Kein Zuckerschlecken
Schämen tue er sich, und das schon seit Langem, gesteht Lothar Zischg.
Zischg sitzt im Vorstand der Diabetes Union Alto Adige-Südtirol, die im April 2017 aus der Zusammenlegung des Vereins der Südtiroler Diabetiker und des Vereins der Jungen Diabetiker gegründet wurde. Schon seit den 1970er Jahren sind die beiden Vereine in Südtirol tätig und bei Treffen auf nationaler Ebene habe man eines nie rechtfertigen können, berichtet Zischg auf RAI Südtirol: die hohen Kosten für die medizinischen Produkte für Diabetiker.
Warum so viel?
“Wir haben uns geschämt”, wiederholt Zischg. Der Missstand, den der Diabetikerbund ehemals und die Diabetes Union aktuell anprangert, steht nun schwarz auf weiß: Die Kosten für Blutzuckerteststreifen, Testnadeln, Lanzetten und Insulinspritzen in Südtirol übersteigen die anderer italiensicher Regionen bei Weitem.
Das geht aus einer Untersuchung der nationalen Antikorruptionsbehörde ANAC hervor, deren Ergebnisse vorige Woche veröffentlicht wurden. Auf Meldungen von Diabetikervereinigungen habe die ANAC vergangenes Jahr die Kosten für Diabetiker-Hilfen zur Selbstkontrolle unter die Lupe genommen, erklärt die Behörde auf ihrer Webseite.
In Südtirol leben rund 1.000 Patienten mit Diabetes Typ I, über 20.000 leiden an Diabetes Typ II. Die medizinischen Hilfen zur Glukoseüberwachung werden von Diabeteszentren und Apotheken ausgegeben, die Kosten dafür trägt im Normalfall das Land.
Im März 2017 fordert die ANAC die entsprechenden Unterlagen über die Ausgaben bei den zuständigen Assessoraten der Regionen bzw. Autonomen Provinzen an. Einige kommen der Aufforderung erst verspätet nach oder reichen eine unvollständige Dokumentation ein, heißt es in dem 30-seitigen Bericht. Ein Gesundheitsassessorat allerdings erteilt keinerlei Auskunft: jenes des Landes Südtirol.
Sechsfache Spesen
Da es von offizieller Seite keine Auskunft gegeben habe, habe man für Südtirol die Daten auf den institutionellen Internetseiten herangezogen bzw. Schätzungen durchgeführt, vermerkt die ANAC in ihrem Bericht. 2016 beliefen sich die durchschnittlichen Ausgaben für Spritzen, Streifen & Co. italienweit auf 158,90 Euro pro Jahr und Patient. In Südtirol hingegen waren die Kosten mit 317,70 Euro doppelt so hoch – und mehr als sechs Mal so hoch wie in der Emilia Romagna, wo für jeden Diabetiker 51,10 Euro ausgegeben wurden.
Verdeutlicht werden die eklatanten Kostenunterschiede bei der Betrachtung einzelner Produkte, schreibt die ANAC: So habe die Emilia Romagna 2016 je Diabetespatient 38,79 Euro für Teststreifen zur Insulinmessung ausgegeben, Südtirol hingegen 257,12 Euro – sechs Mal so viel. 65 Cent pro Teststreifen in Südtirol, 19 Cent in der Emilia Romagna – gerade bei den Teststreifen gebe es enormes Einsparpotential, kritisiert die ANAC.
Einen Spitzenwert erzielt Südtirol auch mit den 2,38 Euro, die 2016 für Insulinspritzen pro Diabetespatient ausgegeben wurden. In Ligurien waren es nur 31 Cent.
Schaels Entwarnung
“Ich will die Daten der ANAC vertiefen und im Detail verstehen, welche Faktoren die Ausgaben beeinflussen”, sagt Martha Stocker in der Sonntagsausgabe des Corriere dell’Alto Adige. Die Gesundheitslandesrätin will aber auch darauf verweisen, dass das Niveau für Dienste und Unterstützung für Diabetespatienten in Südtirol “überaus hoch” sei. Für Lothar Zischg von der Diabetes Union sind die vergleichsweise hohen Kosten für Diabetiker-Produkte in Südtirol hingegen nicht nachvollziehbar: “Wir haben sie bei Treffen auf nationaler Ebene nie rechtfertigen können”, sagt er.
Während Landesrätin Stocker noch analysieren will, gibt ein anderer Entwarnung. Die Daten der jüngsten ANAC-Studie, die sich auf 2016 beziehen, seien inzwischen überholt, meldet Thomas Schael. Der ehemalige Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes erklärt: “2017 hat sich der Sanitätsbetrieb mit einem eigenen Los an der Ausschreibung für einen Dreijahresbedarf an Diabetes-Heilbehelfen der Region Piemont beteiligt. Dadurch konnten wir die Kosten für einen Teststreifen von vorher 65 auf 8,9 Cent drücken.” 1,1 Millionen Euro pro Jahr, also 3,3 Millionen in drei Jahren, würden somit eingespart.