Herbert Kickl wird nicht „Volkskanzler“
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Mitte Januar hatten sich FPÖ und ÖVP innerhalb weniger Tage auf einen Budgetfahrplan geeinigt und damit ein EU-Defizitverfahren verhindert. Stolz versicherten Herbert Kickl und der neue ÖVP-Chef Christian Stocker vor versammelter Presse, die Stimmung zwischen den beiden Parteien sei sehr gut, die Koalitionsverhandlungen würden ebenso zügig und kooperativ angegangen werden. Keine fünf Wochen später hat Kickl das Handtuch geworfen, sein Traum vom „Volkskanzler“ ist ausgeträumt und zwar für sehr lange Zeit.
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Differenzen zu EU, Russland, Sicherheit und Neutralität
Drei Wochen lang wurden die Koalitionsverhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt, nichts drang nach draußen außer der Betonung, es werde konstruktiv gearbeitet. Zur allgemeinen Überraschung änderte die ÖVP ihre Kommunikation, sprach zuerst von „schwierigen Verhandlungen“, dann von „Verhandlungen in heikler Phase“ und ließ schließlich den Journalisten die Protokolle der Verhandlungen zukommen. Das 230-Seiten-Dokument schlug ein wie eine Bombe. Es zeigte nämlich, dass der mittlerweile offen ausgetragene Streit um Kompetenzen und Ministerien nur der Ausdruck der inhaltlichen Differenzen war, dass zwischen den jeweiligen Positionen der Politik für Österreich Welten liegen. Ein paar Beispiele für FPÖ-Forderungen zur Verwirklichung ihres Zieles einer „Festung Österreich“:
- Bei den Russlandsanktionen wegen des Ukraine-Krieges soll Österreich für sich Ausnahmen verhandeln, also nicht mehr mitmachen
- Keine EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine
- Austritt Österreichs aus der NATO-Partnerschaft für den Frieden, an der 18 Nicht-Nato-Staaten, darunter die Schweiz, teilnehmen
- Austritt Österreichs aus dem erst kürzlich unterzeichneten Luftabwehrsystem Sky Shield (bei dem auch die Schweiz mitmacht)
- Ablehnung des Mercosur-Paktes und des WHO-Pandemievertrages
- Neuverhandlung des EU-Migrationspaktes um ihn strenger zu gestalten
Dabei soll auch die Wahrnehmung des österreichischen Veto-Rechts nicht ausgeschlossen werden
- Reform des Schengen-Abkommens mit der Möglichkeit für jeden Nationalstaat nach Belieben auch unbefristet Grenzkontrollen zu machen
- Keine Möglichkeit mehr, Asylanträge auf europäischem Territorium zu stellen
- Die Urteile des EGMR (Europ.Gerichtshof für Menschenrechte) und des EuGH (Europäischer Gerichtshof) dürfen keinen Vorrang vor nationalem Recht haben
- Beschluss eines österreichischen Notfallgesetzes, das die Abweisung aller Migranten an Österreichs Grenzen (auch durch push-backs) erlauben soll
- Keine weitere Annahme von Asylanträgen
Zur Durchsetzung eben dieser – weit über die traditionelle Neutralität Österreichs hinausgehenden – Maßnahmen, bestand die FPÖ darauf, dass sie das Innenministerium zugeteilt bekomme. Weiters bestand Kickl auf das Wirtschaftsministerium – ein zentrales Lenkungsministerium, denn jedes andere Ministerium kann zwar die schönsten Maßnahmen und Gesetzesvorhaben ausarbeiten, ohne die finanzielle Deckung des Finanzministers bleiben sie Schall und Rauch.
Neben zahlreichen weiteren Maßnahmen – wie etwa einem Verbot, offizielle Gebäude mit der EU-Fahne zu beflaggen – zielten so gut wie alle Vorschläge der FPÖ auf einen de-facto-Öxit ab. Eine vollkommen souveränistisch abgekapselte Insel, mit einer Regierung, die sich von der EU, der NATO und dem Westen abwendet und seine Partner in Viktor Orban, Tschechiens Andrej Babis, den slowakischen Robert Fico und last but not least in Vladimir Putin sieht.
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Die ÖVP-Illusion der „Domestizierung“
Als letzten verzweifelten Versuch das Scheitern der Koalitionsverhandlungen zu verhindern, hat die ÖVP in den letzten beiden Tagen weitgehende Kompromisse angeboten. So etwa ein eigenes Ministerium für Migration in Händen der FPÖ, die Zusage zum Total-Einreise-Stop für Migranten und sogar die Überlassung des Finanzministeriums, das während der letzten 17 Jahre immer in ÖVP-Hand war. Allerdings forderte sie als Gegenleistung von der FPÖ die uneingeschränkte EU-Bindung, die Zusage zu Sky Shield und zur EU-Politik in Sachen Ukraine. Und: das Innenministerium müsse bei der ÖVP bleiben, weil die befreundeten westlichen Geheimdienste schon klar mitgeteilt hatten, dass sie angesichts der russlandfreundlichen Haltung Kickls im Falle eine FPÖ-Innenministers Österreich vom Austausch besonders heikler Informationen aussperren würden. Aber all diese Kompromissangebote – noch dazu öffentlich über die Medien kommuniziert – waren in Wirklichkeit nur mehr für die Tribüne, weil schon fest stand, dass Kickl auf seinen Begehren beharren wird.
Schließlich mussten auch jene einflussreichen Kräfte innerhalb der ÖVP – hauptsächlich die Vertreter der Wirtschaft – einsehen, dass eine „Eingrenzung“ oder gar „Domestizierung“ Kickl illusorisch ist, selbst wenn man ihm den Posten des Kanzlers überlässt.
Herbert Kickl ist eben kein Jörg Haider und auch kein Heinz-Christian Strache. Haider war deutschtümelnd mit mangelnder Abgrenzung vom Nazi-Erbe der Vätergeneration. Er war ebenfalls ausländerfeindlich und national-patriotisch gesinnt und wollte den in Jahrzehnten der Vorherrschaft von SPÖ und ÖVP entstandenen Machtblock „aufmischen“. Strache wiederum war die untalentiertere Variante Haiders, der sich vor allem in der Rolle des Vizekanzlers unter Sebastian Kurz sonnte und damit glücklich und zufrieden war.
Herbert Kickl und seine FPÖ haben einen qualitativen Sprung vollzogen. Kickl will eine rechte Revolution. Seine Vorbilder und ideologische Orientierung findet man beim französischen Vordenker Renaud Camus, der die Begriffe des „Großen Austausches“ und der „Umvolkung“ erfunden hat. Der zeitweilige Trump-Berater Steve Bannon und seine Breitbart-Webseite, der französische Journalist und Politiker Eric Zemmour und insgesamt die Identitären, wie in Italien die Evola-Bewunderer von CasaPound, die sich als Retter der weißen Rasse und Zivilisation weltweit verstehen – das sind die Gesinnungsgenossen eines Herbert Kickl. Also der Kampf gegen die Dekadenz der westlichen Gender- und Woke-Kultur und jeder völkischen Vermischung durch Remigration und Abschottung.
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Wie geht es weiter? Van der Bellen am Wort
Der Bundespräsident hat am Abend in einer kurzen Ansprache sämtlichen Politikern und Politikerinnen des Landes eine Moralpredigt gehalten und sie zur Vernunft und zur „Kompromissbereitschaft im Interesse des Staatsganzen“ aufgerufen. Dann hat er die vier möglichen Lösungsvarianten der derzeitigen Krise aufgelistet.
- Das Parlament beschließt Neuwahlen (ginge sich noch vor dem Sommer aus)
- Die Bildung einer Minderheitsregierung, die genügend Unterstützung im Parlament hat
- Die Bildung einer Expertenregierung, sofern sie genügend Unterstützung im Parlament hat - oder
- Es findet sich doch noch ein Kompromiss der Parteien zu einer Koaltion
In der Tat haben sich in den letzten Tagen die Vertreter der SPÖ, der NEOS und der Grünen öffentlich bereit erklärt, noch einmal an den Verhandlungstisch zurück zu kehren. Jedenfalls will Van der Bellen ab sofort wieder Gespräche mit den Vertretern aller Parteien führen.
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Dieser Knilch ist an uns…
Dieser Knilch ist an uns vorüber gegangen. Heiliger Strohkopf!
Im Augenblick ist die…
Im Augenblick ist die Katastrophe Kickl abgewendet. Jetzt müssen aber ÖVP, SPÖ und Neos, eventuell auch mit den Grünen, Verantwortung zeigen und sich zu dem von Van der Bellen beschworenen Kompromiss zusammenraufen. Wenn es zu Neuwahlen kommt, auf die Kickl wohl hingearbeitet hat, wird die Situation nur noch schlimmer.
https://www.tageszeitung.it…
https://www.tageszeitung.it/2025/01/08/kickl-ist-unsere-grosse-chance/
Die STF hat sich über Kickl gefreut. Wenn man seine Ideen zum Regierungsprogramm liest, fragt man sich schon, wo diese Partei ideologisch steht.
Wohl das Statement von Kickl…
Wohl das Statement von Kickl im Fernsehen noch nicht gehört.
Die ÖVP kam mit dem Vorschlag alle Ministerien zu bekommen und dafür dürfe Kick Kanzler werden, das sei nämlich bis jetzt immer so gewesen.
Dass die FPÖ das Finanzministerium ( als Wahlerste) nach 40 Jahren von der ÖVP geführt, selbst behalten wollte ist nachvollziehbar nach dem enormen Defizit das angehäuft wurde, dass sogar ein EU- Defizitverfahren im Raum stand.
Und dass das Innenministerium den Kernbereich der FPÖ Wähler (Sicherheit und Migration) abdeckt ist auch nachvollziehbar.
Alles andere hätte eh die ÖVP bekommen. Dass diese (als Wahlzweite) aber genau auf den Kernbereichen der FPÖ bestand, war ein Kalkül.
Sie glaubten nämlich dass die FPÖ nachgeben würde, wenn Kickl Kanzler werden dürfe, so wie sie es selbst auch immer gehandhabt hatten.
Aber da haben sie mit dem Falschen gerechnet. Kickl ist für diesen Machtpoker nicht zu haben, wenn freiheitliche Kernforderungen aufgegeben werden müssen, will er nicht Kanzler werden, nur um des Amtes willen.
Ich sage, Respekt !!
Die Wähler werden es honorieren.
Kickl hat angeblich noch…
Kickl hat angeblich noch nicht verstanden, dass man nicht 100% verlangen kann wenn man nur 30%-Anrecht hat. Also 70% dagegen sind. Zudem sind gewisse Forderungen tatsächlich irrsinnig oder wahnsinnig.
Aber vielleicht wollte er schlussendlich auch gar nicht? Er weiß jetzt wohl selbst, dass im Parlament mit 30% keine Mehrheiten zu holen sind.
... Wobei ich persönlich mir durchaus gerne angeschaut hätte wie Kickl das Vaterland ins Abseits oder in die Isolation manövriert hätte.
Kein Geld für die Damen +…
Kein Geld für die Damen + Herren Abgeordneten, solange nicht regiert wird ...
... dann wäre die Regierungsbildung spätestens 48 Stunden nach den Wahlen, in trockenen Tüchern.
Wobei allerdings nicht sicher ist, dass -a l l e- dicht sind.
Tu Felix Austria
Tu Felix Austria