„Das ist historisch gesehen ein Wahnsinn“
Frau Horaczek, am Sonntag wählt Österreich einen neuen Bundespräsidenten oder eine neue Bundespräsidentin und es sieht ganz danach aus, als ob diesmal Grün, Blau oder eine parteilose Frau gewinnt? Worauf tippen Sie?
Nina Horaczek: Ich bin da noch sehr vorsichtig bzw. sehr skeptisch gegenüber Umfragewerten, die auch in der Vergangenheit oft ziemlich daneben lagen. Was sicher ist: Es ist das erste Mal bei einer österreichischen Bundespräsidentenwahl nicht von vornherein klar, dass eine der beiden Regierungsparteien gewinnen wird. Das ist eine Premiere. Bisher war immer nur offen, ob die ÖVP oder die SPÖ gewinnt. Jetzt werden es ziemlich sicher weder die einen noch die anderen und es ist vollkommen unsicher, ob das Land nach rechts oder nach links rückt.
Denn abgesehen von der parteilosen Kandidatin Irmgard Griss, der Umfragen ebenfalls sehr gute Chancen einräumen, spielt sich das Rennen zwischen dem Grünen Kandidaten Alexander Van der Bellen und dem Freiheitlichen Norbert Hofer ab. Also ausgerechnet jenen zwei Kandidaten, deren Position in der Flüchtlingsfrage am weitesten auseinander liegt. Ist das Zufall oder erzählt das auch etwas über das aktuelle politische Klima in Österreich?
Es zeigt sicherlich, wie polarisiert das Land in der Frage ist, wobei ich auch ein wenig differenzieren würde. Denn sowohl Hofer wie auch Van der Bellen werden ein Ergebnis erzielen, das irgendwo zwischen 20 und 28 Prozent liegt. Das heißt, keiner von beiden repräsentiert eine Mehrheit im Land. Aber es ist auch nicht zu leugnen, dass es schon seit langem einen starken Rechtsruck in Österreich gibt; der ist eigentlich seit dem Jahr 2000, als die Schwarz-Blaue Koalition gebildet wurde, nie wirklich gestoppt worden, auch wenn die FPÖ zwischenzeitlich kurz am Boden lag. Und er hat sich natürlich mit der ganzen Flüchtlingsthematik sehr verstärkt, das hat wie ein Katalysator gewirkt.
Wie stark ist die Präsidentschaftswahl letztendlich mit der Flüchtlingsthematik verbunden?
Es ist vor allem die FPÖ, die sie im Wahlkampf zum Riesen-Thema macht, weil sie damit stark punkten kann. Die Regierungsparteien versuchen, sie so weit wie möglich heraus zu halten und auch die anderen KandidatInnen sind eher zurückhaltend. Es ist ja auch nicht zu vergessen, dass es noch im vergangenen Herbst ein große Welle der Solidarität gab, da gab es diese Refugees-Welcome-Bewegung und alle waren nett.
"Die Regierungsparteien glauben offensichtlich, dass die Leute wieder zu ihnen zurückkehren, wenn sie die Politik machen, die die FPÖ verlangt. Doch allein diese Brenner-Schließung, das ist historisch gesehen ein Wahnsinn. Da geht es nicht nur um einen Grenzbalken, da geht es auch um Symbolik, gerade für Tirol."
In der Zwischenzeit stößt sich allerdings auch Südtirols äußerst österreichfreundliche Regierungspartei an den, wie gesagt wird, martialischen Tönen, die Regierungsvertreter der SPÖ und ÖVP in der Flüchtlingsfrage anschlagen. Da kann man wohl nicht nur von FPÖ-Rhetorik sprechen?
Die Regierungsparteien glauben offensichtlich, dass die Leute wieder zu ihnen zurückkehren, wenn sie die Politik machen, die die FPÖ verlangt. Doch allein diese Brenner-Schließung, das ist historisch gesehen ein Wahnsinn. Da geht es nicht nur um einen Grenzbalken, da geht es auch um Symbolik, gerade für Tirol. Dass man das alles nun eigentlich sehr brutal und leichtfertig aufgibt, also auch ohne wirklich mit Italien in Kontakt zu stehen und eine gemeinsame Strategie zu überlegen, kann glaube ich wirklich nur der extremen Nervosität der Sozialdemokratie und der ÖVP zugeschrieben werden.
Letztendlich geht es ja nicht nur um eine Bundespräsidentenwahl, sondern auch um die nächsten Nationalratswahlen, bei denen die FPÖ laut aktuellen Umfragewerten erste Kraft im Land wäre.
Regulär finden die nächsten Nationalratswahlen allerdings erst 2018 statt. Die Frage ist nun aber, wie sich diese Panik fortsetzt, wenn am Sonntag eine der beiden Regierungsparteien nicht in die Stichwahl kommt. Wenn es beide nicht schaffen, werden sie wohl in eine Art Schockstarre fallen, dann sind Neuwahlen ziemlich unwahrscheinlich. Wenn dagegen nur eine Regierungspartei völlig scheitert, kann ich mir eher vorstellen, dass man dort dann versucht das Ruder herumzureißen, indem man den Parteichef wechselt und Neuwahlen ausruft. Schließlich gibt es in beiden Parteien derzeit auch sehr viel Unzufriedenheit.
Auch über den Schwenk in der Flüchtlingspolitik?
Ja, die Polarisierung in der Flüchtlingsfrage zieht sich nicht nur durch die gesamte Gesellschaft, sondern auch durch die Flügel von SPÖ und ÖVP. Vor allem in den Landesgruppen von SPÖ und ÖVP gibt es beide Positionen und die große Frage ist, wer sich durchsetzt. In der SPÖ gibt es beispielsweise die Wiener Landesgruppe, die sehr stark dafür plädiert, am Kurs der Willkommenspolitik vom Herbst festzuhalten, während Kanzler Faymann von Obergrenzen und Brennerschließung spricht. Gerade am vergangenen Wochenende ist auf dem Wiener SPÖ-Parteitag ein Teil der Delegierten vor der Faymann-Rede demonstrativ aus dem Saal ausgezogen. Das war zwar eine Minderheit, also ungefähr 100 bis 150 von 950 Teilnehmern. Dennoch gab es eine solche Aktion bisher noch nie, das war sicherlich ein starkes Signal.
"In Österreich lesen viele Menschen nur mehr Gratiszeitungen und auf Facebook und in beidem steht sehr viel Blödsinn. Das verbessert die Qualität der Diskussion in diesem Land auch nicht gerade."
Und in der ÖVP?
Dort gibt es seit längerem eine Art Buberlpartie um Außenminister Sebastian Kurz, dem man unterstellt, er wäre gerne auch Parteichef. Da scheinen sich einige bereits in Richtung Schwarz-Blau in Position zu bringen.
In diese Richtung gehen ja zumindest in der Flüchtlingspolitik auch die Aussagen von ÖVP-Kandidat Andreas Khol. Warum hat er dennoch so schlechte Aussichten?
Man darf nicht vergessen, dass Andreas Khol schließlich der Architekt der Schwarz-Blauen-Regierung im Jahr 2000 war. Er war auch in den Jahren 2000 bis 2006 sehr präsent, aber eben eher als Zuchtmeister und nie als Sympathieträger. Als Bundespräsident sollte man jedoch ein bissl der Papa der Nation sein und die Rolle passt überhaupt nicht zu Khol. Dann hat er auch Schwierigkeiten, sich zu positionieren. Der ÖVP-Wahlkampf ist insgesamt von Anfang an völlig daneben gegangen. Man hat stark auf den niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll gesetzt, und als der in letzter Minute absprang, ist Khol als treuer Diener seiner Partei eingesprungen. Aber das war wirklich alles extrem kurzfristig und jetzt krampft er sich halt durchs Land.
Und sucht nach einer Position zwischen den beiden Polen Van der Bellen und Hofer?
Genau. Dasselbe Problem hat auch der sozialistische Kandidat Rudolf Hundstorfer. Der tritt zwar auch für Obergrenzen ein, sagt aber gleichzeitig, man muss nett zu den Flüchtlingen sein. Dazu kommt noch der Unsicherheitsfaktor Griss. Die einzige Frau unter den Kandidaten kommt sehr gut an und ist von breiten Teilen der Bevölkerung wählbar. Sie tritt zwar sehr bürgerlich auf, so mit Chanel-Tüchlein in der Pressestunde, ist aber auch eine gestandene Juristin, die als Frau eine Karriere hingelegt hat.
"Es ist nicht zu leugnen, dass es schon seit langem einen starken Rechtsruck in Österreich gibt; der ist eigentlich seit dem Jahr 2000, als die Schwarz-Blaue Koalition gebildet wurde, nie wirklich gestoppt worden, auch wenn die FPÖ zwischenzeitlich kurz am Boden lag. Und er hat sich natürlich mit der ganzen Flüchtlingsthematik sehr verstärkt, das hat wie ein Katalysator gewirkt."
Also die zweite Integrationsfigur neben Alexander van der Bellen? Auch wenn der von den Freiheitlichen als faschistischer grüner Diktator bezeichnet wurde...
...als er meinte, er würde Strache, selbst wenn er erster in einer Wahl wäre, nicht mit einer Regierungsbildung beauftragen. Das heißt in Wirklichkeit zwar nicht wahnsinnig viel. Auch ein Wolfgang Schüssel wurde im Jahr 2000 nicht mit der Regierungsbildung beauftragt und hat sie trotzdem gebildet. Faktisch würde da auch ein Bundespräsident Van der Bellen kaum daran vorbeikommen, aber er hat damit offenbar bewusst auf Anti-FPÖ-Stimmen gezielt. Doch insgesamt hat ihm das wohl stärker geschadet als genützt, viele haben seine Aussage als anti-demokratisch interpretiert. Davon profitiert hat wohl eher Irmgard Griss, die gesagt hat, sie würde auch einen von der FPÖ gestellten Kanzler angeloben.
Die Diskussion um Flüchtlinge ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr eine komplexe Realität von Politik und Medien vereinfacht bzw. zugespitzt wird. Ihr Blatt, die Wiener Stadtzeitung „Der Falter“ bemüht sich solchen Schwarz-Weiß-Zeichnungen immer wieder Fakten entgegenzusetzen. Sie selbst haben darüber hinaus erst kürzlich ein neues Buch mit dem Titel „Gegen Vorurteile“ herausgebracht. „Wie du dich mit guten Argumenten gegen dumme Behauptungen wehrst“, heißt es da im Untertitel. Brauchen wir heute tatsächlich solche Handbücher, um als Gesellschaft wichtige politische Diskussionen zu führen?
Wir leben nun einmal in einer Welt der Überinformation und vor allem in einer Welt der Desinformation. Das heißt, es werden gerade über die Sozialen Medien viele falsche Informationen verbreitet. Da tut es denke ich gut, wenn Leute eine Orientierung haben, die auf Fakten basiert, die man auch nachprüfen kann. Statt sich auf den Bruder seiner Tante zu berufen, dessen Freundin etwas erlebt hat, weswegen alle Ausländer böse sind. In Österreich lesen viele Menschen nur mehr Gratiszeitungen und auf Facebook und in beidem steht sehr viel Blödsinn. Das verbessert die Qualität der Diskussion in diesem Land auch nicht gerade.
"Bisher war bei Bundespräsidentenwahlen immer nur offen, ob die ÖVP oder die SPÖ gewinnt. Jetzt werden es ziemlich sicher weder die einen noch die anderen und es ist vollkommen unsicher, ob das Land nach rechts oder nach links rückt."
Mit kompakten Faktensammlungen zu Behauptungen wie „Die EU schikaniert uns mit sinnlosen Verboten“ oder „Wer ein Kopftuch trägt, will sich nicht integrieren“ können Sie dagegen zumindest ein wenig gegensteuern?
Wir bekommen eigentlich sehr positive Rückmeldungen. Viele Leute sagen, sie finden diese kurzen Infos toll, weil sie sich schnell ein Bild machen können. Wir haben schon einmal ein ähnliches Buch gemacht und dieses jetzt gezielt für jüngere Leute verfasst. Lustigerweise kommen wir nun darauf, dass es in allen Altersschichten gelesen wird, also ich glaube, die jüngsten Leser, auf die wir bisher getroffen sind, waren 12, die ältesten 90 Jahre alt.
Sie haben sich im Laufe Ihrer journalistischen Karriere intensiv mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandergesetzt, haben vor einigen Jahren auch ein Buch zum Phänomen HC Strache geschrieben. Findet man den Grund für den Erfolg des FPÖ-Chefs auch in der österreichischen Seele, in der österreichischen Geschichte– oder hätte ein Heinz-Christian Strache in vielen anderen europäischen Ländern ebenso Erfolg?
Strache ist sicher sehr geschickt, doch als eine der wesentlichen Erklärungen seines Erfolges würde ich die Schwäche seiner Gegner heranziehen. Man muss aber auch sagen, dass seit der Schwarz-Blauen Koalition sehr vieles salonfähig geworden ist, das noch vor 20 Jahren undenkbar war. Das spiegelt sich auch in einer aktuellen Meldung wider, wonach die Zahl rechtsextremer Handlungen in Österreich im Jahr 2015 um mehr als 50 % angestiegen ist. Wenn man sieht wie Strache auftritt und auch der FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer, den man immer unterschätzt, hat sich schon etwas im Ton verändert.
Bundespräsidentschaftskandidat Nobert Hofer setzt sich aber immerhin für eine Südtiroler Volksabstimmung über eine Rückkehr zu Österreich ein.
Ja, und als Ideologe der FPÖ hat er auch in deren Parteiprogramm geschrieben, dass Österreich Teil der deutschen Kulturnation, also gewissermaßen ein Teil Deutschlands, ist. Hofer ist dafür, dass Abtreibungen in öffentlichen Spitälern gesetzlich verboten werden, er ist für ein totales Kopftuchverbot im öffentlichen Raum. Das ist ein Falke in Taubengestalt. Solche Figuren wären in der FPÖ des Jahres 2000 nicht in die erste Reihe gekommen, nicht umsonst saß Strache damals in der zweiten. Jetzt dagegen ist er in allererster Reihe.
* Nina Horaczek ist Chefreporterin der links-liberalen Wiener Stadtzeitung „Der Falter“ und Autorin mehrerer Bücher. Sie wurde für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet, unter anderem 2013 mit dem Claus-Gatterer-Preis.