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„Man kann sich nicht freikaufen“

Kathrin Dellantonio ist die Geschäftsführerin von myclimate in der Schweiz. Die gebürtige Eppanerin über den Ausgleich von CO2-Emissionen, Flugzeuge, internationale Klimapolitik und ihre eigenen Vorlieben beim Reisen.
Kathrin Dellantonio
Foto: myclimate
  • SALTO: Frau Dellantonio, wieso ist myclimate eine Stiftung und kein gewinnorientiertes Unternehmen?

    Kathrin Dellantonio: myclimate ist ursprünglich von Studentinnen und Studenten der ETH (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Anmerkung d. Red.) initiiert worden. Sie studierten Natur- und Umweltwissenschaften und gründeten einen Verein, die Gemeinnützigkeit war also schon von Anfang an präsent. Als Stiftung unterliegen wir mehr Vorschriften als Unternehmen bezüglich Transparenz und haben damit mehr Glaubwürdigkeit. Wir müssen natürlich auch betriebswirtschaftlich funktionieren, damit wir die laufenden Kosten wie unsere Löhne bezahlen können. Aber alle Gewinne verbleiben in der Stiftung und werden wiederum für Klimaschutz verwendet. 

    „Wir bewegen uns auf einem sehr jungen Markt, der begann erst in den letzten fünf Jahren wirklich stark zu wachsen.“

    Was war die Idee hinter dem Verein myclimate?

    Die Studentinnen und Studenten flogen im Jahr 2002 zu einer Nachhaltigkeitskonferenz in Costa Rica und wollten die CO2-Emissionen, die beim Flug entstehen, durch ein Klimaschutzprojekt ausgleichen. Deshalb arbeiteten sie einen sehr einfachen CO2-Rechner für Flugemissionen aus und motivierten die Teilnehmenden dieser Konferenz, einen finanziellen Beitrag abhängig von ihrer Flugdistanz zu leisten. Mit diesen Beiträgen hat man am Veranstaltungsort in Costa Rica, einer Business School, Dieselgeneratoren mit einer Photovoltaik-Anlage für Warmwasser ersetzt. 

  • Kathrin Dellantonio: „Auf Druck von Medien und Konsumentenschutzbehörden erwartet die Öffentlichkeit perfekte Projekte.“ Foto: myclimate

    Wie hat sich die Tätigkeit der Stiftung myclimate seitdem verändert?

    Wir haben unser Geschäftsfeld erweitert und bieten neben den Klimaschutzprojekten auch Beratung und Bildungsprojekte in Schulen und Unternehmen an. Wir begleiten Unternehmen gesamtheitlich, die sich ambitionierte Klimaschutzziele setzen wollen. Das beginnt bei der CO2-Berechnung für sämtliche Unternehmensbereiche, geht über die Ausarbeitung einer Klimaschutzstrategie inklusive konkreter Maßnahmen zur CO2-Reduktion im Unternehmen sowie deren Umsetzung bis hin zur Schulung der Mitarbeitenden sowie der Unterstützung von Klimaschutzprojekten. Wir sind Partner für Unternehmen Partner auf dem Weg hin zu Netto-Null, wie es das Pariser Klimaabkommen vorsieht. 

    Welche Rolle spielt die Kompensation von Emissionen?

    Heute sprechen wir grundsätzlich nicht mehr von der Kompensation von CO2-Emissionen oder Klimaneutralität, sondern von einem Beitrag für Klimaschutz. Das soll aufzeigen, dass man sich nicht freikaufen kann von den Emissionen, die heute noch nicht vermeidbar sind. Aber man sollte auf alle Fälle für die Emissionen, die heute noch nicht vermieden werden können, einen Beitrag in einem Klimaschutzprojekt leisten, weil man dadurch sofort und messbar einen Beitrag an den globalen Klimaschutz leisten kann. Genauso wichtig ist es, innerhalb von Unternehmen oder auch als Privatperson die eigenen Emissionen zu reduzieren. Die Gelder für unsere Klimaschutzprojekte müssen Teil einer umfassenden Strategie des Unternehmens sein, bei der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktiv miteinbezogen sind, um intern Potentiale für die CO2-Reduktion voll auszuschöpfen. 

  • Das Unternehmen

    Die Stiftung myclimate arbeitet mit Unternehmen zusammen, die Klimaschutzmaßnahmen umfassend und nachhaltig umsetzen wollen. Bekannt geworden ist myclimate vor allem durch den Ausgleich der CO2-Emissionen von Flügen. Heute ist die Stiftung in sechs Ländern vertreten und beschäftigt rund 200 Angestellte. Kernmärkte sind die Schweiz und Deutschland. Kathrin Dellantonio, aufgewachsen in Eppan, arbeitet seit rund 18 Jahren für myclimate, seit zwei Jahren als Geschäftsführerin in der Schweiz. 

  • Letztes Jahr haben Medien aufgedeckt, dass beim Verkauf von CO2-Zertifikaten zu wenig Transparenz herrscht. Wie hat die Branche darauf reagiert?

    Wir bewegen uns auf einem sehr jungen Markt, der begann erst in den letzten fünf Jahren wirklich stark zu wachsen. Deshalb stehen wir hier an einem ganz anderen Punkt als beispielsweise der Markt biologischer Lebensmittel, wo es sehr viel mehr Regulierung und breit anerkannte Standards gibt. Wir sehen aber, dass sich der Fokus nun mehr auf Qualität und Transparenz richtet, was wir absolut begrüßen. Denn für uns bei myclimate standen diese Themen von Anfang an im Fokus.

    „Um die ganze Klimathematik zu lösen, bräuchten wir diese CO2-Abgabe auf globaler Ebene.“

    Inwiefern?                                                                                                                                                                                    

    In den letzten Jahren sind sehr viele neue Player aufgetaucht, weil es plötzlich um größere Geldsummen ging. Jetzt findet wieder eine Bereinigung statt. Gleichzeitig muss man sagen, dass die Berechnung der Emissionsreduktionen, die in einem Klimaschutzprojekt erzielt werden keine exakte Wissenschaft ist. Es wird nie möglich sein, die CO2-Einsparung bis auf die dritte Kommastelle genau zu berechnen. Auf Druck von Medien und Konsumentenschutzbehörden erwartet die Öffentlichkeit perfekte Projekte, die teilweise unter schwierigen Kontexten in Ländern des globalen Südens umgesetzt werden. Es besteht deshalb die Gefahr, dass keine Projekte umgesetzt werden, während man auf die perfekte Messmethode wartet. Das können wir uns schlichtweg nicht erlauben, weil das Thema zu drängend und zeitkritisch ist. Dennoch bemühen wir uns als Non-Profit-Stiftung in Bern, Berlin und Brüssel darum, dass eine Regulierung eingeführt wird, die für alle Marktteilnehmer gilt und noch mehr Transparenz schafft. 

  • Die Geschäftsleitung der Stiftung: v.l. Kai Landwehr, Christof Fuchs, Miryam Escher, Stefan Baumeister, Beat Nussbaumer, Kathrin Dellantonio, Florian Goppel; Foto: myclimate
  • Vor allem Projekte zum Schutz des Regenwaldes wurden mit einer viel größeren CO2-Einsparung verkauft als es der Realtiät entsprechen dürfte. 

    Wir haben lange keine Projekte für sogenannte nature based solutions (natürliche CO2-Speicherung, Anmerkung d. Red.) gemacht, weil es dort schwieriger ist die CO2-Einsparung zu berechnen. Vor zehn Jahren haben wir uns trotzdem entschieden, in diesen Bereich zu gehen, weil Wald beim Klimaschutz ein zu wichtiges Thema ist, um es außer Acht zu lassen. Sehr schnell haben wir aus diversen Gründen entschieden, keine dieser ganz großen Waldschutzprojekte zu machen. Unsere Waldprojekte sind primär Aufforstungprojekte unter dem Plan VivoStandard in Zusammenarbeit mit lokalen Kleinbauern. Es soll für die lokale Bevölkerung Sinn machen, Wälder langfristig aufzubauen, zu schützen und nachhaltig zu nutzen, anstatt sie ganz abzuholzen. 

    „In einer idealen Welt bräuchte es uns tatsächlich nicht mehr.“

    Man könnte Ihrer Branche vorwerfen, dass Sie die Klimakrise verwalten anstatt sie zu lösen. 

    In einer idealen Welt bräuchte es uns tatsächlich nicht mehr. Leider sind wir davon noch weit entfernt. Wenn man es bis zum Ende denkt, bräuchten wir eine CO2-Bepreisung, sprich CO2 darf nicht mehr gratis ausgestoßen werden. Dann hätten wir auch Kostenwahrheit. Dann wäre plötzlich das nachhaltigere Produkt, das in der Herstellung aufwändiger ist, nicht mehr teurer, sondern vielleicht sogar billiger, weil die CO2-Kosten tiefer ausfallen. Um die ganze Klimathematik zu lösen, bräuchten wir diese CO2-Abgabe auf globaler Ebene, die der Verursacher oder die Verursacherin bezahlen muss. Von dem sind wir heute noch weit entfernt. Die Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten, machen das in gewisser Hinsicht freiwillig. Das bräuchte es aber flächendeckend, damit sich in der Klimathematik schneller was bewegt. Dass unsere Arbeit auch in der Beratung und Bildung obsolet wird, ist also noch weit entfernte Zukunftsmusik. Es wird uns also noch ziemlich lange brauchen. 

    Ihre Stiftung ist mit der CO2-Kompensation von Flügen bekannt geworden. Fliegen Sie persönlich?

    Ich für mich kann es nicht mehr rechtfertigen und bin das letzte Mal vor mehr als fünf Jahren geflogen. Auch auf ein Auto verzichte ich ganz bewusst. Wir sind gerade in Europa privilegiert, man kann so viel erleben und machen ohne zu fliegen. Die Fernverkehr- und Schnellzugverbindungen werden von Jahr zu Jahr besser. Oft muss man zudem auch gar nicht weit reisen, um neue Landschaften und Kulturen kennenzulernen. Ich habe deshalb das Gefühl, nicht auf etwas verzichten zu müssen, sondern ich habe viele neue, wunderschöne Gegenden in der Schweiz und in den Nachbarländern entdeckt.