Gesellschaft | Wohnungsnot

6 Quadratmeter pro Kopf

Trotz Lohnarbeit lebt eine Familie mit vier Kindern auf engem Raum im Bozner Stadtviertel Don Bosco. Die Suche nach einer größeren Wohnung war bisher erfolglos, das Wobi keine Hilfe. Ein Besuch.
Wohnung in Bozen
Foto: SALTO
  • Die Wohnung ist 36 Quadratmeter groß und befindet sich in einem der Wohnhäuser im Bozner Stadtviertel Don Bosco. Seit 2011 lebt dort eine Familie mit Migrationshintergrund. Als die Frau vor sechs Jahren Zwillinge gebar, machten sie sich auf die Suche nach einer größeren Bleibe und liesen sich beim Institut für sozialen Wohnbau (Wobi) in die Warteliste eintragen. Seitdem werden die insgesamt vier Kinder größer und die Wohnung gefühlt mit jedem Tag enger. 

     

    „Wer arbeitet, muss auf engem Raum leben, während Arbeitslosigkeit mit den Wobi-Kriterien bevorteilt wird.“

     

    Beide Eltern arbeiten Vollzeit. Die Mutter bereitet bis zu 1.000 Mahlzeiten pro Woche in einer Schulküche vor, der Vater ist Lagerhalter eines Geschäfts im Viertel. Nach der Arbeit besucht sie die Abendschule, um ihren Maturaabschluss nachzuholen. Sie wollen ihre Namen lieber nicht in den Zeitungen sehen. Die Familie wandte sich bereits an den Sozialstadtradt Juri Andriollo, an die Wohnbaulandesrätin Ulli Mair sowie an Wobi-Präsidentin Francesca Tosolini. Als nichts passierte, entschied sich die Mutter trotzdem, mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit zu gehen.

    Ein Kamerateam des lokalen Fernsehsenders TV33, die ehemalige Gemeinderätin Teresa Fortini und ich zwängen uns gemeinsam durch die Tür ihrer Wohnung. Die Kinder sind aufgeregt, weil Besuch da ist. Normalerweise können sie keine Freunde einladen, weil es sonst zu eng werden würde. Alles hier hat seinen festgelegten Platz, um zumindest etwas Bewegungsfreiheit zu erlauben. Der Raum mit Tisch und Stühlen wird abends zum Schlafzimmer der Eltern mit Vorhang an der Tür. Der schmale Balkon ist der Lieblingsplatz der Kinder, die sich den größten Raum mit großem Wandschrank und drei Betten teilen. 

  • Das Bad: Die Familie lebt seit 2011 in der renovierungsbedürftigen Wohnung. Foto: SALTO

    Die Wohnung ist in die Jahre gekommen, die Dusche mit Badewanne verliert Wasser und einmal war eine Schlange durch die geschlossene Eingangstür gekrochen. Der Vermieter will die Immobilie renovieren lassen und hat bereits eine Zwangsräumung erteilt. Der Fälligkeitstag am 31. Mai ist im letzten Frühling verstrichen. „Wir können nicht auf der Straße leben und bezahlen weiter unsere Miete. Aber unter diesen Umständen fällt es mir schwer, weiter durchzuhalten“, erklärt die Frau. 

    Das Wobi verwaltet in Bozen mehr als 6.000 Wohnungen, doch Dutzende stehen noch immer leer, weil sie renoviert werden müssen. Die Vergabe der Wohnungen erscheint Familien wie der in Don Bosco sehr undurchsichtig. „Wer arbeitet, muss auf engem Raum leben, während Arbeitslosigkeit mit den Wobi-Kriterien bevorteilt wird“, sagt die Frau. Als der Familie eine Wobi-Wohnung in einer anderen Gemeinde angeboten wurde, lehnte sie ab, da Arbeitsplätze und die Schule der Kinder im Viertel sind. Das Problem, das nicht nur diese Familie betrifft, ist auch Fortini bekannt. 

     

    „Ansonsten entwickeln gerade junge Menschen das Gefühl, diskriminiert zu werden, sie entwickeln Frustration, Wut und Hass.“

     

    „Es braucht gerechtere Kriterien bei der Wohnungsvergabe und mehr Transparenz. Ansonsten entwickeln gerade junge Menschen das Gefühl, diskriminiert zu werden, sie entwickeln Frustration, Wut und Hass. Die Gesellschaft steht dann vor Problemen wie den Baby Gangs“, sagt die ehemalige Bozner Gemeinderätin des Movimento Cinque Stelle. 

    Fortini fordert das Wobi auf, auch renovierungsbedürftige Wohnungen zu vergeben. Zukünftige Mieterinnen und Mieter müssten sich verpflichten, die notwendigen Handwerksarbeiten selbst in die Wege zu leiten und zu bezahlen. Im Gegenzug könne die Miete etwas verringert werden – so würde auch der Leerstand weniger. „Die Wohnungsnot verbreitet sich immer mehr. Man hat aber nie den Mut, die Armen zu nennen. Bevor dem Mittelstand Wobi-Wohnungen zugewiesen werden, sollten zuerst ärmere Menschen zum Zug kommen“, erklärt Fortini. 

  • Teresa Fortini: „Die Wohnungsnot verbreitet sich immer mehr.“ Foto: SALTO

    Die sechsköpfige Familie bezahlt weiter 700 Euro für 36 Quadratmeter. Die Mutter lebt seit 37 Jahren in Italien, sie war als kleines Mädchen gemeinsam mit ihrem Vater von Afrika hierhergekommen. Wenn sie heute Behördengänge macht, hört sie häufig, dass Menschen wie sie zu viele seien. „Ich werde gefragt, wieso ich vier Kinder gemacht habe.“ 

    Es ist nicht so, als könne sie die Menschen in den Ämtern nicht verstehen. „Ich kenne einige, die hier Armut vortäuschen und in ihrem Herkunftsland aber wohlhabend sind. Hier bekommen sie eine Wobi-Wohnung und wenn sie die Miete nicht bezahlen, passiert nichts. Es ist also kein Wunder, dass Italien in einer Krise steckt. Wir, jungen Menschen, werden die Konsequenzen dafür bezahlen, dass Steuergelder missbraucht werden. Die Behörden müssen hier Maßnahmen ergreifen.“ 

    Es ist ein kalter, klarer Herbsttag in Don Bosco. Auf der Straße und in den Bussen sind Menschen unterschiedlicher Ethnien unterwegs, ich fange Sprachfetzen fremder Sprachen auf. Im Stadtzentrum Bozens herrscht reges Treiben, Einkäufe werden erledigt, einige stoßen mit ihrem Feierabendbier an. Kinder laufen lachend durch die Gassen. Ihr Platz zum Träumen ist hier mehr als 36 Quadratmeter groß. 

  • Wer eine Immobilie an die Familie vermieten möchte, kann sich an Teresa Fortini wenden. Die Familie kann für die monatliche Miete maximal 1.000 Euro aufbringen. E-Mailadresse: [email protected]