Die Hausarzt-Reform
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Am 08./09.02.25 hat die Tageszeitung über die geplante Gesundheitsreform der Regierung berichtet. Dabei sollen die Hausärzte in Zukunft in sog. Gemeinschaftshäusern arbeiten und auch nicht mehr, wie bisher, Freiberufler mit Konvention sein, sondern direkt beim Sanitätsbetrieb angestellt werden. Die Präsidentin der Ärztekammer, Astrid Marsoner, hat dazu sehr dezidiert Stellung bezogen: diese Reform unterminiere das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, ziehe eine „Aushöhlung des Hausarztberufes“ nach sich und sei letztendlich der „Todesstoß für die Hausarztmedizin“.
Wir können froh sein über diese klaren Aussagen und die Betonung der Bedeutung der Arzt-Patient Beziehung als Grundlage für das, was man gemeinhin „heilen“ nennt. „The sanctity oft the doctor-patient relationship“ kann man in einem jüngsten Bericht für den US-Kongress lesen. Man traut sich ja kaum, solche Worte in den Mund zu nehmen … „Heiligkeit, Unantastbarkeit“ – (in einer Zeit, wo das Heilige in der Welt keinen Platz mehr hat und ‚auf den verlassenen Altären die Dämonen hausen‘). Und doch sind sie notwendig und zutreffend, weil diese Beziehung noch nie so bedroht war, wie heute. Schritt für Schritt wurde das Gesundheitswesen in den vergangenen Jahrzehnten vom immer mächtiger werdenden digitalen, bio-technologischen Pharmaimperium global unterwandert und in den vergangenen Jahren für alle sichtbar definitiv übernommen. Von der Forschung, über die Lehre, in die anzuschaffenden Apparaturen und Medikamente, in die Organisationsformen, in die ärztlichen und pflegerischen Karrieren und in die Gesundheitskommunikation der Medien hinein, niemand kommt mehr an den Interessen und unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten dieses Komplexes vorbei. Offene Abweichungen vom Glaubensbekenntnis werden von subtil bis brutal sanktioniert. In den 90er Jahren gab es zwischen den Gesundheitsberufen so etwas wie eine Übereinkunft zum Menschenbild: der Mensch ist ein bio-psycho-soziales Wesen und Heilung muss als ein ganzheitlicher Prozess verstanden werden. Davon ist kaum mehr etwas übrig. Heute gilt als fortschrittlichste vorderste Front: der Mensch ist eine Maschine, im Grunde eigentlich nur ein Algorithmus, der als solcher beliebig steuerbar ist.
Der hippokratische Eid wurde durch das sog. Genfer Ärztegelöbnis abgelöst. Dort stehen immer noch Sätze wie: Ich gelobe feierlich „mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen“. „Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren.“ Ich werde meinen Beruf … mit Würde und im Einklang mit guter medizinischer Praxis ausüben.“ „Ich werde die Ehre und die edlen Traditionen des ärztlichen Berufes fördern.“ „Ich werde, selbst unter Bedrohung, mein medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten anwenden.“ Nach den Erniedrigungen, denen der Berufsstand in den vergangenen 5 Jahren von Seiten des genannten Imperiums ausgesetzt war, klingen diese Sätze ziemlich hart.
Noch einmal zur geplanten Reform. Unter den gegebenen Bedingungen scheinen die Hausärzte dort draußen bei den Menschen so etwas wie die letzte Bastion im öffentlichen Gesundheitswesen zu sein, in der der Geist der zitierten Sätze noch am ehesten weiterleben kann. Dieser Geist stört in der neuen Heilslehre. Deshalb muss er unter Kontrolle gebracht werden. Also hinein mit ihnen in die Gemeinschaftshäuser und in ein Angestelltenverhältnis. Dann werden sie schon sehen, „wo der Bartl den Most holt“. Oder um es drastisch-elementar mit der Romansprache von J.R.R. Tolkien zu sagen: „Ein Ring sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden."
Hoffen wir, dass auch dieses…
Hoffen wir, dass auch dieses Gesetz all' italiana umgesetzt wird (und nicht nur wieder in Südtirol, wie andere unsinnige Regeln auch).
Antwort auf Hoffen wir, dass auch dieses… von nobody
Das Arbeiten als Kassen…
Das Arbeiten als Kassen-Allgemeinmediziner würde durch diese Reform deutlich unattraktiver. Als privater Hausarzt kann man normalerweise auch Krankmeldungen machen und die meisten Medikamente sind relativ günstig, d.h. man kommt mit Privatrezepten auch sehr weit. Labordiagnostik kann man teilweise günstiger als Ticketgebühr nach Deutschland oder Österreich schicken, d.h. man kann privat zu fairen Preisen schon ein tolles Angebot für Patienten zusammenstellen. Wenn man etwas kann, ist man heute nicht mehr auf eine Kassenstelle angewiesen.
Ich denke man muss hier…
Ich denke man muss hier unterscheiden. Die Beobachtungen über die Art und Weise wie die moderne Pharmaindustrie in Kombination mit dem Leistungsverrechnungssystem der öffentlichen Sozialversicherungen die Medizin verändert hat, manchen natürlich nachdenklich.
Ärztliche Tätigkeit umfasst natürlich mehr als das Abarbeiten von in Leitlinien vorgegebenen Algorithmen. Soft Skills wie einfaches Zuhören, Spenden von Trost und Hoffnung sind für viele Patienten weit wichtiger als die Frage, ob sie nun das beste oder nur das zweitbeste Medikament gegen ein Leiden bekommen.
Bei allen Schattenseiten hat die Pharmaindustrie aber auch tolle Segnungen gebracht, daher würde ich das Bild nicht rein negativ zeichnen, sondern eher darauf hinweisen, dass jede Medaille zwei Seiten hat.
Der Kritik an dieser angeblich geplanten Reform kann ich aber voll zustimmen. Mein Eindruck ist, dass diese Reform auf einer Milchmädchenrechnung basiert.
Die Macher dieser Reform gehen davon aus, dass es bei den konventionierten Hausärzten noch Stunden zu holen gibt: Auf dem Papier ist es ja so, dass konventionierte Hausärzte je nach Patientenanzahl gewisse Öffnungszeiten garantieren müssen. Mein Vater hatte z.B. über 2000 Patienten und 28,5h Ordinationszeiten, u.a. jeden Tag von 15-17 Uhr.
Gearbeitet hat er aber meist bis 23 Uhr, weil er daheim immer Befunde durchgegangen und in die Software eingepflegt hat, Buchhaltung etc. 60 Stunden-Wochen waren da die Normalität.
Eine Freundin von mir ist vor etwa einem Jahr aus Österreich nach Südtirol gewechselt und sie hatte anfangs weniger Patienten, sodass sie 10 Stunden Ordinationszeit hatte. Da sie nicht eingearbeitet ist, braucht sie natürlich etwas länger. Sie sagt, auf 10 Stunden Öffnungszeit kommen nochmals 25-30 Stunden Dokumentation, Recherche, Organisation, Rücksprache mit Kollegen über komplizierte Fälle etc.
Die Reformer glauben aber, es sei mit den Öffnungszeiten getan und haben deswegen den durchaus nachvollziehbaren Gedanken, sie könnten durch eine Anstellung der Ärzte breitere Öffnungszeiten ermöglichen.
Das Problem dabei ist aber, dass die Arbeit, die außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten passiert ja nicht aus Spaß gemacht wird und daher auch nicht verschwinden wird, wenn man sie nicht mehr mit einplant. Wenn man den Hausärzten diese Zeit wegnimmt, schadet das der Qualität.
Abgesehen davon ist aus meiner Sicht auch schon eine Anstellung von Hausärzten an sich unabhängig von der Stundeneinteilung mit einer Minderung der Qualität verbunden: Als freiberuflicher Arzt sind Patienten meine Kunden/Klienten. Wenn ich einen festen Patienten/Klientenstamm mit gepflegten Karteikarten habe, kann ich gut und effizient arbeiten. Gut betreute Patienten kommen seltener ins Krankenhaus und brauchen seltener Medikamentenumstellungen. Es zahlt sich als selbstständiger Arzt finanziell aus, gut zu sein.
Wenn hingegen ein angestellter Arzt seinen ökonomischen Interessen folgen würde, würde das bedeuten, dass er in seiner Schicht möglichst wenig macht, was auch geht, weil ja dann der angestellte Allgemeinmediziner aus der nächsten Schicht da ist. Das Angestelltsein verleitet auch dazu, gewisse Entscheidungen zu scheuen und auf den nächsten Arzt zu schieben, zu dem der aktuelle Patient kommt. Genau so passiert es, dass Patienten mit Osteoporose oder Bluthochdruck jahrelang keine adäquate Therapie erhalten.
Ich fühle mich da unweigerlich an meine erste Famulatur im Medizinstudium erinnert. In der ersten Hilfe warteten viele Patienten und der diensthabende Arzt saß gemütlich im Sozialraum, aß ein Stück Kuchen, trank einen Kaffee und las den Sportteil der Dolomiten. Die sogenannte "innere Kündigung" ist ein zunehmendes Phänomen im Gesundheitswesen.
Ich sehe in der Anstellung eigentlich nur Nachteile für die Patienten.
Wenn es - wovon ich ausgehe - hauptsächlich darum geht, Personal für die Gemeinschaftshäuser zu finden, sollte man vielleicht eher den marktwirtschaftlichen Weg gehen und die Rahmenbedingungen für in Gemeinschaftshäusern tätige Ärzte so gestalten, dass sie wirklich interessant sind. Aktuell ist es ja nur uninteressant, da man dort mehr Nacht- und Wochenendarbeit hat, ohne dass diese entsprechend vergütet wird. Ich hatte ja schon vor Monaten in einem Kommentar dazu geäußert (https://salto.bz/de/comment/151614). Man sollte sich vielleicht eher an Österreich und Schweiz orientieren, wo derartige Zentren begehrte Arbeitsplätze sind.
Ich weiss nur, dass die…
Ich weiss nur, dass die Hausärzte mittlerweile Bürokraten geworden sind. Tendenz steigend! Und das nimmt logischerweise vieeeeeeel Zeit (die man eigentlich den Patienten widmen könnte). Hier müsste man dringen reformieren!
Christian I volle…
Christian I volle einverstanden