Gesellschaft | A Place to B(z)

Vom Campus zur Bürger*inneninitiative

Eine Brachfläche in Bozen in einen lebendigen Ort verwandeln.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
lebendige Brache
Foto: A Place to B(z)
  • Marielle Scharfenberg, 25, kam für ihr Studium nach Bozen und schloss kürzlich ihren Master in Eco-Social Design erfolgreich ab. Anfang 2022 stellten Philipp Rier, ein Stadtplaner, und sein Bruder Peter, ein Landschaftsarchitekt, beide ursprünglich aus Kastelruth, während des sogenannten „Partnerforum“ eine Fläche hinter dem Bahnhof in Bozen vor. Gemeinsam mit zwei Kommilitonen startete Marielle das Projekt „A Place to B(z)“. Sie setzte das Projekt über mehrere Semester hinweg fort, und schließlich wuchs es aus dem universitären Kontext heraus und wurde zu einer Bürger*inneninitiative:

  • Marielle, wie war dein erster Eindruck von Bozen?

    Am Anfang überwiegte der visuelle Eindruck: Die Flüsse und Berge machen die Landschaft wirklich sehr schön, man sieht viel Grün und bekommt reichlich Sonnenstunden.

    Mir fiel aber auch auf, dass die Stadt wenig Nightlife-Kultur bietet, die meisten Partys und Treffen in Bozen sind daher selbstorganisiert. Das macht Bozen als Standort für junge Leute eher unattraktiv.  Auch ist es als Neuankömmling schwer herauszufinden, was es überhaupt für Angebote gibt. Es gibt wenig Veranstaltungen, bei denen man zusammenkommt und sich kennenlernt. Die öffentlichen Plätze werden eher selten genutzt und wenn etwas stattfindet, dann nur bis 22:00 Uhr. Nachdem man einige Zeit hier lebt, findet man zwar schon seine Nischen, aber am Anfang tut man sich erstmal schwer. 

    Als junge Menschen wollten wir dann selbst aktiv werden und Veranstaltungen planen, taten uns bei dem bürokratischen Prozess jedoch sehr schwer. Die Prozesse für Genehmigungen sind recht langwierig und kompliziert. Das wollten wir ändern – nicht nur für uns, sondern auch für andere mit tollen Ideen. 

    Was habt ihr dann konkret versucht?

    Ganz grob ging es um das Areal hinter dem Bahnhof, welches uns Philipp Rier im Rahmen unseres Masterstudiengangs vorstellte. Ein fünf Hektar großes, leeres Gelände, das seit mehreren Jahrzehnten brachliegt, umgeben von einer Mauer mit Stacheldraht. Der Ort ist recht nah an der Stadt, gut angebunden und ohne direkte Anwohner*innen oder Nutzungskonflikte. Von dort aus sieht man sowohl den Dom als auch die Dolomiten und mit  50.000 Quadratmetern ist er etwa 11-mal so groß wie der Waltherplatz. Für Bozen ist das eine beeindruckende Fläche, die nicht wirklich genutzt wurde. Das fanden wir schon skurril.

    Das Areal gehört der italienischen Bahn, welche von Beginn an offen für eine Zwischennutzung der Fläche war. Die kennen das schon von anderen Projekten z.B. in Mailand und Bologna, bei denen sie ungenutzte Flächen an Städte vermieten und der Gesellschaft so zur Verfügung stellen. Unsere Idee war zunächst, dass der Touristenparkplatz in Bozen nur zu bestimmten Zeiten im Jahr genutzt wurde und wir die Fläche in der restlichen Zeit bespielen könnten. Wir haben daher begonnen den Kontakt zur Gemeinde zu suchen, was erst mit Unterstützung unserer Professoren und dem Direktor der Uni richtig klappte. Kurz vor Ende des Semesters bekamen wir dann an zwei Tagen eingeschränkt Zugang zu der Fläche und konnten die ersten Begehungen machen. Mit Unterstützung der Bolzano Art Week haben wir dann drei Monate später erneut Zugang zum Areal bekommen und konnten zum ersten Mal auch Vereine und andere Bürger*innen einladen. Dieses Fest war für nahezu alle das erste Mal, dass sie diese Fläche sahen. Mit vielen Bemühungen konnten wir ein halbes Jahr später dem Bürgermeister unsere Idee vorstellen. Er fand sie gut, woraufhin die interne Klärung von Zuständigkeiten in der Stadtverwaltung begann. 

    Letzten Oktober haben wir erneut eine Veranstaltung mit der Bolzano Art Week organisiert. An zwei Tagen haben wir zusammen Müll gesammelt, Stadtmöbel gebaut und die ganze Fläche mit Leben gefüllt. Über 40 Initiativen und Projekte waren dabei, es gab Musik, Workshops und Ausstellungen. Auch ein Kino haben wir aufgebaut, das mit Fahrrädern betrieben wurde – die Hälfte der Leute musste immer in die Pedale treten, damit der Projektor funktionierte. 

    Anfang dieses Jahres, nachdem wir 2,5 Jahre daran gearbeitet hatten, stellten die Stadt dann einen Nutzungsantrag an die Eigentümer*innen. Jetzt müssen Verträge finalisiert, die Fläche hergerichtet und einige bürokratische Dinge geklärt werden. 
    Unsere Vision ist es eine Art Stadtlabor auf der Fläche zu etablieren. Vereine, aber auch Privatpersonen mit Ideen sollen leicht und unbürokratisch Zugang erhalten – für ein paar Stunden, ein Wochenende oder länger. Das ist eine super Chance für Bozen, vor allem auch für junge Leute, die keinen direkten Kontakt zu Politikern oder einen Verein hinter sich haben.
     

  • v.l.n.r.: Philipp Rier, Valentina Cramerotti, Marielle Scharfenberg und Alex Walcher. Foto: A Place to B(z)
  • Was könnte da entstehen?

    Wir haben viele Anfragen bekommen, zum Beispiel wollte eine Gruppe einen Pizzaofen bauen und Kurse geben, wie man lokale Gemüsesorten verarbeitet. Verschiedene Musikvereine, wie eine Trommelgruppe und eine Musikkapelle, schrieben uns, weil sie Plätze suchen, wo sie das Marschieren üben können. Es gab den Wunsch nach offenen Ateliers und Urban Gardening. Die Unis in Bozen, Innsbruck und Mailand wären interessiert, dort Kurse im Freien abzuhalten. Der VKE wollte einen öffentlichen Abenteuerspielplatz machen. Man sieht die Nachfrage ist also bereits da, aber wir hängen noch in der Bürokratie fest. 

    Wie geht es dir damit, dass dein Uni-Projekt zu einer Bürger*inneninitiative wird?

    Das größte Ziel, das wir mit den Uni-Projekten verfolgen, ist, dass sie aus der Uni herausgetragen und Realität werden. Ein Projekt wie „A Place to B(z)“ ist sehr groß und da brauche ich viel Unterstützung. Je mehr Menschen mithelfen, desto vielfältiger sind die Perspektiven. Wir bauen gerade eine Bürger*inneninitiative auf – aktuell sind wir etwa acht Personen.Bei uns sind Leute dabei, die noch nicht so lange in Bozen leben, aber welche, die hier aufgewachsen bzw. zurückgekommen sind. Dadurch haben wir mehr Stimmen, die mitreden und ein vollständigeres Bild zeichnen können, was uns zu einer stärkeren Organisation macht.

    Du warst 22 Jahre alt als du mit dem Projekt A Place to B(z) begonnen hast. Weil für Student*innen nichts geboten wurde?

    Zu Beginn hatten wir die Fläche vor allem für Veranstaltungen im Blick, die uns als junge Menschen interessieren. Aber im Laufe der Zeit haben wir auch mit vielen anderen Leuten, einschließlich der Nachbarschaft, gesprochen und versucht die Anwohner*innen mit ins Boot zu holen. Wir bemerkten schnell, dass nicht eine bestimmte Altersgruppe unterversorgt ist, sondern ein bestimmter Charakter von Personen. Unsere Zielgruppe weitet sich also schnell aus. Es geht in erster Linie nicht um das Alter, sondern um Leute, die gerne soziale Kontakte pflegen, kulturelle Veranstaltungen besuchen und eigene Projekte auf die Beine stellen möchten. 

    Was unterscheidet einen öffentlichen Platz von einer Brache?

    Wenn man sich die öffentlichen Flächen in der Innenstadt anschaut, gibt es nur wenige und die sind oft schlecht gestaltet. Bei vielen mangelt es an Sitzmöglichkeiten, öffentlichen Toiletten oder Schatten. 

    Ein gut gestalteter öffentlicher Platz lädt die Leute zum Verweilen ein. Er bietet einen Grund, dort Zeit zu verbringen und sich zu treffen. Ein schön gestalteter Raum neben dem Zuhause und der Arbeit, wo sich Leute kennenlernen können, trägt zu mehr sozialem Zusammenhalt bei und steigert die Lebensqualität. Ich würde sagen, die öffentlichen Plätze in Bozen liegen brach. Die Chance einer Brache ist, dass es keinen Nutzungskonflikt gibt. Sie lädt viel mehr dazu ein, kreativ tätig zu werden und bietet Freiraum. Wenn wir etwas in der Innenstadt veranstalten, passen wir unsere Aktionen an. Die Brache lädt zu einem viel kreativeren Umgang mit der Umgebung ein.

    Werden so nicht Menschen hinter meterhohe Wände abgeschoben und aus dem Stadtbild verdrängt?

    Einerseits sollten junge Leute Teil der Stadt sein und auch im Stadtbild sichtbar werden. Es ist leider gängige Praxis, dass man die Jugend an den Stadtrand verdrängt. Im Fall der Brache in Bozen ist das anders. Der Platz ist sehr zentrumsnah und bietet den Vorteil eines geschützten Freiraums. Hier könnten die Jugendlichen laut und ausgelassen sein. Ein Experimentierfeld, in dem Ideen entstehen können, die dann wieder in die Stadt ausstrahlen, so dass alle etwas davon haben. Wir möchten die Stadt insgesamt lebenswerter machen, starke Projekte unterstützen und es einfacher gestalten, Initiativen zu starten, um so mehr Angebote zu schaffen.

  • Aus der Vogelperspektive wird das Ausmaß der Brache deutlich. Foto: A Place to B(z)
  • Marielle und ihre Mitstreiter*innen planen als nächstes eine Stadtführung durch Bozen, bei der sie sich die Plätze und deren Gestaltung anschauen. Dabei sind kleine Aktionen vor Ort vorgesehen. Diese Stadtführung soll in den nächsten ein bis zwei Monaten stattfinden. Weitere Informationen dazu werden auf www.aplacetobz.com und auf Instagram (@aplacetobz) veröffentlicht. In der Arbeitsgruppe kann jede*r mitmachen. Sie suchen Menschen, die sie unterstützen, Ideen einbringen, Projekte planen, sich mit Finanzierung oder rechtlichen Fragen auskennen oder einfach mithelfen möchten.