„Nicht besonders weitreichend“

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Der vorliegende Reformvorschlag erweist sich als nicht besonders weitreichend. Es wird hier kein neues (kein „drittes“) Autonomiestatut geschaffen, sondern es wird auf dieser Grundlage nur zu punktuellen, weitgehend unzusammenhängenden, Änderungen kommen.
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Rechtswissenschaftler Peter Hilpold: „Offenbar wurden in den Verhandlungen im letzten Jahr zentrale Punkte gestrichen oder bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt." Foto: Universität Innsbruck
Auffallend ist die starke Minderung an Substanz im Vergleich zum Entwurf vom März 2024: Offenbar wurden in den Verhandlungen im letzten Jahr zentrale Punkte gestrichen oder bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt. Das „nationale Interesse“ bleibt als Schranke der autonomen Zuständigkeiten bestehen und kann in Zukunft an die Stelle der Schranke der wirtschaftlich-sozialen Reformen treten.
Die „Einvernehmensklausel“ wurde stark abgeschwächt und ist in der vorliegenden Form weitgehend wertlos. Sie schafft sogar die Gefahr, dass dadurch die völkerrechtliche Absicherung in den Hintergrund gedrängt und entwertet wird, da nun ein – prioritär zu beschreitender, wenngleich wenig hilfreicher – nationaler Weg zur Garantie der Absicherung geschaffen wurde.
Zur PersonPeter Hilpold ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Europa Ethnica“, Mitglied des Editorial Boards der „Austrian Review of International and European Law“ sowie des „Hague Yearbook of International Law“, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Zeitschrift „Diritti Umani e Diritto Internazionale“, ständiger Mitarbeiter des „Archivs des Völkerrechts“. Hilppold ist Autor von über 250 Publikationen und Träger zahlreicher wissenschaftlicher Auszeichnungen.
Geben und Nehmen?In der Öffentlichkeit wurde der Verhandlungsprozess vielfach als ein „do ut des“, als ein Geben und ein Nehmen, dargestellt, wobei insbesondere auch immer wieder die volkstumspolitische Bedeutung dieser Reform hervorgehoben worden ist. Das Verhandlungsergebnis zeigt wenig davon. Aus volkstumspolitischer Perspektive sind für die italienische Volksgruppe einige Zugeständnisse im Text vorzufinden, die allerdings ebenfalls nicht besonders weitreichend sind.
Im Mittelpunkt steht sicherlich die Reduzierung des Ansässigkeitserfordernisses für die Ausübung des aktiven Wahlrechts in Art. 25 ASt. (Autonomiestatut. Anm. d. Red.) International liegt dieses Erfordernis auch darüber, aber auch eine Herabsetzung kann gut argumentiert werden, auch angesichts einer wachsenden Mobilität und der Notwendigkeit einer rascheren Integration von Zuwanderern aus dem restlichen Staatsgebiet sowie von Migranten (mit italienischer Staatsbürgerschaft). Die Kann-Bestimmungen in Art. 50 (Landesregierung) und Art. 61 (Gemeinde) zur verstärkten Einbindung von Vertretern der italienischen Volksgruppe ist sinnvoll, wird aber wohl kaum größere Relevanz entfalten.
„Die regelmäßig betonten 'Autonomiegewinne' im Bereich Umweltschutz und Beschaffungswesen sind kaum von substanzieller Bedeutung.“
Ob die verbliebenen Neuerungen als relevant, als positiv oder als negativ einzustufen sind, hängt vom jeweiligen Interessensstandpunkt ab. Die regelmäßig betonten „Autonomiegewinne“ im Bereich Umweltschutz und Beschaffungswesen sind kaum von substanzieller Bedeutung, da diese Materien weitgehend EU-rechtlich vordeterminiert sind. Allfällige lokale Ergänzungen, soweit überhaupt zulässig, können zusätzliche Komplexität und zusätzlichen Beratungsbedarf schaffen.
„Hierbei handelt es sich um sehr korruptionsanfällige Bereiche.“
Überhaupt stellt sich bei allen „Kompetenzerweiterungen“, den tatsächlichen und bloß formalen, die Frage, in wessen Interesse diese Reformen erfolgen sollen. Erste Kommentatoren haben in Bezug auf die (wenigen) neuen Kompetenzen von „großer Verantwortung“ für die lokale Politik aufgrund der Präsenz von Lobby-Interessen gesprochen. Dem ist zuzustimmen und es ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei z.T. um sehr korruptionsanfällige Bereiche handelt, was erneut die wiederholt vorgetragene Forderung in Erinnerung ruft, in Südtirol eine eigene Anti-Korruptionsbehörde zu schaffen.
„Ist eine primäre Kompetenz im Umweltschutz dem Umweltschutzanliegen förderlich? Das ist möglich, aber nicht notwendigerweise der Fall.“
Was die einzelnen (wie erwähnt, nicht sehr zahlreichen) Kompetenzzugewinne anbelangt, muss man sich auch die Frage stellen, welche Interessen sich auf lokaler Ebene eher durchsetzen als auf nationaler Ebene. Ist eine primäre Kompetenz im Umweltschutz dem Umweltschutzanliegen förderlich? Das ist möglich, aber nicht notwendigerweise der Fall (das könnten auch gegenläufige Wirtschaftsinteressen sein).
„Gerade weil der vorliegende Entwurf so wenig an Substanz bietet, ist es schwer zu sagen, ob er nun positiv oder negativ zu bewerten ist.“
Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich, wie wichtig es gewesen wäre, dieses Reformvorhaben – das Südtirol insgesamt angeht – rechtzeitig, offen und transparent zu diskutieren. Wenn nun behauptet wird, dieser Entwurf sei eben Ausdruck einer „Politik der kleinen Schritte“, so muss man sich fragen: „Kleine Schritte wohin?“ Wo ist der Plan für die weitere Entwicklung dieser Autonomie? Die zentralen autonomiepolitischen Herausforderungen wurden samt und sonders nicht angegangen, so der Bereich Schule (Behebung des Kompetenzwirrwarrs Land/Staat), Ausbau der Finanzautonomie und Förderung der grenzüberschreitenden Kooperation. Auch eine Stärkung der direkten Demokratie wäre dringend erforderlich, gerade auch um Entwicklungen wie die vorliegende rechtzeitig zu korrigieren.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Gerade weil der vorliegende Entwurf so wenig an Substanz bietet, ist es schwer zu sagen, ob er nun positiv oder negativ zu bewerten ist. Tatsache ist allerdings, dass damit das „nationale Interesse“ als Schranke der autonomen Befugnisse einzementiert wird und dass hier eine Chance vergeben wurde, die wirklich relevanten Herausforderungen für die Südtirol Autonomie, so wie sie auch im „Südtirol-Konvent“ zum Ausdruck gebracht worden sind, wirksam anzugehen.
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Wie können zwei Professoren…
Wie können zwei Professoren zu zwei so unterschiedlichen Bewertungen kommen?
Oder bewahrheitet sich wiederum die These, dass ein Gutachten jenes Ergebnis liefert, das der Auftraggeber des Gutachtens sich erwartet bzw. voraussetzt?
Danke Herr Professor…
Danke Herr Professor. Endlich eine objektive Stellungnahme.
Das wird den überheblichen…
Das wird den überheblichen Svp-Vertretern (Zitat: ".... alle Anderen sind nur Schreier...") nicht gefallen.
Also ist der große Wurf im…
Also ist der große Wurf im günstigsten Fall einfach egal, bei Gegenwind ein Schuss ins Knie. Dann können wir vielleicht endlich wieder zu Wichtigerem übergehen. Danke.
Was zu befürchten war, ist…
Was zu befürchten war, ist damit bestätigt. Die üblichen Lobbys haben das bekommen, was sie wollten: freie Hand, den Umweltschutz ihrer Gier zu opfern, das „Großraubwild“ abzuknallen und sonst noch ein paar Zuckerlen zur Beruhigung des Wahlvolkes für den 4. Mai. Und schon ist der Weg bereitet für die Bozner SVP und ihre von langer Hand vorbereitete Hochzeit mit den Rechten.
Antwort auf Was zu befürchten war, ist… von evikeifl
Ja. Und ich hatte gehofft es…
Ja.
Und ich hatte gehofft es geht/ ging - mit dem Blick in die (eigene) Geschichte - autoritäre "Tendenzen" frühzeitig zu erkennen und uns gegen den Shutdown der Demokratie zur Wehr zu setzen...
"Ob die verbliebenen…
"Ob die verbliebenen Neuerungen als relevant, als positiv oder als negativ einzustufen sind, hängt vom jeweiligen Interessensstandpunkt ab."
Kurzum, viel Rauch um Nichts. Beliebigkeit und Willkür sind Tür und Tor geöffnet.
es ist darauf hinzuweisen,…
es ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei z.T. um sehr korruptionsanfällige Bereiche handelt, was erneut die wiederholt vorgetragene Forderung in Erinnerung ruft, in Südtirol eine eigene Anti-Korruptionsbehörde zu schaffen.
Wer darf denn entscheiden wann und wie diese Behörde entstehen soll? Danke