Umwelt | Salto Paper
Ein Vehikel für Transformation
Foto: Marcel Köhler / Pexels
Salto: Herr Kofler, Sie führen mit Helios seit Jahren erfolgreiche Projekte für nachhaltige Mobilität durch – mit Fokus auf das Rad, das Sie zum „coolsten Ding auf Erden machen wollen“. Warum?
Patrick Kofler: Es gibt ein famoses Zitat, das wir uns immer wieder vor Augen halten: Sage mir ein Problem, und ich sage dir, wie das Rad zur Lösung beitragen kann. Vor allem im städtischen Bereich kann das Fahrrad viel Stress wegnehmen und die Lebensqualität sehr stark verbessern. Doch auch über Mobilitäts-Probleme hinaus ist das Fahrrad ein vielfältiges Mittel, um eine soziale Transformation zu schaffen. Und die brauchen wir, denn unsere Städte ersticken im Verkehr, das ganze Land erstickt im Transitverkehr, aber auch im hausgemachten. Irgendetwas muss passieren, das fühlen eigentlich alle.
Gerade die Landeshauptstadt präsentiert sich gerne als Fahrradstadt. Ist Bozen tatsächlich so gut wie sein Ruf?
Bozen ist auf sehr gutem Niveau, auch Brixen und Meran schlagen sich recht gut. In Bozen ist vor allem in den Nullerjahren ein großer Sprung gelungen. Damals konnte der Anteil des Radverkehr am Gesamtverkehr innerhalb weniger Jahre von 14 auf 28 Prozent verdoppelt werden. Doch jetzt geht es nicht mehr so recht weiter. Es wurde und wird zwar recht viel in Fahrradinfrastruktur wie Radwege und Brücken investiert, doch für eine weitere substantielle Steigerung bräuchte es ein anderes System.
In Bozen ist vor allem in den Nullerjahren ein großer Sprung gelungen.
Welches?
Bozen hätte, wie übrigens die meisten Südtiroler Städte, das Potenzial, einen 40- bis 50-prozentigen Radverkehrsanteil zu haben. Das Problem ist jedoch, dass es nicht genügend Platz gibt, um entsprechend viele Radwege zu bauen. Zumindest nicht, wenn man am System vom getrennten Verkehr festhält. Deshalb sollten wir zumindest für die Kategorie von routinierten Radfahrer*innen die Straßen öffnen. Es gibt Menschen, die getrennte und geschützte Radwege brauchen – Familien mit Kindern, ältere und andere Menschen, die nicht so sicher auf dem Rad sind. Doch viele andere, auf Italienisch nennen wir sie die utenti lepre, die schnell wie Hasen unterwegs sind, bräuchten diesen Schutz nicht.
Beim Bozner Verkehrsaufkommen kann die Straße aber auch für „Hasen" ein gefährliches Unterfangen sein!
Nicht, wenn die Prinzipien der Città 30 implementiert würden. Das würde nicht nur bedeuten, die Geschwindigkeit zu drosseln, sondern die Straßen und unsere Städte so umzubauen und zu gestalten, dass Fußgänger und Radfahrerinnen Priorität haben. Autofahren wäre trotzdem möglich, aber eben mit mehr Rücksicht. Und auch wer Rad fährt, müsste mehr aufpassen.
Es gibt wahrscheinlich viele Menschen, die nun sagen: Ich fahre lieber sicher auf einem Radweg.
Ja, doch auch getrennte Radwege haben ein Problem: Sie hören irgendwo auf, meistens bei einer Kreuzung. Und der Mensch, der sich zuerst sicher gefühlt hat, wird innerhalb einer Zehntelsekunde auf eine unsichere Kreuzung geworfen. Unsere Vision geht deshalb in die Richtung, in unseren Städten ein System aufzubauen, in dem es weniger Regeln gibt und man mehr aufeinander schaut. In dem sich Radfahrer und Autofahrerinnen, und in manchen Bereichen auch die Fußgänger*innen, den Straßenraum teilen
.
Wir leben immer noch in Städten, die für Autos geplant wurden. Wie sollten wir sie also umplanen?
Wenn wir den Menschen wieder ins Zentrum setzen wollen, müssen wir den öffentlichen Raum so gestalten, dass er schön und interessant wird, wenn ich zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs bin. Dafür dürften Autos nichts mehr so schnell und in einigen Teilen der Stadt vielleicht auch gar nicht mehr fahren. Wir werden auch über Parkplätze in den Städten nachdenken müssen, die viel öffentlichen Raum besetzen. Und nachdem dieser Raum ein knappes Gut ist, sollten wir gemeinsam überlegen, wie er am sinnvollsten genutzt werden kann. Wir dürfen auch nie vergessen, dass Mobilitätsplanung bedeutet, das Verhalten von Menschen zu planen. Und hier greift die Ingenieursdenke, die in der Mobilitätsplanung dominiert, einfach zu kurz. Neben technischen Aspekten und Sichtweisen bräuchte es hier viel mehr Psychologie, Soziologie, auch Marketing.
Wir müssen positive Erfahrungen, Bilder und Geschichten bringen, nicht Drohszenarien.
Bei Helios bringen sie solche Ansätze ein, wenn Sie Mobilitätskonzepte für Städte in Deutschland, Italien oder Südtirol entwickeln. Was braucht es noch, damit ein Projekt aufgeht und von der Bevölkerung angenommen wird?
Es braucht drei Voraussetzungen, damit schöne Dinge entstehen können: die Politik muss eine Veränderung wollen; ihre Verwaltung, die technische Ebene, muss hinter dem Projekt stehen; und dann braucht es klarerweise die richtigen Auftragnehmer*innen. Überall, wo unsere Projekte erfolgreich waren – in München, in Baden-Württemberg, auch in Südtiroler Städten wie nun Brixen – gab es diese Konfiguration. Passt nur eine Ebene nicht, funktioniert es nicht.
Und was ist bei den Kampagnen selbst wichtig?
Positive Impulse! Wir müssen positive Erfahrungen, Bilder und Geschichten bringen, nicht Drohszenarien. Das sehen wir beispielsweise in Brixen und anderen Südtiroler Dörfern mit dem Projekt „E-Bike to Work“. Unser Ziel war, die Gewohnheit vieler Menschen zu verändern, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Dafür muss ich zuerst verstehen, was ihr Verhalten beeinflusst und wie ich sie dazu bringen kann, es zu verändern.
Und in diesem Fall war die Lösung ein E-Bike?
Ja, in Brixen gibt es nun fast 200 E-Bikes, die zu einer Instandhaltungsgebühr von 200 Euro pro Jahr an Menschen vergeben werden, die sich in einem Vertrag mit der Gemeinde verpflichten, damit zur Arbeit zu fahren. Für die Auswahl der Nutzer*innen gab es einen klaren Katalog an Kriterien – von Entfernung und Höhenunterschieden bis hin zu zusätzlichen Wegen in Kindergarten oder Schule… Das Spannende ist, dass wir die Nutzerdaten genau analysieren und daraus wichtige Rückschlüsse gewinnen können, wie weit wir im ländlichen und bergigen Umfeld mit E-Bikes kommen können und ab wann es andere Lösungen braucht. Und: Das Projekt schafft Identifikation. Jedes dieser Räder ist auch gebrandet, mit der Marke „E-Bike to Work“. Sprich, wir haben „lebende Plakate“, die jeden Tag durch die Gegend fahren und das Projekt und nachhaltige Mobilität kommunizieren.
Solange wir jeden Tag 15 Termine wahrnehmen müssen, wird kein wirklicher und breiter Mobilitätswandel stattfinden.
Das nennt man authentische Kommunikation!
Und genau die brauchen wir! Nicht Fotomodelle, sondern die Menschen selbst, die Fahrradmarketing machen. Wenn wir den Anteil an nachhaltiger Mobilität in Südtirol weiter steigern wollen, braucht es nicht nur Angebote, sondern auch eine kulturelle Änderung. Und wir müssen uns immer bewusst sein, dass wir dabei gegen die Autoindustrie antreten, die weltweit täglich 500 Millionen Euro ins Marketing pumpt. Dagegen können wir finanziell nie ankommen, deshalb braucht es clevere und mutige Alternativen. Und wir haben bei vielen unserer Projekten selbst erlebt, dass man etwas bewegen kann – mit vielen verschiedenen Ansätzen, von der Unterhaltung bis hin zu partizipativen Prozessen.
Die Autokolonnen scheinen aktuell dennoch immer länger zu werden in Südtirol…
Mobilität bzw. die Probleme in der Mobilität sind immer Ausdruck eines Gesellschaftsmodells. Wenn wir dieses Modell verändern, wird sich auch die Mobilität weiterentwickeln. Solange wir jeden Tag 15 Termine wahrnehmen müssen, wird kein wirklicher und breiter Mobilitätswandel stattfinden. Ich wünsche mir, dass alles langsamer wird, dass wir nicht immer weiter wachsen müssen. Zumindest nicht, wenn es um Umsätze und Gewinne geht. Wachstum ist gut, wenn es um menschliche Erfahrungen, Wohlbefinden oder Sicherheit geht. Wenn wir eine andere Welt wollen, müssen wir noch stärker an unseren Gewohnheiten und Werten arbeiten. Denn das Wissen und die Technologien für eine Umstellung hätten wir schon lange.
Susanne Pitro ist ehemalige Redakteurin und aktuell freie Mitarbeiterin von SALTO.
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Sehr interessanter Beitrag,
Sehr interessanter Beitrag, volle Zustimmung!