Das Schottergruben-Dilemma

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Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bozen und des Staatsrates, die geplante Schottergrube in Sarns bei Brixen nicht zu genehmigen, hat in Südtirol eine Debatte ausgelöst – und gleichzeitig ein gravierendes Problem aufgezeigt. Überspitzt formuliert: Wenn niemand eine Schottergrube vor seiner Haustür will, wo soll dann das Material – das man offensichtlich braucht – herkommen?
Mit dieser Frage beschäftigt sich auch die Bauwirtschaft und dort stößt das Urteil auf breites Unverständnis. Christian Grünfelder, Vizepräsident des Baukollegiums und Vertreter der Gruppe Bergbau und Gruben, spricht offen von einem drohenden Versorgungsnotstand: „In mehreren Bezirken herrscht akuter Materialmangel, und neue Genehmigungen für Schottergruben sind seit Jahren praktisch zum Erliegen gekommen.“ Dabei hatte das Projekt in Brixen bereits eine positive Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchlaufen und war ursprünglich von der Landesregierung befürwortet worden. Umso größer ist nun der Frust der Branche über die Kehrtwende. „Dass eine einmal erteilte Genehmigung wieder zurückgezogen wird, ist für uns nicht nachvollziehbar“, so Grünfelder. Noch hoffe man auf eine Wendung – doch die Unsicherheit wachse.
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Christian Grünfelder, Vizepräsident des Baukollegiums und Vertreter der Gruppe Bergbau und Gruben: „Dass eine einmal erteilte Genehmigung wieder zurückgezogen wird, ist für uns nicht nachvollziehbar.“ Foto: Privat
Schotter ist kein Prestigeprodukt, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil jeder modernen Infrastruktur: Straßen, Brücken, Tunnels, Schulgebäude oder Wohnbauprojekte – überall wird der Rohstoff benötigt. In Bezirken wie dem Eisacktal ist zwar geeignetes Material vorhanden, doch die bürokratischen Hürden für neue Abbauprojekte sind laut Bauwirtschaft kaum noch zu überwinden. Genehmigungen erforderten aufwendige Verfahren, komplizierte Abstimmungen mit Grundstückseigentümern sowie langwierige Umweltverträglichkeitsprüfungen. „Es geht nicht um Profitinteressen einzelner Betriebe, sondern um ein öffentliches Grundbedürfnis“, betont Grünfelder. Doch genau dieses Bedürfnis werde zunehmend ignoriert. „Niemand fühlt sich zuständig für die Rohstoffsicherung in Südtirol. Wer Verantwortung übernehmen sollte, bleibt unklar. Das ist eine gefährliche Lücke.“
„Niemand fühlt sich zuständig für die Rohstoffsicherung in Südtirol. Wer Verantwortung übernehmen sollte, bleibt unklar. Das ist eine gefährliche Lücke.“
Mit dem neuen Landesgesetz hat Südtirol eigentlich auf strengere Regeln im Rohstoffabbau gesetzt. Es sieht unter anderem vor, dass Abbaustandorte besser überwacht werden, Genehmigungen an einen konkreten Nachweis des Bedarfs geknüpft sind und Umweltausgleichsmaßnahmen verbessert werden. Auch der Lärm- und Staubausstoß soll laufend kontrolliert werden. Grünfelder begrüßt diese Schritte, sieht aber ein zentrales Manko: „Ohne eine übergeordnete Bedarfsplanung ist Kontrolle sinnlos. Wenn im Eisacktal jährlich 300.000 Kubikmeter gebraucht werden, aber nur 100.000 genehmigt sind, dann fehlen 200.000. Die müssen teuer importiert werden – oder es bleibt der Bagger einfach stehen.“ Der Import von Baumaterialien aus entfernten Regionen ist laut Bauwirtschaft nicht nur teuer, sondern auch ökologisch fragwürdig. „Was ist umweltfreundlicher? Der zusätzliche Lkw-Verkehr durch halb Südtirol – oder ein lokaler, begrenzter Eingriff mit klarer Rekultivierungspflicht?“, fragt Grünfelder. Die steigenden Transportkosten schlagen sich nicht nur auf die Preise öffentlicher Bauprojekte nieder – sie belasten auch den Steuerzahler.
Ein grundlegendes Problem sieht der Branchenvertreter im schlechten Image von Schottergruben: „Jeder braucht das Material, aber niemand will eine Grube in der Nähe haben.“ In Genehmigungsverfahren werde häufig mit Naturschutzargumenten gearbeitet – etwa wegen einzelner Tierarten oder Bäume. Grünfelder zeigt dafür Verständnis, fordert jedoch Ehrlichkeit in der Debatte: „Wenn wir deshalb auf eine Grube verzichten, muss auch offen gesagt werden, dass das Material woanders fehlen wird – mit allen Konsequenzen.“
Planung umkehrenAuf der anderen Seite steht der Dachverband für Natur- und Umweltschutz, der eine differenzierte Sichtweise fordert. Geschäftsführer Hanspeter Staffler warnt davor, Klimaschutz gegen Naturschutz auszuspielen: „Regionale Schottergewinnung kann unter Klimagesichtspunkten sinnvoll sein – kürzere Wege, weniger CO₂ – aber aus Sicht des Naturschutzes ist sie oft problematisch.“ Der Verband plädiert für eine vorausschauende Planung, die ökologische, kulturelle und siedlungsnahe Tabuzonen klar definiert – bevor überhaupt über neue Grubenstandorte nachgedacht wird.
Hanspeter Staffler, Geschäftsführer des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz: „Nur durch Wiederverwertung von Baumaterialien können wir die Klimaziele erreichen.“ Foto: SeehauserfotoStaffler kritisiert insbesondere das geltende Gesetz von 2023, das keine zentrale Grubenplanung mehr vorsieht. Stattdessen liege die Initiative bei privaten Unternehmen, die selbst Standorte vorschlagen und Bedarf nachweisen müssten. Ein Modell, das für den Unternehmer sehr risikoreich ist und nicht immer von Erfolg gekrönt. Wenn nachträglich archäologische oder ökologische Einwände auftauchen, endet das Verfahren nicht selten vor Gericht. Der Dachverband schlägt daher ein Gegenmodell vor: eine „umgekehrte Planung“, bei der zunächst Schutzgebiete und sensible Flächen festgelegt werden. Erst danach soll geprüft werden, wo Schotterabbau möglich und vertretbar ist. Voraussetzung dafür sei, dass sämtliche Umweltausgleichsmaßnahmen bereits vor Beginn der Abbauarbeiten umgesetzt werden.
„Wenn Verfahren klar geregelt sind und ökologische Verantwortung übernommen wird, sind wir nicht grundsätzlich gegen neue Gruben.“
Ein weiteres zentrales Anliegen der Umweltschützer ist die Förderung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. „Nur durch Wiederverwertung von Baumaterialien können wir die Klimaziele erreichen“, so Staffler. Südtirol habe die Kreislaufwirtschaft zwar bereits als strategisches Ziel definiert – nun müsse sie aber auch konkret mit der Bauwirtschaft umgesetzt werden. Trotz aller Differenzen signalisiert der Dachverband Gesprächsbereitschaft: „Wenn Verfahren klar geregelt sind und ökologische Verantwortung übernommen wird, sind wir nicht grundsätzlich gegen neue Gruben.“ Es brauche aber eine transparente, faire Planung – nicht die Übergabe an den freien Markt.
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Bei den Bürgerversammlungen, mit denen der Bevölkerung vor Baubeginn das BBT-Projekt schmackhaft gemacht wurde, war die Rede davon, dass mindestens 80 Prozent des Abraummaterials als Zuschlagstoff für Beton- und Bitumenproduktion verwendet werden könne, womit das Problem des Schottermangels im Eisacktal auf viele Jahre gelöst und das Deponieproblem vernachlässigbar sei. Ob damals bewusst gelogen wurde, um die Zustimmung zum Projekt zu erhalten, oder ob das Abraummaterial nicht den Erwartungen entsprochen hat, kann ein Laie nicht feststellen. Eine Antwort von kompetenter Seite wäre interessant. Es gibt ja so einen Oberbeobachter für den BBT.