Bio, zwischen Braun und Grün
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Am Anfang des 20. Jahrhunderts kombiniert der österreichische Philosoph Rudolf Steiner christliche Mystik, fernöstliche Esoterik, des deutschen Idealismus (der Versuch, die ganze Welt als System wissenschaftlich zu erfassen) und Teile der Weltsicht Goethes und schafft, laut eigenen Angaben auch durch Hellsehen, die Weltanschauung der Anthroposophie. Zu Deutsch: Weisheit des Menschen. Die wohl bekannteste praktische Anwendung dieser philosophischen Richtung ist wohl die Waldorfpädagogik. Laut dem Bund der freien Waldorfschulen antwortet die Anthroposophie auf „das Bedürfnis des Menschen, ein von Bewusstheit gestaltetes Verhältnis zur übersinnlichen, d.h. zur nicht durch die menschlichen Sinne erfahrbaren Welt zu gewinnen.“
Geist, Seele und Leib prägen laut Steiner den Menschen. Der Geist verkehrt in der immateriellen Welt, der Leib ist an die physische Welt gebunden und die Seele dient als Verbindung zwischen den beiden. Im Endeffekt geht es um eine Gemeinschaft aus geistiger und irdischer Welt. Weniger bekannt ist Steiners Einfluss auf die Landwirtschaft. Er interessierte sich nämlich auch für die Naturwissenschaften und begann durch seinen Kontakt zum Landwirt und Anthroposophen Ernst Stegemann, seine Theorien auf die Landwirtschaft anzuwenden. Er glaubte an eine Degeneration der Saatgüter und den Verfall der Kulturpflanzen mit Ablauf des Kaliyuga, des letzten Zeitalters der hinduistischen Kosmologie. Das führte zur Ablehnung von mineralischen Düngern durch seine Anhänger. 1924 im schlesischen Koberwitz nahe Breslau lud der Gutsherr Carl Wilhelm Graf von Keyserlingk Anthroposophen zu einer Tagung ein. Dort präsentierte Steiner mehr oder weniger spontan seine neue Landwirtschaftstheorie. Allen voran propagierte er die Verwendung von „geistigem Mist“, in Kuhhörnern mystisch aufbereiteter Naturdünger. Ein mit Kuhmist gefülltes Kuhhorn wird ein halbes Jahr im Acker vergraben. Dort nimmt es kosmische Kräfte auf und dynamisiert die Erde.
Auch Hornkiesel soll mit Wasser vermischt werden und 60 Minuten lang ununterbrochen gerührt werden (ohne Kontakt zu Plastik selbstverständlich) danach wird das Gemisch auf den Feldern verteilt.
Außerdem empfiehlt Steiner die Anwendung hochtoxischer Substanzen wie Blei in homöopathischer Dosierung.
Insektenbekämpfung soll im Zeichen des Stieres geschehen, gegen Mäuseplagen hilft ein verbranntes Mäusefell, dessen Asche im Zeichen des Skorpions ausgestreut wird. Anders als so mancher Vorschlag Steiners hat es diese Art Schädlingsbekämpfung nicht bis in die Gegenwart geschafft.
Biodynamische Landwirtschaft nannte sich das Ganze. Steiner verstarb 1925 noch vor einem zweiten Treffen der anthroposophischen Landwirte, seine Idee lebte jedoch weiter. 1927 gründeten anthroposophische deutsche Landwirte die Verwertungsgesellschaft Demeter.
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Es mag nicht verwundern, dass manche esoterisch veranlagten Nationalsozialisten auch ein Interesse für Rudolf Steiners landwirtschaftliche Thesen gefunden hatten. Zwar war Anthroposophische Philosophie im Reich offiziell verboten, für viele Anhänger waren die beiden Ideologien damals jedoch vereinbar. Die Blut-und-Boden-Ideologie war ausgezeichnet mit den Konzepten der anthroposophischen Landwirtschaft in Einklang zu bringen, nur ein gesunder Boden könne gesunde Nahrung und dadurch ein gesundes Volk ermöglichen. Allen voran Rudolf Heß, Stellvertreter Hitlers, stellte die biodynamische Landwirtschaft unter seinen Schutz. Bald wurden aus einhundert Bio-Betrieben ganze eintausend. Nachdem Heß in Ungnade gefallen war, wurde der Reichsverband für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise zerschlagen, das auf Autarkie abziehlende Deutsche Reich hielt jedoch an so manchen seiner Methoden fest. Auf SS-Höfen ließ der Erz-Esoteriker Heinrich Himmler biologische Düngemethoden ausprobieren. Auch auf dem Gelände des KZ Dachau ließ er eine große landwirtschaftliche Versuchsfläche, den „Kräutergarten“ anlegen. Himmler hoffte darauf, Deutschland durch die Volksheilkunde unabhängig von ausländischen Medikamenten und Gewürzen zu machen. Auch in Ravensbrück, Auschwitz und Mauthausen richtete die SS landwirtschaftliche Versuchsgüter auf der Basis der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise ein, wo im Kontext der Autarkiebestrebungen des Deutschen Reichs mit Nahrungsersatzstoffen, Vitaminen und heimischen Alternativen für Kautschuk experimentiert wurde. KZ-Häftlinge wurden gezwungen, Zwangsarbeit leisten.
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Auch nach dem Krieg blieb die Bewegung bestehen. Ein Verband wurde neu gegründet, Zeitschriften herausgegeben. Zum Vertrieb von Bio-Produkten wurden die Reformhäuser aufgebaut. Anthroposophie rückte zusehends in den Hintergrund. Bis in die 1980er Jahre lag das Hauptaugenmerk auf dem Erhalt der bäuerlichen Lebensweise. Danach rückten Nachhaltigkeit, Ökologie und Umweltschutz immer mehr in den Vordergrund.
Der Demeterbund existiert noch heute. Ihr Vorstand, Alexander Gerber, distanziert sich heute von der Vergangenheit der Bewegung: „In der Anthroposophie ist das Gegenteil von Rassismus angelegt. Heute distanziert sich die Satzung des Demeter-Verbandes ausdrücklich von Rechtsextremismus und Rassismus. Als weltweite und in unterschiedlichsten Kulturen und Religionen aktive Bewegung treten wir extremistischen und ausschließenden Gedanken oder Praktiken entschieden entgegen – gemäß dem humanistischen Entwicklungsanspruch ihrer Grundlage, der Anthroposophie.“
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Heute wird biodynamische Landwirtschaft auf 230.000 Hektar Land in 65 Ländern betrieben. Auch in Südtirol: So umfasst die Arbeitsgemeinschaft für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise Bozen – Trient 160 Betriebe.
Ich finde eine andere Kritik…
Ich finde eine andere Kritik an Demeter sehr spannend: In gewissen Kreisen wird Demeter unterstellt, eine satanische/okkulte/saturnische Organisation zu sein. Wenn man das Logo spiegelt, lesen sich die drei "e"s wie "666". Auch die Bezüge zu teils okkulten Themen wie Horskopen/Astrologie werden in diesem Kontext bewertet. Das Vergraben und Verbrennen von Tiermaterialien wie Fellen oder Hörnern wäre dieser Logik entsprechend dann eine Art Tieropfer.
Es ist schon kurios, welche Überlegen Demeter bei Kritikern so alles anregt. Ich denke die meisten Käzfer von Demeter-Produkten greifen zu, weil Demeter-zertifizierte Landwirte strengere Auflagen erfüllen müssen als herkömmliche "Bio"-Landwirte. Demeter ist da anscheinend sehr streng.
Demeter kann man zu Recht…
Demeter kann man zu Recht kritisieren. Das gibt aber kein Recht, die Grammatikregeln zu missachten. "Der Demeterbund existiert noch heute. Ihr Vorstand ..." Hier hapert es an der Kongruenz. Damit wird der gesamte Artikel abgewertet.
Steiner wurde von seinen…
Steiner wurde von seinen Zeitgenossen nicht als Philosph akzeptiert (der er gerne gewesen wäre). Auf Grund seiner esoterischen Gedanken-Miscela galt und gilt er bestenfalls als Anthroposoph (was auch immer das sein mag). Nichtsdestotrotz hatte und hat er (zu) viele Anhänger. Dass die Nazis in seiner Kiste an wirren Ideen herumkramten, das kann man ihm nicht zur Last legen. Immer wieder interessant, dass wirre Ideen oft mehr Anhänger finden als wissenschaftlich belegte Daten.
Antwort auf Steiner wurde von seinen… von nobody
"dass wirre Ideen oft mehr…
"dass wirre Ideen oft mehr Anhänger finden als wissenschaftlich belegte Daten."
Willkommen in der Realität der der Gegenwart. Und es braucht auch nicht "nur" wissenschaftliche Daten" sondern auch eine soziale Kompetenz, nur dann wird es etwas...
Es mag an mangelndem…
Es mag an mangelndem Bewusstsein für die Geschichte, aber auch an Defiziten in der Wahrnehmung und Einschätzung extremer Ideologie liegen.
Das „Öko-Dasein“ ist ideologisch ursprünglich ja nicht links. Erst in den 60er und 70er Jahren wurden diese Themen von einer linken, emanzipatorischen Basis aufgenommen.
Bereits über Jahrzehnte vorher war „Öko-Dasein“ bereits tief rechts verankerte Ideologie. Natur als Projektion, als geistiger Bezugspunkt, das Unbehagen an der Moderne, die Zurückweisung des Fortschritts, das Misstrauen gegen die Technik sowie der alte Wunsch der Erziehungsdiktatur.
Nicht wenige Gründungsmitglieder der "Grünen" und von Umweltverbänden waren bekanntlich auch eh. NSDAP-Mitglieder.