Bühne | Literatur/Musik

Das Nichts am Ende des Tunnels

In der Zoona Magnifique findet ein Gemischtwarenangebot an Musik und Literatur Platz, so wie die "letture per disadattati“, die sich in Dürrenmatts „Tunnel“ ziehen lassen. Zu zweit sucht man ein Kräftegleichgewicht zwischen Lektüre und Vertonung.
letture per disadattati, zoona magnifique
Foto: SALTO
  • Es sollte ein kurzes Event sein. Drei Zigaretten rauchte mein Sitznachbar in der knappen halben Stunde, die sich Pietro Frigato und Davide Ferrazzi auf der Bühne Zeit nehmen. Drei Filter reihte er auf dem Tisch säuberlich aneinander, als ob er sich vergewissern wollte, dass die Zeit vergeht. Vielleicht saß neben mir auch einfach ein starker Raucher, der bei zahlreichen  - namentlichen - Nennungen von Zigarren nicht anders konnte.

    „Der Tunnel“, eine Kurzgeschichte aus dem Jahr 1952 von Friedrich Dürrenmatt, wurde von Frigato gelesen und von Ferrazzi mit Gitarre und gelegentlichem Laptopeinsatz rauschend und zischend und stampfend vertont. Den Klassiker der Surrealistischen Literatur las man auf Italienisch und in der späterenFassung, in der am Ende der Schlusssatz vom Autor gestrichen wird und Gott aus dem Spiel bleibt: „Gott ließ uns fallen, und so stürzen wir denn auf ihn zu.“

    Statt Richtung Gott fährt und fällt man Richtung „Nichts“, das passt auch besser zu den “letture per disadattati”, die sich weitere Literaturklassiker aus der Italienischen und Weltliteratur vornehmen. Für ein Kafka-Jahr und eine entspannte Atmosphäre ist die Geschichte des Zuges, der in einen Tunnel fährt, der nicht enden will, während die Passagiere rund um den Protagonisten die Realität leugnen, eine naheliegende Wahl. Für Ferrazzi hat die Geschichte in Zeiten des Begriffs “new normal”, der mindestens sodeutungsoffen ist, wie Dürrenmatts „Tunnel“, seit ihrer Veröffentlichung nur an Aktualität dazugewonnnen. “É tutto molto normale…”, versichert er uns bevor er mit der Lektüre beginnt. 

    Mit zusehender Unruhe des 24-jährigen Studenten, der merkt, dass ein eigentlich kurzer Tunnel am Weg zum Studienplatz nicht enden will, wagt sich auch die Musik aus dem klimpernden Hintergrund hervor und unterstreicht die Eskalation an Bord des Zuges. Der vom Musiker und Leser auf der Bühne angestrebte Zuschnitt sollte dabei angenähert werden, eine wirkliche „Interdependenz“ statt bloßer Begleitung hindern Holprigkeiten in der Lektüre und das Gefühl, dass unser Vorleser etwas zu schnell durch den Abend möchte.

    Auch so wartet Davide Ferrazzi mit den oft flächigen Sounds aus Stromgitarre und Computer oft auf seinen Bühnenpartner, die hastigen Trinkpausen sind störender als wenn man sich einen Moment lang Zeit genommen hätte. So kommt unnötige Unruhe auf die Bühne, die sich aus der zugegeben minimalistischen Performance statt aus dem Text ergibt.

    Sogwirkung entsteht dagegen in jenen Momenten, in denen alles glatt läuft und sich das Duo für kommende Lektüren mit Musik empfiehlt, indem Wort und Sound einen überschwemmen, mitreißen und kurz die Umgebung vergessen lassen, sowie die Zigaretten am Tisch und den Rauch, den man manchmal vom Wind in die Augen bekommt. Am Ende dann noch ein mit Ehrfurcht gesprochenes “Niente” und ein letztes Glas im Stehen.