Auf dem Lohnstreifen tut sich nichts
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Die letzte wirkliche Gehaltserhöhung für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst gab es 2011 und sie belief sich auf 0,75 %. Seit vielen Jahren müssen sich Südtirols Arbeitnehmer im Öffentlichen Dienst vor allem mit einem begnügen: mit Versprechungen. Darunter leidet auch der Gesundheitsbereich. Angelika Hofer, Generalsekretärin der Fachgewerkschaft Öffentlicher Dienst im AGB CGIL, erzählt im Gespräch mit SALTO von falschen Prioritäten und provoziertem Personalmangel.
SALTO: Frau Hofer, die Provinz hat im Mai 2024 via Pressemitteilung verkünden lassen: „Aufwertung der Gesundheitsdienste: Gewerkschaften lehnen Vorschlag ab“.
Hofer: Das stimmt aber so nicht.
Na, das fängt ja gut an. Wie ist es denn richtig?
Wie immerist die Sachlage komplexer. Natürlich befürworten auch wir eine Aufwertung der Gesundheitsberufe. Im Kern geht es um eine Reduzierung der Arbeitszeit von 38 auf 36 Wochenstunden. Die Politik ist der Meinung, dass diese Reduzierung nur für Krankenpfleger und Pflegehelfer kommen sollte. Wir als Gewerkschaft fordern aber schon seit Jahren eine Reduzierung der Arbeitszeit für alle öffentlich Bediensteten. Wir wären sogar zu einem Kompromiss bereit und hätten als ersten Schritt gefordert, alle sanitären Berufsbilder mit bestimmten Voraussetzungen in diese Stundenreduzierung miteinzubeziehen und Aufgabenzulagen für Turnusdienst, Feiertagsarbeit, Nachtdienst und so weiter zu erhöhen, die denen zugutekommen würden, die unter erschwerten Bedingungen arbeiten müssen. Schließlich sind wir eine Fachgewerkschaft, die alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst vertritt und wir müssen unsere Entscheidungen vor der gesamten Belegschaft vertreten können.
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Zur Person
Angelika Hofer ist seit Oktober 2018 Generalsekretärin der Fachgewerkschaft Öffentlicher Dienst im AGB/ CGIL. In ihrer Tätigkeit vertritt Hofer alle öffentlich Bediensteten. Bedienstete im Sanitätsbetrieb, die Landesbediensteten, die Bediensteten in den Lokalkörperschaften und die Bediensteten in vielen weiteren Bereichen. Darüber hinaus sitzt Hofer an den verschiedenen Verhandlungstischen.
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Die Politik hat ja für Kollektivvertragsverhandlungen ordentlich Geld hingeblättert. Zunächst 250 Millionen Euro, die dann im Nachtragshaushalt auf 350 Millionen aufgestockt wurden.
Genau. Dieses Geld wird für alle Kollektivvertragsverhandlungen auf Landesebene für drei Jahre bereitgestellt und nicht nur für einen Bereich.
Wer gehört eigentlich alles zum Öffentlichen Dienst?
Das gesamte Personal des Landes, des Landesgesundheitsdienstes, der Gemeinden, der Bezirksgemeinschaften und der Seniorenwohnheime, das Personal des WOBI, des Verkehrsamtes Bozen und der Kurverwaltung Meran, sowie die jeweiligen Führungskräfte und Ärzte eingeschlossen.
"Gezahlt wurde zwar ein Vorschuss auf das Jahr 2022 von etwa 2 %, aber die Inflation lag bei 9 %."
Wie viele Menschen sind in Südtirol im Öffentlichen Dienst beschäftigt?
Rund 46.000 Menschen, wobei das Lehrpersonal der staatlichen Schulen mit einberechnet ist.
Und die bereitgestellten Millionen sind zu wenig?
Ja, denn die Inflationsanpassungen für das gesamte Personal seit 2022 ist immer noch ausständig. Gezahlt wurde zwar ein Vorschuss auf das Jahr 2022 von etwa 2 %, aber die Inflation lag bei 9 %. 2023 wurde für das halbe Jahr auch ein Vorschuss von etwa 2 % gezahlt und die Inflation lag bei 5,6 %. Für das laufende Jahr 2024 ist alles noch ausständig.
Am Öffentlichen Dienst wird also herumgedoktert. Das sieht alles nach Stückwerk aus. Warum macht das die Politik so? Gibt es für Sie da nachvollziehbare Gründe? Ist nicht genug Geld da?
Ich glaube, es wäre schon genug Geld da, aber es werden andere Prioritäten gesetzt. Erschwerend hinzu kommt, dass die öffentliche Meinung nicht allzu viel vom Öffentlichen Dienst hält. In den Köpfen der Menschen dominiert die Vorstellung, dass Öffentlicher Dienst mit Büroarbeiten gleichzusetzen ist. Das ist aber absolut nicht der Fall: es geht um eine Vielzahl an Berufsbildern, wie der Schulwart, der Straßenwärter, das Kindergarten- und Lehrpersonal, die Pflegeberufsbilder, die Krankenpfleger, die Therapeuten, um nur einige zu nennen. Viele Tätigkeiten davon werden von der Öffentlichkeit entweder kaum wahrgenommen oder für Selbstverständlich erachtet.
"Stunden reduzieren, kann ich aber nur, wenn auch genug Fachpersonal vorhanden ist."
…Man zahlt ja schließlich Steuern…
… so in etwa. Was ich aber sagen will, es sind unheimlich viele Menschen und unterschiedliche Berufsbilder im Öffentlichen Dienst vertreten, und die Inflationsanpassungen für so viele Leute kostet viel Geld. Wenn ich den Inflationsausgleich für 2022, 2023 und 2024 für das Personal des Öffentlichen Dienstes heute auf den Tisch legen müsste, wäre ich schnell bei über 500 Millionen Euro. Und da reden wir noch gar nicht von Gehaltserhöhungen. Gleichzeitig wurde uns mitgeteilt, dass die Reduzierung der Arbeitszeit in der Sanität von 38 auf 36 Stunden in etwa 35 Millionen kosten würde. Stunden reduzieren, kann ich aber nur, wenn auch genug Fachpersonal vorhanden ist, denn es müssen die Dienste aufrechterhalten werden. Wenn aber nicht genug Fachpersonal da ist, ist das verfügbare Personal gezwungen Überstunden zu leisten, die nach der Arbeitszeitreduzierung automatisch in die Höhe gehen würden. Wie ich anfangs schon sagte: die Situation ist komplex.
Sie sprechen den Fachkräftemangel an. Ist der wirklich so dramatisch wie immer gesagt wird?
Tatsache ist, dass ein Großteil des Personals zur älteren Generation gehört. Es gehen Menschen in Rente oder kündigen und es kommt nicht genügend ausgebildetes Personal nach, was in naher Zukunft sicher zu weiteren Personalengpässen führen wird. Das ist auch in der Sanität zu beobachten. Wir haben gut ausgebildete Fachkräfte, aber zu wenige. Der Fachkräftemangel führt zu einer höheren Belastung des bestehenden Personals und führt unweigerlich zu längeren oder langen Wartezeiten für die Inanspruchnahme der Dienstleistungen. Hinzu kommt, dass die digitale Vernetzung – und nicht nur die im Sanitätsbetrieb, zu wünschen übriglässt. Ich erinnere hier an die Abschaffung des Informatiksystems IKIS in Brixen und Bruneck. Nicht die Aussetzung des Systems wird kritisiert, denn dieses ist anscheinend aufgrund von Datenschutzrichtlinien notwendig, sondern der Mangel an funktionierenden digitalen Systemen, wie auch immer diese benannt werden. Verzögerungen in der Digitalisierung erhöht den Aufwand für Pflegende und Gepflegte. Angesichts des Personalmangels wären solche Hürden schnellstmöglich abzubauen.
"Es ist August und wir sind fast am Ende des Dreijahreszeitraums 2022-2024 angelangt und haben noch nicht einmal begonnen über den noch ausstehenden Inflationsausgleich zu reden."
Sie fordern entschlossene Maßnahmen von den Verantwortlichen gegen Personalmangel und schlechte Bezahlung. Wer ist hier eigentlich verantwortlich und was sollte konkret getan werden?
Es ist August und wir sind fast am Ende des Dreijahreszeitraums 2022-2024 angelangt und haben noch nicht einmal begonnen über den noch ausstehenden Inflationsausgleich zu reden.
Wer ist da ihr Ansprechpartner? Der Gesundheitslandesrat?
Nein, hier geht es um die Bediensteten des gesamten öffentlichen Dienstes und für die Verhandlungen des bereichsübergreifenden Kollektivvertrages ist die Agentur für die Beziehungen zu den Gewerkschaften zuständig. Dann am Tisch sitzen auch die Vertreter der einzelnen Bereiche, also: Vertreter der Sanität, des Landes, des Gemeindeverbandes, der Seniorenwohnheime, vom Wohnbauinstitut, …. Verhandlungen können aber nur im Rahmen der Gelder erfolgen, die im Landeshaushalt bereitgestellt werden.
Was sind Ihre Hoffnungen für den Haushalt 2025?
Es geht schon lange nicht mehr um Hoffnung, sondern um das Einlösen von Versprechen, die gemacht wurden, und zwar nicht nur im Wahlkampf. Auch als Landesrat Messner und Landesrätin Amhof als die Zuständigen für Sanität und Landespersonal feststanden, wurde immer wieder gesagt, man müsse unbedingt auch bei den Gehältern Hand anlegen, die Gehälter müssen erhöht werden. Der Inflationsausgleich ist also für uns der dringendste Schritt, der zu setzen ist, dann müssen Gehaltserhöhungen ins Auge gefasst werden, sonst werden hier viele Versprechen unglaubwürdig.
"Spürbar auf dem Lohnstreifen hinsichtlich des Grundgehalts hat sich schon sehr lange nichts mehr getan."
Aber Inflationsausgleich ist noch keine Gehaltserhöhung…
Richtig. Da der Inflationsausgleich aber noch nicht erfolgt ist und momentan im Landeshaushalt für diesen Schritt nicht ausreichend Finanzmittel vorgesehen sind, muss zumindest die ausstehende Differenz zwingend im Landeshaushalt 2025 vorgesehen werden. Darauf ‚hoffen‘ wir nicht – das ist für uns ein Muss, denn viele kommen mit ihrem Gehalt einfach nicht mehr bis zum Monatsende. Wenn die Gehälter nicht steigen, führt es dazu, dass gut ausgebildetes Personal ins Ausland abwandert und auch nicht mehr zurückkehrt. Denn eines müssen wir immer präsent halten, die Lebenshaltungskosten in Südtirol sind sehr hoch.
Wie stark müssten die Gehälter im Öffentlichen Dienst wachsen, damit ein Auskommen mit dem Einkommen gegeben ist?
Das ist schwer zu sagen, da wir neun verschiedene Funktionsebenen haben mit unterschiedlicher Entlohnung. Dazu muss man wissen, dass es die letzte sogenannte Gehaltserhöhung 2011 von 0,7 % gab. Dann folgte ein langer Verhandlungsstopp, der 2015 vom Verfassungsgerichtshof für unrechtmäßig erklärt wurde. Für den Dreijahreszeitraum 2016-2018 gab es eine Erhöhung der Sonderergänzungszulage von 80 Euro brutto monatlich. 2018 sind die Gewerkschaften mit der Forderung einer effektiven Gehaltserhöhung von mindestens 10 % angetreten, um die Jahre des Vertragsausfalls wettzumachen. Jetzt sind wir sechs Jahre später…
… und es ist nichts passiert?
Nein, das ist nicht ganz korrekt, es fanden immer wieder Vertragsverhandlungen statt. Jedoch gab es immer nur Inflationsausgleiche, aber spürbar auf dem Lohnstreifen hinsichtlich des Grundgehalts hat sich schon sehr lange nichts mehr getan.
Was verdient jemand im Öffentlichen Dienst?
Nehmen wir mal einen jungen Menschen mit Matura. Der wird in die sechste Funktionsebene eingestuft. Grundgehalt ist 1.078 Euro brutto, plus eine Sonderergänzungszulage von 1.056 Euro brutto und die Zweisprachigkeitszulage. Dann ist man bei knapp über 2.213 Euro brutto als Einstiegsgehalt, bei günstiger Steuerklasse sind es dann etwa 1.600 Euro netto. Ich glaube mehr brauch ich dazu nicht sagen.
Wenn man davon Miete zahlen muss und einmal die Woche Großeinkauf macht, bleibt nicht viel übrig…
Ich weiß nicht wie ein junger Mensch autonom davon leben und Zukunftsperspektiven entwickeln soll. Deswegen auch die Abwanderung. Deswegen auch der Personalmangel. Die Rekrutierung neuer Fachkräfte und die Bindung von qualifiziertem Personal ist eine Herausforderung.
Wie kann man für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst die Situation zum Besseren wenden?
Jetzt gleich den Inflationsausgleich gewähren und dann muss das Land dafür natürlich die restlichen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Die Erhöhung der Grundgehälter, den Kaufkraftverlust entgegenwirken. Leistbares Wohnen. Gehälter an die Lebenshaltungskosten anpassen. Einführung eines Age-Managements. Maßnahmen zur Förderung des Generationenwechsels. Ein großes Dilemma ist, dass wir am Verhandlungstisch nicht weiterkommen, bzw. ewig an Zeit benötigen, Verträge abzuschließen. Dazu ein Beispiel: es gibt seit August 2022 ein nationales Gesetz zur Mutterschaft und Vaterschaft. Wir haben die entsprechenden Anpassungen auf bereichsübergreifender Ebene erst jetzt im August 2024 vorunterzeichnet.
Aber fehlt hier der politische Wille, Verbesserungen für die Beschäftigten umzusetzen oder ist die Ignoranz und mangelnde Bodenhaftung?
Das kann ich Ihnen leider nicht beantworten.
Frau Hofer, wir danken Ihnen für das Gespräch.