Die Tiroler lieben Tourismus
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Die überwiegende Mehrheit der Tiroler scheint glücklich und zufrieden mit dem Tourismus-Sektor zu sein. So zumindest lautet das Fazit eines Kurzberichts über jene Studie, die vom Land Tirol beim Management Center Innsbruck (Bereich Tourismus) in Auftrag und im Dezember 2019 veröffentlicht wurde. Zwar ist die Studie bereits fünf Jahre alt, aber immer noch aktuell und Grundlage für politische Entscheidungen.
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In der neun Seiten umfassenden Zusammenfassung wird deutlich betont, dass die Relevanz des Tourismus in Tirol insgesamt sehr hoch ist. So schätzen 98 Prozent der Befragten die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus in Tirol als hoch bis sehr hoch ein. 80 Prozent stimmten der Frage, ob manche „Täler Tirols ohne Tourismus von Entsiedlung bedroht“ wären, zu. Auch aus den weiteren Antworten, wie beispielsweise zur Lebensqualität, Kontakt mit Gästen und mögliche Störungen durch den Tourismus, geht hervor, dass die positive Einstellung deutlich überwiegt. „Insbesondere in tourismusintensiven Gebieten fühlen sich die Einheimischen wenig durch Touristen im Alltag gestört“, heißt es beispielsweise auf Seite 5. Ein vollkommen anderes Bild ergibt sich dagegen in Südtirol, wie das Ergebnis einer Umfrage zeigt, die im Sommer 2023 in der Tourismushochburg St. Ulrich durchgeführt worden ist. Knapp 70 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich weniger Tourismus wünschten.
„Insbesondere in tourismusintensiven Gebieten fühlen sich die Einheimischen wenig durch Touristen im Alltag gestört.“
Einzig der durch die Touristen verursachte Verkehr scheint als negativer Aspekt wahrgenommen zu werden. Doch ist die Zustimmung wirklich so vollumfänglich und rückhaltlos, wie es die Studie den Lesern weismachen will? Markus Sint, ehemaliger Journalist und nunmehriger Landtagsabgeordneter der Liste Fritz, zeigt ein anderes und vielschichtigeres Bild von unserem Nachbarland.
Zur PersonDer aus der Gemeinde Kartitsch (Bezirk Lienz/Osttirol) stammende Markus Sint hat an der Universität Innsbruck Politikwissenschaft und Geschichte studiert. Bis 2008 war Sint als Journalist beim ORF tätig. Anschließend wechselte er als Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zur neu gegründeten Liste Fritz Dinkhauser. 2018 schaffte er als Abgeordneter den Sprung in den Tiroler Landtag.
Wie Sint auf Nachfrage erklärt, habe er kurz nach Veröffentlichung der Zusammenfassung verlangt, dass auch die Gesamtstudie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Dieser Streit mit der Tiroler Landesregierung wurde bis vor das Landesverwaltungsgericht ausgetragen - mit dem Ergebnis, dass den Abgeordneten des Tiroler Landtages die gesamte Studie zur Verfügung gestellt wurde. „Liest man sich diese Version durch, dann rücken plötzlich einige wichtige Punkte in den Vordergrund, die in der Kurzfassung nicht bzw. nur am Rande behandelt worden sind“, so Sint.
Dazu zählen, wie bereits erwähnt, der Verkehr wie auch die Teuerung. Die Mehrheit (84 %) der befragten Tirolerinnen und Tiroler stimmt beispielsweise der Aussage zu, dass der Tourismus die Preise in Tirol erhöht hat. Auch der Verkehr wird als besonders kritischer Aspekt des Tourismus wahrgenommen. 73 % der Befragten stimmen der Aussage zu, dass der „Verkehr, der durch die Gäste verursacht wird, die Lebensqualität negativ beeinflusst“. 11 % stimmen dieser Aussage nicht zu. Mehr als die Hälfte der Tirolerinnen und Tiroler (54 %) sind der Ansicht, dass der Tourismus die Natur schädigt.
Die Tiroler Bevölkerung leidet insbesondere unter der Teuerung, wie der Landtagsabgeordnete der Liste Fritz erklärt. So seien die allgemeinen Lebenshaltungskosten (Wohnen, Lebensmittel etc.) im Vergleich zu den übrigen österreichischen Bundesländern mit am höchsten – sogar höher als in Wien. „Das sind Fehlentwicklungen, die eindeutig dem Tourismus geschuldet sind“, so Sint.
Zerrissenes Tirol„Im Nord- und Osttirol ist man, was den Tourismus betrifft, hin- und hergerissen“, erklärt der Landtagsabgeordnete der Liste Fritz. Einerseits sei sich die Gesellschaft durchaus darüber im Klaren, welchen Beitrag der Tourismus an der Wertschöpfung leiste. Andererseits vernehme man zunehmend mehr Stimmen, die kritisch anmerkten, dass der Tourismus nur einigen wenigen Nutzen bringe und die große Masse der Tiroler Bevölkerung wenig davon habe – außer Probleme. „Wir haben bereits einige große Debatten rund um Übererschließungen geführt, wie beispielsweise über die Zusammenlegung des Gletscher-Skigebietes Pitztal-Ötztal“, berichtet der Landtagsabgeordnete.
„Im Nord- und Osttirol ist man, was den Tourismus betrifft, hin- und hergerissen.“
Dieses als „Gletscherehe“ bezeichnete Mega-Projekt wurde schließlich nach einer Volksbefragung und einer Unterschriftensammlung, die von Gerd Estermann und seiner Bürgerinitiative #aufstehn ins Leben gerufen wurde, aufgegeben. Zwar werden solche Debatten hauptsächlich auf dem politischen Parkett geführt, der größte Widerstand komme jedoch von Seiten von Bürgerinitiativen – anders als beispielsweise in Südtirol, wo sich vor allem die drei großen Umweltverbände, Heimatpflegeverband, Dachverband für Natur- und Umwelt sowie der AVS und seine lokalen Ableger, für diese Themen starkmachen.
Breite ZustimmungLaut Studie wird der Tourismus als wichtiger Arbeitgeber gesehen, als existenzsichernder Faktor für die Landwirtschaft und als Grund, weshalb wichtige Einrichtungen wie Schwimmbäder, Nahversorger und Seilbahnanlagen sowie Naherholungsgebiete für die Einheimischen geschaffen werden. Die Mehrheit (49 % stimmten voll und ganz zu, 31 % stimmten eher zu) ist der Meinung, dass ohne Tourismus die Täler von Entsiedelung bedroht werden. Auch Wünsche konnten die Befragten deponieren. So gaben beispielsweise 26 Prozent an, dass mehr auf den Naturschutz geachtet werden sollte und 20 Prozent mehr auf die Einheimischen. Was eine zukünftige touristische Entwicklung betrifft, so wünschte sich die Mehrheit der Befragten eine in die Landschaft integrierte Infrastruktur, mehr Unterstützung für die Landwirtschaft und mehr Angebote für die Einheimischen.
Was den durch den Tourismus verursachten Verkehr betrifft, wird laut Sint insbesondere der Bezirk Reutte „zum Auspuff Europas“, wenn zu Stoßzeiten zig Tausende Pkw Richtung Fernpass, Paznauntal und ins Ötztal rollen. Im Tourismus-Hotspot Zillertal ist die Verkehrssituation ähnlich. Auch hier kommt es ständig zu Staus. Dabei ist in der Tiroler Klima- und Nachhaltigkeitsstrategie festgehalten, dass die An- und Abreise der Touristen möglichst ressourcenschonend erfolgen soll. Laut Sint steht man hier aber noch am Anfang. „Tirol hatte im vergangenen Jahr zwölf Millionen Gäste-Ankünfte zu verzeichnen, davon sind rund 90 Prozent mit dem Auto oder dem Flugzeug angereist“, so der Tiroler Landtagsabgeordnete. Mit diesen Zahlen sei man weit davon entfernt, bahnbrechende Erfolge zu erzielen, was die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln betrifft.
Ein weiteres großes Thema ist der „Ausverkauf der Heimat“ und hier insbesondere sogenannte Investorenmodelle und Chalet-Dörfer, die immens viel Grund verbrauchen und findigen Investoren als illegale Freizeitwohnsitze dienen. Wurde Sint, wie er selbst sagt, 2018 noch für seine Kritik am Ausverkauf der Heimat ausgelacht, hat auch bei diesem Thema inzwischen ein Umdenken stattgefunden. Doch an einigen Themen wie beispielsweise Betten-Obergrenze oder Hotspot-Management will man nördlich des Brenners nicht Hand anlegen. Was in Südtirol – zugegebenermaßen nicht ohne Hauen und Stechen – mit dem Landestourismusentwicklungskonzept (LTEK) umgesetzt werden konnte, ist in Tirol rein informeller Natur geblieben, sprich: Kein Hotel sollte mehr als 300 Betten haben und mehr als 300.000 Betten sollte es in Tirol nicht geben – eine Regelung, an die sich alle halten müssen, gibt es jedoch nicht.
„Bei uns herrscht die Einstellung vor, dass wir kein Problem mit Massentourismus haben.“
„Was als politischer Wunsch formuliert wurde, hat sich die ÖVP-Regierung nicht getraut, in ein Gesetz zu gießen. Wir als Liste Fritz haben heuer im Landtag einen machbaren Gesetzesvorschlag eingebracht, den ÖVP und SPÖ allerdings abgelehnt haben“, so Sint, der dieses Nein dem Einknicken vor der Tourismus- und Seilbahn-Lobby zuschreibt. Lange Zeit galt das Credo: immer mehr – mehr Touristen, mehr Hotels, mehr Betten, was zu Bausünden und anderen Problemen führte. Wie der Tiroler Landtagsabgeordnete erklärt, gebe es zwar insbesondere bei den jungen Betriebsnachfolgern des Tourismusgewerbes ein Umdenken, vernünftige Diskussionen über die Auswüchse des Tourismus seien jedoch nach wie vor nicht möglich. „Bei uns herrscht die Einstellung vor, dass wir kein Problem mit Massentourismus haben. Massentourismus gibt es in Barcelona, in Venedig und anderswo, aber nicht bei uns.“
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Kleines Wochenend-Dilemma:…
Kleines Wochenend-Dilemma:
wenn ich als Sùdtiroler jetzt nach Innsbruck fahren mòchte, bin ich ein Tourist oder ein Tiroler und somit (fast) ein Einheimischer?
Sollte ich als Tourist eingestuft werden, wàre ich dann trotzdem willkommen oder sollte ich lieber home gehen?
Und komme ich mit dem Zug bin ich dann willkommener oder doch lieber mit einem (grossen) Auto (damit ich in Innsbruck vieeeeel einkaufen kann (soll), damit die Tiroler Ökonomie weiterhin blùhen kann (soll))...
Antwort auf Kleines Wochenend-Dilemma:… von Christian I
pardon: gibt es einen Flug…
pardon: gibt es einen Flug BZO-INN? Wàre halt doch ein bisschen schneller...