Kunst | Künstlerbund

„I miei montagne“

Die Stadtgalerie Brixen zeigt „Tutti i presenti che non sono mai esistiti“, die erste Schau des neuen Kurators Marco Pietracupa, mit Aus- und Einblicken der Galerie mit zwei Türen. Innen sind Roger Weiss und Valentina De’Mathà im Dialog, außen Leander Schwazer
„Voglio vedere i miei montagne“ Leander Schwazer, Stadtgalerie Brixen
Foto: SALTO
  • „Voglio vedere i miei montagne“ steht in chaotischen Lettern am Domplatz-Eingang in den Kunstraum zu lesen. Während der knappen Öffnungszeiten leuchtet ein guter Teil der bunten, wohl mit Absicht schwer zu lesenden Schrift wie eine Leuchtreklame. Auf die Absichtlichkeit der grammatikalischen Verfremdung des Satzes wird im Inneren der Gallerie hingewiesen, wie auch auf die Quelle des Zitats: Die letzten Worte des Malers Giovanni Segantini „Voglio vedere le mie montagne“ haben über Joseph Beuys und eine Installation von 1971 im Van Abben-Museum einen Umweg genommen und die von Boys – gewollt oder ungewollt – geschaffene Falschschreibweise gleich übernommen. Eine Übersetzung ins Deutsche findet sich mit „Ic (sic) möchte meine Berge sehen“ auf der gegenüberliegenden Laubenseite, allerdings über dem Kopf der Eintretenden und Passanten, eine Spielart die sich beim Betreten der Galerie ausweitet. Hinter dem fehlenden „h“ steht hier allerdings keine Absicht, der Kurator verweist auf ein technisches Problem, das bald behoben sein sollte. Auch Schwazer geht es, durch die Komponenten von Sprache, Ort und Licht um eine Schärfung oder zumindest Irritation des Blickes der Besucher. Vom Licht, welches auf den Maler verweist, über die fehlerhafte Kommunikation, bis hin zur Lage der Galerie im von Einheimischen und Touristen gleichermaßen frequentierten Zentrum. Man kann nur beipflichten, wenn der Ausstellungstext proklamiert, es sei der Satz „Voglio vedere le mie montagne“ einer „…von kitschiger Schönheit, den sich auch ein Tourismusverband ausgedacht haben könnte“, ist. Wir hoffen aber, dass der Punkt an Pietätlosigkeit bei der Vermarktung der Provinz, an dem letzte Worte dafür entwendet werden, noch nicht erreicht ist.

  • Blickwinkel: Vertikal und horizontal treffen Künstlerin und Künstler im Raum aufeinander, so dass man die Werke beider eher getrennt, als in einer gemeinsamen Wirkung wahrnimmt. Foto: SALTO

    Im Innern der Galerie geht der Blick statt Richtung Plose und Co. in eine andere Richtung: Beginnend bei den „Cronotipi domestici: Archäologie des Alltags“ von Roger Weiss, vier Videoarbeiten in denen räumliche und zeitliche Dimensionen eine Verbindung eingehen. Von oben herab betrachten wir die von oben gemachten Aufnahmen, die uns im kleineren Nebenraum in einen Badezimmer-Kontext versetzen. Ein Klo, ein Bidet, ein Waschbecken und eine Badewanne werden uns mit und ohne einer Frau gezeigt, die alltägliche Gesten vollführt, vom Baden, übers Waschen bis zum Putzen der Toilette. Im menschlichen Kontext der verlangsamten Bilder und Töne schwingt auch  ein Fehlen mit und das „aus der Wanne steigen“ eine Weile nach, im sich erst allmählich wieder glättenden Badewasser. Im größeren Ausstellungsraum thematisiert Weiss das Fehlen als Subtraktion in anderer Weise. Dort, am Boden der Galerie, saugt eine Frau einen großen Perserteppich ab, da wird Geschirr gespült oder gegessen. Für ersteres Video entfernt Roger Weiss mittels einer für die Arbeiten entwickelten KI-Anwendung den Staubsauger, in letzterem das Besteck, das grob verpixelt an Zensur oder Anonymisierung von sexuell explizitem oder Gewalt enthaltenden Inhalten erinnert. Objekte verschwinden im Hintergrund, Gesten treten hervor. Ein letztes Video zeigt, an der Domplatz-Seite der Brixner Galerie, ein Ein- und wieder Auftauchen in einen Swimmingpool. Halbtransparent spiegeln sich – oder liegen sie tiefer? – allerhand nur zu erahnende Dinge zwischen den Lichtreflexionen der im Sonnenlicht tanzenden Pool-Oberfläche. Der Wald markiert die Grenze zwischen zwei Nationen.

    Valentina De’Mathàs Arbeiten sind dagegen statisch und Ergebnis eines (experimentell chemischen) Prozesses, nicht eine Abbildung von prozesshaft, wie obsessiv wiederholten Abläufen. Auch werden die Radierungen unter anderem auf Polyesteremulsion, sowie auf beschichtetem Material nicht horizontal, sondern vertikal an den Wänden gehängt präsentiert. Trotz Abstraktion befassen sich die Werke mit unseren Sinneswahrnehmungen, wie dies auch bei Weiss der Fall war. Besonders die Werke der 2019er Reihe „Se puoi guardare fuori, gli altri possono guardare all’interno“ hätten, nicht nur ihrem Namen nach auch Auftragswerke der Galerie sein können. Am Unsinnigen Donnerstag sind es gar einige Kinderaugen, die vom Domplatz her in die Ausstellungsräume blicken und sich neugierig zeigen. Die Einschnitte mit einem Cutter, welche die abstrakten Flächen in Segmente unterteilen, erinnern an das gesprungene Abdeckglas auf Touchscreens, das unvorsichtige Smartphonenutzer kennen dürften und bringt Digitales mit Analogem zusammen. Die übrigen Radierungen von De’Mathà verweisen mit ähnlichen Techniken dagegen eher auf einen natürlichen Kontext: Ob nun als eine „sich über das Fenster hinaus erstreckende, simulierte Landschaft“ (ist der Blick aus dem Fenster eine Form von Live-Stream) im Triptychon oder als Exzerpt aus der Reihe vier Jahreszeiten. Wie einst Giovanni Segantini befasst sich auch Valentina De’Mathà mit Landschaft und Licht, wenngleich deutlich urbaner und ohne dass einem ganz klar ist, ob man nun nach Innen oder Außen blickt.

  • Die Stadtgalerie Brixen hat von Dienstag bis Freitag jeweils zwischen 14 und 17, sowie Samstags zwischen 10 und 13 Uhr geöffnet. „Tutti i presenti che non sono mai esistiti“ kann bis zum 22. März besucht werden.

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Hartmuth Staffler Fr., 28.02.2025 - 16:21

Die beschränkten Öffnungszeiten der Stadtgalerie sind kein Problem. Da die vom Künstlerbund kuratierten Ausstellungen ohnehin kaum Besucher in die Innenräume ziehen, ist es gleich, wann dort geöffnet ist. Folgerichtig ist man an die Fassaden gegangen. Die Brixner werden auch das überleben.

Fr., 28.02.2025 - 16:21 Permalink