Zwei Brüder
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Im sehr warmen Außenbecken des örtlichen Schwimmbades drehe ich sehr langsame Runden, eigentliche sind es keine Runden, sondern bloße Armbewegungen, ich habe viel Zeit mich umzusehen, zu beobachten, Lieblingsbeschäftigung , nicht nur im Außenbecken von Schwimmbädern. Es ist ein sonniger Morgen, die Luft kalt, die Haut prickelt unter den nassen Haaren, wenn sich der Kopf aus dem warmen Wasser heraus wagt. Während einer der unvorsichtigen Kopf- aus dem Wasser-Bewegungen schlägt es Wellen und jemand schwimmt zügig an mir vorbei. Ich will wissen, wer da so kraftvoll im beinah heißen Wasser voran kommt, beobachte den Schwimmer eine Weile und sehe, dass jemand anders dasselbe tut. Ich sehe einen jungen Mann, der am Rand des Beckens lässig im sprudelnden Wasser liegt, ohne den Schwimmer aus den Augen zu lassen. Als der für einen Augenblick im Becken stehen bleibt, bemerke ich, dass es sich um einen jungen Mann mit Down Syndrom handelt. Der junge Mann am Beckenrand empfängt den Schwimmer jedes Mal mit einem liebevollen Lächeln, streicht ihm über den Kopf, ich höre, dass er ihn lobt, auch anfeuert. Ich denke, dass es sich um seinen Betreuer handelt, bin neugierig und bewege mich zu ihm hin und mache ihm ganz einfach ein Kompliment für sein liebevolles Verhalten. Es stellt sich heraus, dass der Schwimmer sein Bruder ist. Nach einem längeren Gespräch beschließen wir, dass ich die beiden Brüder besuchen werde in ihrer kleinen Frühstückspension im Tal.-Das Tal ist lang und eng, nicht mehr abgeschieden wie im vorigen Jahrhundert, aber immer noch leben Menschen hier, die sich abzugrenzen vermögen, die anders sind als die Vielen im Land.
Herzlich werde ich begrüßt von den Brüdern und ihrer Mutter, die eingeweiht worden war in diese Begegnung im Schwimmbad. Wieder spüre ich neben Neugier, Interesse und Bereitschaft sich auszutauschen, eine Wärme zwischen ihnen, die auch auf mich ausstrahlt, mich einnimmt für sie. Die Mutter erzählt von ihren Erfahrungen mit einem Down-Kind, sie ist sehr ehrlich, beschönigt nicht, spricht aber mit großer Freude von diesem Kind, das mittlerweile 30 Jahre alt ist, eingebunden als vollwertiges Mitglied in dieser Familie, auch als Arbeitskraft. Der ältere Bruder hört seine Mutter offensichtlich gern sprechen, unterbricht sie nicht in ihrer Erzählung. Wieder spüre ich diese Bereitschaft in dieser Familie sich einfach sein zu lassen. Der jüngere Bruder bleibt stets eingebunden in das Gespräch, nickend, fragend, Zustimmung erheischend. Ich denke ganz unvermittelt: eine solche Familie, die träumt nicht, die lebt ganz einfach.
Dann beginnt der Ältere zu erzählen. Was er zu erzählen hat, ist nicht neu. Er definiert sich als free spirit, spricht von einer Reise zu sich selbst, von soul travel, von stillness, that speaks. Verlasse die eingefahrenen Wege, geh die Pfade. Es ist das bekannte Programm der alternativen Szene, auch auf's Tal bezogen nicht neu. Aber im Kontext dieser Familie zu meditieren, Yoga Stunden werden ausgerichtet für die Hausgäste, Wanderungen organisiert, der jüngere Bruder ist immer und überall dabei, eine solche Welt scheint mir etwas zu sein, was der Rede wert ist. In einem Tal, das unterwegs ist in die globale Welt , in einer Welt , erschüttert von Hass-Sprech und grausamen Angriffskriegen, eine solche Familie zu finden, wo doch die Familien überall den Bach hinunter gehen reihenweise, scheint mir ein Wunder und eine kleine Geschichte wert. Die Art, wie sie miteinander sprechen, miteinander umgehen, das Seil, an dem sie sich festhalten, ich sehe den tanzenden jüngeren Bruder im Video, wie selbstverständlich und sicher er sich bewegt, ohne anerzogene Hemmung, wie sollten wir nicht glauben können, dass alles noch möglich ist, dass zurückkommt, was wir verlorenen haben: die liebevolle Zuwendung. Ich bin noch einmal, ach was, ich bin noch oft im Außensolebad geschwommen oder eben nicht, nichts erwartend, bloß sehenden Auges trotz Wassersprudel.
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Danke... für diesen…
Danke... für diesen liebevollen Blick!