Kultur | Salto Afternoon

Entstaubte Rückkehr

„Comeback. Die Zweite“ ist ein Designprojekt von Studenten, das Aufmerksamkeit verdient. Evelin Moschén zeigt mir Tirolensien die nach 200 Jahren „neu“ sein dürfen.
Comeback. Die Zweite
Foto: Privat
Schade also, dass die offizielle Präsentation am vergangenen Donnerstag kurzfristig und krankheitsbedingt ausfallen musste. Daher an dieser Stelle ein - nicht deckender - Überblick zu einigen der Arbeiten.
Aus Platzgründen auf das Bozner Waltherhaus (in den „Bücherwelten“ des Südtiroler Kulturinstituts) und die Landesbibliothek Friedrich Teßmann (nach der Rezeption) aufgeteilt, sind Abschlussarbeiten von Studierenden der Design Fakultät einen Blick wert. Wie der Titel bereits verrät, ist es nach 2022 das zweite Mal, dass sich Student:innen unter Professor Antonio Benincasa mit „alten“ (damit auch gemeinfreien) Texten aus dem digitalisierten Bestand der Landesbibliothek befassen, genauer mit Tirolensien.
Der Erstkontakt gestaltet sich an beiden Standorten, durch große Neonschriften, retro-futuristisch: Einst wegweisende Texte stellen sich zu einem Teil als überholt heraus, genau wie die Visionen einer Zukunft mit Städten voller Neonschriften. Der archivische, wie gesagt teils rückständige Charakter bedingt allerdings eine kritische Lektüre, die in Design übersetzt wurde.
 
 
Den wechselseitigen Gewinn des Projekts sieht auch die im Bestandsaufbau der Teßmann aktive Evelin Moschén: „Das ist eine Win-Win-Situation: Mit solchen Projekten wollen wir auch den Studierenden, die nach Südtirol kommen und in Bozen leben, Material in die Hand geben, damit sie sich mit dem Ort, an dem sie sich aufhalten, beschäftigen; manche kurz, manche länger und manche kommen auch wieder.“ Gewisse Themenschwerpunkte kristallisieren sich dabei heraus: Da wie dort gibt es an beiden Standorten die Auseinandersetzung mit Erziehung, Tourismus und gerade Alpinismus, es gibt den Buchschuber mit Kletterseil in mehrfacher Ausführung. Besonders beachtenswert etwa die Auseinandersetzung Ingrid Meszaros mit „Begleitender Text zu dem Bilde Gletscher Phänomene“ (ca. 1885), der im Waltherhaus eine Art restauratorischen Ansatz verfolgt: Es handelt sich um einen Begleittext zu einer als Aquarell gestalteten Karte - 2,5 mal 1,6 Meter groß - welche von Friedrich Simony auf den Weltausstellungen in London (1862) und Wien (1873) präsentiert und in Folge prämiert wurde. Das Bild, welches als eine wichtige Grundlage der Erforschung der Österreichischen Alpen galt, ist verschollen, Mezaro überlagert Text und Bildebene, welche, wenn man die losen Seiten zusammengefügt, ein Faksimile der Karte ergeben. Das Projekt ist im Titelbild zu sehen.
Vielfach suchten die Studenten auch die kritische Konfrontation mit Texten, welche aus heutiger Sicht nicht mehr tragbar sind, besonders im Bereich Erziehung. In der Teßmann mit, hier nur schon mal der Titel:
 
Unterricht für einen Gey-Schulmeister des Tyrols was und wie zu lehren sei : die Wohlfahrt des Leibs und der Seel bey einer Gemeinde zu befördern, klar verfasset, leicht üblich, und sonderbar auf Schulen, wo Knaben und Mägdlein, sowohl Buchstabierer, als Leser in einer Stube sich befinden, nach Form Innsbruckerischer Normalschul und nach Fähigkeit der auf dem Gey Lehren- als Lernenden eingerichtet, auch den Aelteren zur guten Kinderzucht dienlich
 
Gedruckt 1776 wird es 2023 im Bündel mit modernem Schulmaterial und (Züchtigungs-)Rute präsentiert, statt dem langen Titel im Buchinnern des Originals ein gekürzter außen: „Unterricht für einen Gey-Schulmeister des Tyrols was und wie zu lehren sei.“ (ironisiert durch Vittoria Battaiola). Wenngleich es mehr Beispiele für „Form over Function“ als umgekehrt gibt (auch weil die Texte über historische Zwecke hinaus ihre Anwendbarkeit eingebüßt haben), finden sich durchaus auch „praktische“ Lösungen, etwa für ein „Innsbrucker Kochbuch“ von 1861, ebenfalls in der Teßmann: Im Sockel hat es noch annähernd eine Buchform, die einzelnen Rezepte lassen sich jedoch als Karten einzeln entnehmen der Titel der Vorlage „Neuestes und vollständigstes Innsbrucker Kochbuch : nach bester und richtigster Erfahrung verfaßt und zusammengestellt“, wird, aus nachvollziehbaren Gründen um all seine Superlative gekürzt. Es wäre auch irreführend von der Studentin Katharina Schwab nach über 150 Jahren noch vom „neuesten“ Buch zu sprechen.
 
 
Überhaupt gibt es noch mehr „Bücher“, welche den Formfaktor Buch nicht nur erweitern, sondern hinter sich lassen, etwa, um noch einen Moment in der Teßmann zu bleiben „Der Winter Südtirols : eine klimatologische und physiologische Studie“ (Max Kuntze, 1912), neu gedacht als aufklappbare Kühltüte von Rachele Cimarosto. Im Waltherhaus begegnet man dem illustrierten Reiseführer von Josef Anton von Rohracher von 1912 als Metronetz, die Tagesausflüge im Zweispänner werden in Form und Farbensprache des Tourismus von heute übertragen, ein Ratgeber von 1831 zum richtigen Verhalten während eine Cholera-Epidemie zur Medikamentenschachtel samt Beipackzettel und einem bebilderten Kinderbuch zum „Großen Krieg“ aus der Zwischenkriegszeit als Memory-Spiel zum Sprachenlernen, dessen Deckel als Papphut dienen könnte. In solchen Objekten erklärt sich ein weiterer Reiz der beiden Ausstellungen: Digitalisierte Texte, welche wenig Wahrnehmung finden werden hier haptisch, mit gebotener Vorsicht, begreifbar. Auch das ein „Comeback“, in die Hände der Besucher.
 
 
Typografie, neben „Wahrnehmungsprozessen der visuellen Kommunikation“ und „Visueller Kontextualisierung“ eines der drei Hauptforschungsfelder von Professor Benincasa spielt ebenso eine Rolle, auch wenn sich mehr in anderer Hinsicht getan hat. „Das Text-Bild Verhältnis ist ein komplett anderes als bei den ursprünglichen Texten, die ja kaum bebildert sind. Es geht auch darum sich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen, damit wie ist damals eine Information verarbeitet worden.“ , so Moschén. Das Astronomie Buch Max Valliers „Der Sternengucker“ (1922, 3. Auflage) kommt durch Ines Brandt im Gewand einer Heftbindung daher, die Ästhetik erinnert an alte Science Fiction Bücher. Man muss die Texte also nicht unbedingt ins „Heute“ holen, um sie uns näher zu bringen. Ein letztes, künstlerisch besonders wertvolles Studentenwerk ist weniger mit einer speziellen Haptik oder zweckbezogen Form verbunden, denn als „schönes“ Fotobuch aufgearbeitet. Die „Abhandlung von den Krankheiten des schönen Geschlechts“ des Gynäkologen Bartholomäus von Battisti Santo Giorgio aus dem späten 18. Jahrhundert ist von Antonia Cordula Weckmüller mit stilvollen Makroaufnahmen von Körperdetails konterkariert worden. In den Worten der Studentin zeigt sich  was an dieser Ausstellung in zwei Teilen besonders wertvoll ist: „Ich glaube die Sichtweise hat sich seit dem zum Glück verändert, und trotzdem wollte ich die Wortwahl nicht verändern um zu zeigen, wie sehr sich das Frauenbild schon verändert hat und wie sehr es sich noch verändern muss.“ Die Schau wird zur Bestandsaufnahme im vielfachen Sinne.