu bringen und seinem Prozess zuzuführen.
    Der Name des Beschuldigten war Peter Paßler. Er stammte aus Antholz unweit von Bruneck, dem Hauptort des Pustertals, das sich östlich an Brixen anschließt und Teil des Fürstbistums war. Im Antholzertal hatte die Familie Paßler das Fischereirecht an zwei Seen und einem Bach inne, gepachtet vom Bischof. Ein Streit um die Auslegung eskalierte immer weiter. Schließlich wurde den Paßlers das Fangrecht entzogen. Trotz Verbots fischten sie munter weiter. Vor allem Peter, einer der Söhne, tat sich hervor, indem er den von Sprenz eingesetzten Nachfolger daran hinderte, seinen Beruf auszuüben. Nicht nur das: Im weiteren Verlauf geriet Peter Paßler mit bischöflichen Beamten und Brunecker Behörden aneinander und beging eine Reihe von Straftaten, die ihn zum meistgesuchten Gesetzesbrecher im gesamten Hochstift machten. Am Ende wurde er gefasst und vor Gericht gestellt. Paßlers Chancen standen schlecht, da seine Taten als Kapitalverbrechen eingestuft wurden und bei Schuldfeststellung entsprechend drastisch geahndet werden konnten.

  • Über kämpfende Bauern: Pressekonferenz mit Autor Ralf Höller und Rossella Ioppi. Außerdem mit einer Abschrift der Landesordnung, die im Staatsarchiv aufbewahrt wird. Foto: SALTO
  • Wir wissen von dem Rechtsstreit durch Michael Gaismair. So hieß der von Sprenz beauftragte Schreiber. Obwohl erst seit kurzem in der fürstbischöflichen Kanzlei angestellt, schien er das Vertrauen seines Dienstherrn zu genießen. Penibel notierte Gasimair alles, was an jenem Morgen rund um die Hofburg vor sich ging. Beim Prozess selber war er nicht zugelassen. Gaismair saß an seinem Pult und wartete. Sobald die Geschworenen abgestimmt hatten und der Richterspruch gefällt war, würde ihm das Ergebnis mitgeteilt werden. Wie das Urteil ausfallen würde, war ihm seit langem klar.
    Die Verhandlung währte nur kurz. Noch vor Mittag sah Gaismair von seinem Arbeitsplatz im ersten Stock des Ostflügels, wie sich die Tür des gegenüberliegenden Gerichtsgebäudes öffnete. Heraus trat der Bannrichter. Mit einigen Gerichtsdienern im Gefolge überquerte Prugger den Platz vor der Hofburg und meldete drinnen Vollzug: „ain urtl sei beslossen“ und der Verurteilte „hinaus zu eröfnung des urtls zu bringen.“  Gaismair wusste Bescheid.
    Gaismair wusste auch, dass Sprenz penible Instruktionen hinterlassen hatte. Sie betrafen vor allem die Zeit unmittelbar nach Fällung des Urteils, falls „der Pesler  soll gerichtet werden“, wovon Sprenz wohl ausging. Um die anschließende sofortige Vollstreckung zu sichern, sollten ausreichend Schergen zur Verfügung stehen, „in ainer guten anzall mit gewerter handt ine zu dem gericht beleitten und das gericht vor gewalt verwaren.“  Vor welcher Gewalt wollte man auf der Hut sein? Fürchtete Sprenz etwa, ein Todesurteil würde im Volk nicht akzeptiert werden? War dies auch der Grund, der hinter der problematischen Suche nach einem Richter steckte? Aber  wer wäre willens und in der Lage gewesen, die Vollstreckung eines Urteils zu verhindern, das ein hoheitliches Gericht gefällt hatte?
     

    Gaismairs Rechtfertigungsversuch klingt merkwürdig lahm. Wusste er mehr? 

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    Die Hinrichtungsstätte befand sich unmittelbar östlich der Hofburg, im Schatten des Brixner Doms. Das Gelände hatte nur zwei Zugänge. Einer führte mitten durch die Stadt, der andere durch das westliche Kreuztor. Der übrige Teil der Hofburg war durch Mauern und Gräben gesichert und von außen nicht zugänglich.  Schaulustige würde es an diesem Dienstag kaum geben, so Sprenz‘ Kalkül, und falls sich doch Müßiggänger aus der Stadt aufmachten, um dem Spektakel beizuwohnen, waren sie leicht zu kontrollieren.
    Es sollte anders kommen, wie aus Gaismairs Bericht zu entnehmen ist. Nachdem der an Händen und Füßen gefesselte Paßler zum Richtblock geführt wurde, „ist ain grosse anzal frawen von der stat und anderen orten mit sambt des Päslers weib und procurator zu uns komen und für den Päsler ine des lebens zu begnaden umb gotes willen gepeten.“  Sprenz hatte nicht erwartet, dass bei der Hinrichtung neben Paßlers Gattin und seinem Rechtsbeistand Baltasar Lanzinger  weitere Personen zugegen sein würden. Was hatte die Frauen dazu gebracht, in so großer Zahl zu erscheinen und Paßlers Begnadigung zu fordern?
    Aussicht auf Erfolg bestand keine. Paßlers Bewacher verwiesen auf ihren Mangel an Kompetenz; sie hätten keine Befugnis für eine Begnadigung. Doch es gebe eine tröstliche Botschaft des Bischofs: Für den Fall eines Todesurteils hatte Sprenz in seinen Instruktionen festgelegt, der Verurteilte dürfe nicht verbrannt, sondern solle „mit ainem miltern tod“  bestraft werden. Der mildere Tod bestand in Enthaupten mit anschließender Vierteilung.  
    Nicht nur diese a priori Konzession bei der Vollstreckung wirft Fragen auf. Warum wollte Sprenz jegliches Spektakel vermeiden? Was hielt ihn ab, Paßler verbrennen zu lassen? Wie konnten trotz Überwachung und Kontrolle so viele Frauen, auch von außerhalb der Stadt, zur Hofburg gelangen? Warum wollten sie sich für Paßler verwenden?
    Es gab weitere Ungereimtheiten. Der Schreiber Gaismair beteuert in seinem Protokoll, er wie auch der Henker und die Schergen seien „kaines argen von niemant besorgt“ gewesen. Doch schon im nächsten Satz heißt es, während des Geplänkels mit den Frauen „ist ain großer hauff pauern E.F.G. underthanen und ander von den pergen und orten ganz aufruerig mit zognen weren und straichen eingefallen“, um „den gefangnen Päsler mit Gewalt“ zu befreien.  Der scheinbar spontane Auftritt der Frauen war offenbar eine Finte, um vom eigentlichen Handstreich abzulenken: der Befreiung Paßlers. Sprenz muss einen derartigen Plan zumindest geargwöhnt haben. Warum sonst hatte er so viel Bewachungs- und Vollstreckungspersonal angefordert?

  • Original oder nicht?: Was hat Gaismair geschrieben? Was nicht? Foto: Agostino Fuscaldo

    Einmal in die Stadt eingedrungen, gab es für die aufrührerischen Bauern– wieder muss die Frage lauten: Wer ließ sie herein? – kein Halten mehr. Kleinlaut räumt Gaismair ein: „und wie wol wir zu der gegenwer weren genaigt, so sind si dermassen gefast [bewaffnet] gewesen, das wir nicht hetten ausrichten mügen und nur zu grosser emperung und ergerem hetten ursach geben. Also haben wirs miessen geschehen lassen."  Paßler, dem bereits das letzte Stündlein geschlagen hatte, war plötzlich wieder frei, dem Richtblock entrissen, entkommen aus der bestens bewachten Brixner Hofburg, dem Dienstsitz des mächtigen Fürstbischofs.
    Gaismairs Rechtfertigungsversuch klingt merkwürdig lahm. Wusste er mehr? Wie kam es, dass trotz aller Warnungen und Prävention die Angreifer in der Übermacht waren? Warum hatten die Bewacher am Ende alles „miessen geschehen lassen“? Lag es daran, dass Paßlers Freunde, die Bauern aus den umliegenden Orten, heimlich Unterstützung in Brixen erfuhren? Ähnlich den Bauern schienen auch manche Bürger, wie sich bald herausstellte, mit der Herrschaft im Hochstift und in der Stadt Brixen überkreuz.
    Mit Paßlers Rettung war der Tag noch nicht zu Ende. Die Befreier, einmal in Schwung, nutzten weiter das Überraschungsmoment. Statt Brixen auf direktem Weg zu verlassen und sich in den umliegenden Bergen zu zerstreuen, nahmen sie Paßler in ihre Mitte, durchquerten die komplette untere Stadthälfte von West nach Ost, passierten erst den Eisack, dann die Rienz, die beide in Brixen zusammenfließen, und suchten sich einen Lagerplatz am stadtabgewandten Ufer. Die ganze Aktion wirkte gut organisiert. Nach überstürzter Flucht sah sie nicht aus.
    Nicht einmal der befreite Delinquent bereitete Schwierigkeiten. Paßler, immer noch in Eisen gelegt, drosselte erheblich das Fluchttempo. Eine Verfolgung oder zumindest eine Sicherung der Spuren wäre möglich gewesen. Beides fand nicht statt, auch weil niemand daran interessiert war. Dies legt die zweite Hälfte von Gaismairs Bericht nahe. Sichtlich bemüht hebt der Schreiber im Protokoll die Sorgfalt aller Beteiligten bei der Prozessvorbereitung und ihr Pflichtbewusstsein während der Abwicklung hervor. Zwischen den Zeilen ist der Eindruck ein ganz anderer. Nachdem Paßler entkommen war, sahen Richter und Geschworene nur ein Ziel vor Augen: möglichst rasch aus Brixen zu verschwinden, nicht ohne sich zuvor rasch noch die Erstattung der Spesen und sicheres Geleit nach Hause garantieren zu lassen. In der Stadt fühlten sich die fürstbischöflichen Beamten nicht mehr sicher; einige fürchteten sogar um ihr Leben.

    [...] 

  • Auszug aus dem Prolog des Buches: Die Bauernkriege. Vom Kampf gegen Unterdrückung zum Traum einer Republik (Edition Raetia / Kohlhammer Sachbuch)

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Hartmuth Staffler Fr., 13.09.2024 - 20:50

Sehr gut recherchiert und erzählt, vor allem die Ungereimtheiten bei diesem Prozess. Allerdings ist auch dem Autor selbst auch eine Ungereimtheit unterlaufen. Innsbruck war damals zwar die Residenzstadt der Landesfürsten, aber nicht die Hauptstadt Tirols. Das war Meran.

Fr., 13.09.2024 - 20:50 Permalink