Kultur | Salto Afternoon

Infinita: Werden und Vergehen

Ein poetischer Theaterabend an Silvester voller Charme und Witz – von Letzterem eine Prise zu viel.
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Foto: Familie Flöz

Während die einen heiter-aufgeregt in die Nacht der Superlative und Höhepunkte starten (Silvester – wie üblich die beste/geilste/heißeste/nervigste Party des Jahres), sitzen die anderen im vollbesetzten Theatersaal des Bozner Waltherhauses und lachen und seufzen über die etwas weniger höhepunktgleichen Momente des menschlichen Daseins.
Vom Werden und Vergehen unserer Existenzen handelt „Infinita“, zu dem die internationale Theatergruppe Familie Flöz eingeladen hat. Das Stück erzählt – mal komisch, mal nachdenklich – von den ersten und letzten Momenten im Endspiel um Leben und Tod. Die Zeit, in der die großen Wunder geschehen: von den ersten mutigen Schritten, gefolgt vom ersten Absturz, bis hin zum letzten Aufbegehren im Pflegeheim.

Familie Flöz, entstanden aus dem Physical Theatre an der Folkwang-Hochschule in Essen, kommt dabei völlig ohne Mimik und Stimme aus. Die Schauspieler tragen Masken, gesprochen wird kein Ton. Dass man erst bei den Neujahrswünschen der Truppe nach dem Schlussapplaus merkt, dass die ganze Zeit über kein Wort gefallen ist, zeugt von der Spielkraft der Darsteller. Ihrer beeindruckenden Körperkraft ist es zu verdanken, dass man bald fest davon überzeugt ist, die Masken seien lebendige Gesichter. Ein wunderbarer Beweis dafür, welche Wirkung der Körper eines Darstellers haben kann. Jeder Körpereinsatz – seien es die ersten wackeligen Aufstehversuche eines Kleinkinds oder das steife Trippeln eines Greisen – überzeugt bis hin zur feinsten Bewegung.

In der zweiten Hälfte des Stücks kippt dieses feine Gleichgewicht etwas zu sehr ins Clowneske, etwa beim kindlichen Ballspielen mit dem Publikum oder in der Schlussszene.

Sehr gut funktioniert das Spiel auf zwei Ebenen, der Realszene vorne und schattenspielartigen Einblenden auf einer Leinwand. Wort-, aber nicht tonlos überzeugt „Infinita“ auch dank der sorgfältig ausgewählten Musik, die mal temporeich und fröhlich das Komödiantische verstärkt, dann wieder in langsamer Melancholie zum Innehalten anregt.
Einziger Kritikpunkt: In der zweiten Hälfte des Stücks kippt dieses feine Gleichgewicht etwas zu sehr ins Clowneske, etwa beim kindlichen Ballspielen mit dem Publikum oder in der Schlussszene. Die Zimmer der Pflegeheimbewohner verwandeln sich in Grabstätten, auf der Schattenleinwand hebt die Parkbank mit den greisen Männern langsam vom Boden ab, und mit baumelnden Beinen und neugierig die Gehstöcke schwingend entschweben die Toten auf zauberhaft leichte Weise dem Diesseits und nehmen der menschlichen Vergänglichkeit ihre Schwere… ein perfektes Ende – meint der Zuschauer begeistert klatschend. Die wahre Schlussszene kommt aber erst, mit (zu) viel Witz und etwas platt. Familie Flöz begnügt sich nicht mit der Poesie eines bitterbösen Augenzwinkerns und federleichten Lächelns, sondern setzt zum Schluss nochmal auf große Lacher. Und so werden auch wir Zuschauer im Waltherhaus ungewollt Teil eines Silvestersuperlativs.

FAMILIE FLÖZ: Infinita