Gesellschaft | Terrorismus

"Dann haben wir wirklich ein Problem"

Was hat die Ausweisung potentieller Terroristen mit unseren Rechten zu tun? Nicola Canestrini über verblendende Feindbilder, eigene Extreme und einen medialen Auftrag.

Herr Canestrini,  am Mittwoch wurde eine in Südtirol ansässige Rumänin  aus Italien ausgewiesen, weil sie angeblich mit Dschihadisten Kontakt hatte. Zu Jahresbeginn haben Sie in einem ähnlich gelagerten Fall die Verteidigung übernommen. Gibt es Neuigkeiten zur Ausweisung von Usman Rayen Khan? 
Nicola Canestrini: Am 30. Juli hat eine Berufungsverhandlung vor dem obersten Verwaltungsgericht stattgefunden, bei der meinem Antrag auf eine vorläufige Aufhebung des Ausweisungsbefehls nicht stattgegeben wurde. Jetzt müssen wir auf den Prozess warten, doch das wird leider Jahre dauern. Ob der aktuelle Fall Parallelen zu jenem meines Mandaten aufweist, kann ich nicht beurteilen, da ich darüber nicht informiert bin.

In beiden Fällen wurden in Südtirol ansässige ausländische Bürger ausgewiesen, die mit Dschihadisten sympathisieren. Die nun ausgewiesene Rumänin Diana Ramona Medan hatte in Leifers ein Unternehmen. Der Pakistaner Usman Rayen Khan war seit 15 Jahren in Bozen ansässig, wurde als perfekt zweisprachig und integriert beschrieben und arbeitete für die Informatik AG.  Sie haben in Zusammenhang mit seiner Ausweisung damals eine Verletzung des Rechtsstaats zur Diskussion gestellt. Hat sich diese seitdem bestätigt?
Ich habe mehr als den Verdacht, dass es im Fall nur darum ging, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass Italien sehr wohl in der Lage ist, den Terrorismus zu bekämpfen. Zumindest die Ausweisung von Usman Rayen Khan war eine rein politische Geschichte. Sie wurde vom Innenminister und nicht von einem Gericht verfügt, Herr Khan stand nicht einmal unter Ermittlungen. Man hat hier einfach jemanden hergenommen, der vielleicht dumm war, aber deshalb nicht mit einer lebenslänglichen Haftstrafe belangt werden muss. Denn jemanden, der seit 15 Jahren in Italien lebt und all seine Verwandten hier hat, trifft so eine Ausweisung  schlimmer als eine Haftstrafe.

Zumindest das Verwaltungsgericht hat sich von solchen Argumenten aber offenbar nicht beeindrucken lassen.
Es war von Beginn an klar, dass es rechtlich sehr kompliziert wird, wenn die Politik mitmischt. Vor allem, wenn jeden Tag in den Zeitungen steht, dass die IS Rom bedroht, ist die Ausgangssituation äußerst ungünstig.

"Wenn es dem Herrn Khan nicht gestattet ist, bei einer IS-Fahne auf ein Like zu drücken, heißt das Prinzip dahinter: Was du denkst, kann dich strafbar machen. Und wenn solche Grundrechte angegriffen werden, haben wir wirklich ein Problem – und zwar nicht nur ein Herr Khan oder andere aktuell Betroffene, sondern alle Bürger."

Auch die breite Bevölkerung scheint wenig Verständnis für die Verteidigung eines potentiellen künftigen Terroristen zu haben. Immerhin wurden Sie nach der Übernahme des Mandats auf Facebook heftig attackiert.
Ich wurde Opfer einer schweren Rufmordaktion mit über 2500 Drohungen, die auf ein Post von Lega-Chef  Matteo Salvini folgten. Da wurde dann durch die Bank gepostet, dem soll man die Kinder umbringen, die Frau vergewaltigen, ihn zum Krüppel schlagen...Was mich besonders gekränkt hat, war die Tatsache, dass sich unter diesen wunderbaren Kommentatoren auch Anwälte und Polizisten fanden. Die habe ich dann alle einzeln  angeschrieben. Manche haben sich entschuldigt, andere haben versucht ihre Kommentare nachträglich zu löschen. Im direkten Kontakt werden die Menschen ja ganz vernünftig, in der Masse sind sie dagegen die reinsten Hetzer.

Ihr Vater Sandro hat in den sechziger Jahren die Südtiroler “Bumser” in den Mailänder Prozessen vertreten. Sie vertreten nun potentielle islamistische Terroristen. 
Terrorismus ist immer eine heikle Geschichte, und wir als Südtiroler wissen sehr gut, dass seine Definition vom Gesichtspunkt abhängt. Aber ja, mein Vater ist mir nicht nur als Mensch, sondern auch als Anwalt ein Vorbild. Bei der Feier zu seinem 90. Geburtstag würdigten so unterschiedliche Redner wie Eva Klotz, ein General der Finanzwache oder der Präsident des Movimento nonviolento seine Kohärenz und Konsequenz. Und wissen Sie wieso? Weil mein Vater sein Leben lang versucht hat, die Grundrechte zu verteidigen. Und es war ihm dabei egal, von wem.

So wie offensichtlich auch seinem Sohn, der nicht nur Usman Rayen Khan, sondern auch einen Imam verteidigte, der vor zehn Jahren im italienischen TV erklärt hatte, Osama bin Laden habe Recht, wenn er sagt, der Westen muss zerstört werden.
Ich habe es noch weit mehr ins Extreme getrieben und als Sohn eines Partisanen einen SS-ler verteidigt, der damals in La Spezia vor dem Militärgericht angeklagt war. Wer Grundrechte verteidigt, kann dies nicht nur dann tun, wenn ihm die Person sympathisch ist oder dem eigenen Weltbild entspricht.

Und welche Grundrechte verteidigen Sie im Fall von potentiellen Dschihadisten und IS-Sympathisanten?
Zum Beispiel das wichtigste aller Grundrechte, jenes auf freie Meinungsäußerung. Entgegen dem allgemeinen Rechtsprinzip, dass niemand für einen Gedanken bestraft werden kann, ist man in der Terrorismusbekämpfung mittlerweile schon so weit. Wenn wir ein Treffen vereinbaren, um zu diskutieren, ob wir einen Anschlag machen möchten, ist das schon eine strafbare Handlung. Wenn ich mir zum Beispiel aus dem Internet eine Datei herunterlade, in der erklärt wird, wie ich eine Bombe baue, ist das bereits strafbar. Unabhängig davon, ob ich überhaupt die Absicht habe, sie zu bauen – und selbst die Absicht alleine wäre laut unseren rechtsstaatlichen Prinzipien nicht strafbar. Doch obwohl das Strafrecht eigentlich alle gleich behandeln sollte, gibt es nach der Mafia-Bekämpfung nun auch in Folge der Terrorismus-Bekämpfung ein Strafrecht für bestimmte Zielgruppen.

"Rassismus kann meiner Meinung nicht durch Haft, sondern nur durch Kultur bekämpft werden. Mit der Haft schaffe ich nur Märtyrer. Wenn jemand behauptet, es habe keine Konzentrationslager gegeben, sollten wir das mit dem Geschichtsbuch und nicht mit dem Strafgesetzbuch bekämpfen."

Für den Durchschnittsbürger wird dies eher eine Beruhigung als ein Problem darstellen ...
Klar, weil man sagt, da geht es schließlich um das Strafrecht des Feindes. Doch die Erfahrung zeigt uns: Wenn solche Ausnahmen gebilligt und gutgeheißen werden, weiten sie sich unweigerlich aus. Das heißt, ist das Prinzip einmal gebrochen, wird es irgendwann für alle gebrochen. Und dafür gibt es viel zu wenig Bewusstsein. Wenn es dem Herrn Khan nicht gestattet ist, bei einer IS-Fahne auf ein Like zu drücken, heißt das Prinzip dahinter: Was du denkst, kann dich strafbar machen. Und wenn solche Grundrechte angegriffen werden, haben wir wirklich ein Problem – und zwar nicht nur ein Herr Khan oder andere aktuell Betroffene, sondern alle Bürger.

Dieses Prinzip gilt aber beispielsweise auch schon seit mehr als zehn Jahren im Rahmen des  Mancino-Gesetzes.
Und ich sage Ihnen, dass ich als Demokrat auch ein Problem damit habe, wenn man dafür bestraft werden kann, zu denken, dass Juden, Homosexuelle oder Afrikaner minderwertig sind. Rassismus kann meiner Meinung nicht durch Haft, sondern nur durch Kultur bekämpft werden. Mit der Haft schaffe ich nur Märtyrer. Wenn jemand behauptet, es habe keine Konzentrationslager gegeben, sollten wir das mit dem Geschichtsbuch und nicht mit dem Strafgesetzbuch bekämpfen.

Im Fall von islamistischem Terror gibt es seit 2001 aber eine massive Verunsicherung der Bevölkerung. Rechtfertigt diese nicht dennoch eine Verschärfung der Strafgesetzgebung?
Ich sage nicht, dass dies unmöglich zu akzeptieren ist. Was mir dabei vor allem fehlt, ist der demokratische Beteiligungsprozess. Ich glaube, ein Volk hat das Recht zu entscheiden, wie viel Freiheit man für Sicherheit opfern will. Die Bürger sollten sich bewusst fragen: Wie lange schaue ich zu bzw.  ab wann werden solche Einschränkungen für mich ein Problem? Bis 2001 war gesellschaftlich unbestritten, dass uns Freiheit wichtiger  ist als Sicherheit. Nun hat sich das umgekehrt, doch ohne die Bevölkerung hinreichend darüber aufzuklären. Diese Debatte ist über unsere Köpfe hinweg geführt  und entschieden worden.

Was kann nun noch getan werden?
Habermas würde sagen, es bräuchte eine Aufklärung durch die Medien. Denn Voraussetzung für eine konkrete Debatte darüber, was wir wollen, sind korrekte Informationen. Doch solange ich jeden Tag nur lese, dass der IS-Staat den Vatikan sprengen wird und Filme mit furchtbaren Hinrichtungen verbreitet werden, kann eine solche Diskussion nicht einmal entstehen.