Politik | Katalonien

Katalanischer Berichterstatter

Die Gewalt in Katalonien wurden in Barcelona live von einem Südtiroler mitverfolgt: Wie Stefan Zelger von der Südtiroler Freiheit das Referendum am Sonntag erlebte.
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Foto: STF

Update: Das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien ist für die Selbstbestimmungsverfechter der Südtiroler Freiheit ohne Zweifel das Highlight dieses Herbstes. Und so hat die Bewegung zur umstrittenen Abstimmung am Sonntag einen eigenen Berichterstatter in die katalanische Hauptstadt geschickt: Landesleitungs-Mitglied Stefan Zelger, der bereits bei der Unabhängigkeits-Abstimmung in Schottland im Jahr 2014 live vor Ort berichtete. Bis Donnerstag dieser Woche hat sich der Traminer in Barcelona einquartiert. „Wir haben gesagt, wenn die wirklich ernst machen und in 48 Stunden die Republik ausrufen, dann wäre es schön, hier zu sein“, sagt Zelger.

Die Ergebisse, die noch in der Nacht veröffentlicht wurden, machen zumindest Hoffnung darauf. 2,26 Millionen beteiligten sich an der Abstimmung, dies entspreche 42,3 Prozent der wahlberechtigten Katalanen, hieß es von Seiten der katalanischen Behören. 90 Prozent von ihnen stimmten für eine Abspaltung von Spanien. „Kein demokratischer Staat auf der Welt würde so ein Referendum anerkennen, das dermaßen gegen alle möglichen demokratischen Gepflogenheiten und Gesetze verstößt“, hatte Spiegel Online am Sonntag Nachmittag geschrieben. Schließlich wird das Ergebnis nicht nur durch das brachiale Vorgehen der Guardia Civil verzerrt, die unzählige Stimmzettel beschlagnahmte und viele der insgesamt gut 2300 Wahllokale sperrte.  Bereits um 8 Uhr morgen hatte ein Sprecher der katalanischen Separatistenregierung erklärt, dass man nicht genügend Umschläge habe, die Abstimmung de facto also nicht mehr geheim sein kann.  Gleichzeitig wurde angekündigt, dass die BürgerInnen entgegen den Bestimmungen im katalanischen Wahlgesetz auch außerhalb ihres festgelegten Wahllokales abstimmen können. Nachdem die Regierung in Madrid offensichtlich in vielen Wahllokalen auch das Internet abschalten ließ, ließ sich nicht einmal mehr kontrollieren, ob BürgerInnen mehrmals abgestimmt haben.

Doch all das rückt angesichts der Gewalt, mit der die Polizei auf Geheiß der spanischen Regierung gegen Wähler vorging, in den Hintergrund. Zeugnis davon gab auch der Berichterstatter der Südtiroler Freiheit in Bildern und Videos – auch dank einer für ihn  glücklichen Fügung. Denn Zelgers Hotel befindet sich direkt gegenüber der Ramon-Llull-Schule in Barcelona – also einem der Abstimmungslokale in der katalanischen Hauptstadt, in denen die Polizei ihre Muskeln besonders spielen ließ. Teils von seinem Hotelfenster aus, teils auch vor der Schule verfolgte der Südtiroler, wie das Wahllokal, in dem viele Menschen bereits über Nacht ausgeharrt hatten, um ab 9 Uhr morgens abstimmen zu können, von der Polizei gestürmt und alle Wahlzettel beschlagnahmt wurden. In einer Presseaussendung schilderte Stefan Zelger seine Eindrücke: 

 

 
Bereits um 6 Uhr morgens versammelt sich eine große Menschenmasse bei strömendem Regen vor dem Wahllokal im Zentrum Barcelonas. Als um 7 Uhr die ersten Wahlhelfer durch die Menge schreiten, bricht Applaus und Jubel aus, gefolgt von lauten Rufen ‚votarem, votarem‘, ‚wir werden abstimmen‘. Eine beeindruckende Manifestation der Demokratie. Dann kommt die Staatsmacht.

Gegen 8 Uhr ziehen knapp 20 Polizisten vor das Tor der Volksschule, in der gewählt werden sollte. Das Tor ist von einer großen Menschenmenge geschützt, die immer wieder Wahlzettel in die Luft hält und als Zeichen des friedlichen Protests die blanken Hände zum Himmel reckt. Die Polizisten harren zunächst passiv vor der Menge aus. Sie tragen schwere Schutzkleidung, Schusswaffen, Schilde, Schlagstöcke und große Tränengaswerfer. Die mehreren hundert Menschen bleiben ruhig, kein Laut ist zu hören. Eine unheimliche Atmosphäre. Die Ruhe vor dem Sturm. Wenig später riegelt die Polizei mit ca. 200 Mann die Straße, in der das Wahllokal steht, von beiden Seiten her ab. Die Beamten gehen nun hart gegen die friedlichen Wähler vor und versuchen das Tor zu stürmen. Menschen werden aus der Menge gezogen und zum Teil mit Schlagstöcken geschlagen. Über uns kreisen Polizeihubschrauber. Die Menge votiert lautstark ‚No pasarán‘, sie werden nicht durchkommen, den alten Schlachtruf der Republikaner gegen die Faschisten im Bürgerkrieg. Die Lage droht zu eskalieren. Die Wähler bleiben aber immer friedlich und auch die Polizei versucht, nicht weiter an der Eskalationsspirale zu drehen.

Voll im Geschehen vom eigenen Hotelzzimmer aus: Das Video von STF-Augenzeugen Stefan Zelger. 

 

Um 10 Uhr stürmen gut 30 Polizisten mit Vorschlaghammer einen Nebeneingang zur Schule und beschlagnahmen die Wahlurnen. Beamte in Zivil rennen unter lautstarken Pfiffen mit den Urnen davon und werfen sie hastig in Zivilfahrzeuge. Demonstranten versuchen noch durch eine Sitzblockade die Abfahrt zu verhindern, doch die Beamten können mit den vermeintlichen Corpus Delicti entkommen. Mit Tränen in den Augen skandieren junge Menschen ‚verschwindet‘, als sich die Staatsmacht wieder zurückzieht.“

Schlecher Tag für die Demokratie, guter Tag für Selbtbestimmungsbefürworter

Mehr als 460 Verletzte gebe es bisher, twitterte Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau am Sonntagmachmittag. Am Montag Morgen war von amtlicher Seite bereits von ingesamt 844 Verletzten die Rede, darunter einige schwer. Regionalpräsident Carles Puigdemont sprach von einer "unverantwortlichen Gewalt“ des spanischen Staates. Die Polizei sei mit Knüppeln,  Gummigeschossen und "wahlloser Gewalt" gegen friedliche Demonstranten vorgegangen. In Madrid wurde dagegen von einem "angemessenen und professionellen“ Vorgehen der Ordnungskräfte gesprochen, die nur eine Einhaltung der staatlichen Gesetze garantieren würden. Eine Interpretation, mit der die spanische Regierung ziemlich alleine dazustehen zu scheint. Denn nicht nur in Katalonien wird vielfach mit einem „Jetzt erst recht" reagiert: "Kein Bürger hier will noch in einem Staat bleiben, der so etwas tut."  „In aller Welt steht Spaniens Regierungschef Rajoy als ein verstockter Machtpolitiker da, der martialische Polizeieinheiten ruppig gegen friedliche Demonstranten vorgehen lässt“, kommentierte beispielsweise auch die Süddeutsche Zeitung. „Dieser 1. Oktober markiert ein fatales politisches Versagen Madrids. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie.“

"Das Konzept der ach-so-unverrückbaren Grenzen ist definitiv überholt. Für alle fremdbestimmten Völker ist es ein Freudentag." 

Aber ein guter Tag für Selbstbestimmungs-Befürworter. „Was ich hier vor allem gesehen habe ist, dass die Katalanen eine unglaubliche Zivilcourage haben“, brachte Stefan Zelger seinen aufregenden Sonntag  in Bercelona auf den Punkt. „Und ich glaube sie zeigen uns in Südtirol, aber auch der ganzen Welt, was man erreichen kann, wenn man es als Volk nur will und wenn man dabei friedlich bleibt.“ Noch deutlicher wurde sein Mitstreiter Christian Kollmann, der von Bozen aus Solidarität mit den Katalanen signalisierte. „Egal, wie das Referendum in Katalonien ausgeht, eines steht jetzt schon fest: Der heutige Tag wird Europa nachhaltig verändern. Das Konzept der ach-so-unverrückbaren Grenzen ist definitiv überholt. Für alle fremdbestimmten Völker ist es ein Freudentag“, schreibt der Abgeordnete der Südtiroler Freiheit.

Wenn "martialische Polizeieinheiten ruppig gegen friedliche Demonstranten vorgehen": Auch dieses Video zeigt eindrücklich, mit welchem Mitteln Madrid versucht, das katalanische Unabhängigkeitsreferendum zu unterbinden.  

Mair: SVP soll Konsequenzen ziehen

Schützenhilfe bekam die Südtiroler Freiheit am Sonnntag nicht nur durch den Heimatbund, deren Obmann Roland Lang Spanien nach diesem Vorgehen gleich „ohne Vorwarnung und ohne Sanktionen aus der europäischen Familie werfen würde“  oder durch die BürgerUnion. "Die Katalanen können sich einer europaweiten Solidaritätswelle sicher sein, der wir uns vollends anschließen, während Spanien sein Ansehen komplett verspielt hat", erklärte Europaregion-Tirol-Sprecher Dietmar Zwerger. Auch die Freiheitlichen forderten angesicht der schockierende Szenen aus Barcelona Konsequenzen auf europäischer Ebene und innerhalb der europäischen Volkspartei. „Eine nie dagewesene Gewalteskalation, betrieben durch einen Zentralstaat, der zu den Kernstaaten Westeuropas gehört, versinnbildlicht die bemitleidenswerte Situation, in der diese EU heute steckt“, schreibt Landtagsabgeordnete Ulli Mair. Für sie zeugen die Bilder aus Katalonien vom Aufkommen eines neuen Totalitarismus in Europa, bei dem die „EU-Eliten“ einfach wegschauen würden. Mair erinnert aber auch darin, dass die SVP mit der Partei „Partido Popular“ (PP) des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy in der Europäischen Volkspartei EVP sitze.  „Wenn die SVP-Parteiführung nicht Konsequenzen gegen das Vorgehen der spanischen Zentralregierung in Katalonien zieht, dann macht sie sich bei diesem Vergehen gegen Demokratie und Minderheitenrechte mitschuldig“, wettert die Freiheitliche und fordert von der Volkspartei entweder die die Beantragung eines Ausschlusses der PP aus der EVP oder den eigenen Austritt aus der EU-Fraktion.