Ein anderes Wirtschaften in Südtirol
Vom Landwirt, der auf seinem Hof von Obstbau in Monokultur auf Gemüseanbau umstellt bis zum Luxushotel, das sich für eine Ökonomie des Gemeinwohls engagiert, entsteht in Südtirol zur Zeit eine Vielfalt an kleinen und großen Projekten, die zeigen, wie wir in diesem Land besser, nachhaltiger und im Gleichgewicht leben, arbeiten und wirtschaften können. Diese Projekte finden aber nicht nur neue Wege des Wirtschaftens und Zusammenlebens, sondern haben auch alle etwas gemeinsam, das an sich schon ein neuer Weg ist:
Sie arbeiten zusammen anstatt gegeneinander
Ausdruck einer solchen Zusammenarbeit ist zum Beispiel die Bürger*Genossenschaft Obervinschgau „da“, Partner von Südtirols Netzwerk für Nachhaltigkeit. Hier finden Vinschgauer*Innen zusammen „im gemeinsamen Bestreben eine nachhaltige Zukunft des Lebensraumes Obervinschgau zu gestalten.“
Von den etwa 150 Mitgliedern der Genossenschaft sind über die Hälfte Unternehmer unter anderem aus Landwirtschaft, Tourismus oder Handwerk. Ein Ziel ist es, die Kooperation zwischen diesen Unternehmern zu fördern. „Wir haben zum Beispiel einen Marktstand, wo wir Produkte der Region verkaufen. Da haben wir etwa 30 Bio-Bauern gesammelt und wir gehen für sie auf den Markt, haben also jemanden angestellt, der den Verkauf ihrer Produkte übernimmt. Mittlerweile haben wir sogar einen Marktstand in Bozen am Obstmarkt, wo wir diese Produkte vertreiben.“, erklärt der Vorstandsvorsitzende Armin Bernhard.
Die mühselige, zeitaufwendige und bei einigen auch ungeliebte Vermarktung ihrer Produkte wird den Landwirten abgenommen und so können sie sich besser auf ihre Kerntätigkeit konzentrieren. Aber es geht nicht nur darum, betriebliche Abläufe zu vereinfachen, sagt Arnim Bernhard, beim Verkauf in den Zwischenhandel oder Großhandel ist man als Einzelner in den Preisverhandlungen einem viel größeren Druck ausgesetzt:
Da können wir als Gemeinschaft schon ganz anders agieren.
Aber der Bürger*Genossenschaft Obervinschgau geht es nicht nur darum, für die eigenen Mitglieder zu sorgen, sondern sie will den Lebensraum Obervinschgau als Ganzes und für alle nachhaltiger gestalten. „Wir sind auch Mitglied in einem Netzwerk von gemeinschaftsbasiertem Wirtschaften. Wir sind überzeugt, dass wir das Wirtschaften an sich in unserer Gesellschaft verändern müssen.“, erklärt Armin Bernhard.
Und so gelingt es ihr, dank Kooperation und Partnerschaft mit lokalen Akteuren, auch Projekte ins Leben zu rufen, die ohne eine solche Zusammenarbeit überhaupt nicht möglich wären: „Wir nehmen Projekte in die Hand, die sonst von niemandem gemacht werden, weil sie unrentabel sind oder im ländlichen Raum keinen Profit abwerfen. Die Dorfsennerei ist ein klassisches Beispiel dafür.“ Die Dorfsennerei Prad stand 2018 wirtschaftlich vor dem Aus. Dies bedeutete nicht nur einen Verlust von Arbeitsplätzen, sondern war auch ein schwerer Schlag für die regionale Wertschöpfungskette. Deshalb arbeitete man für ihren Erhalt nicht nur mit Bauern und Bäuerinnen zusammen, sondern mobilisierte auch die Bevölkerung, die sich zahlreich an einem Vorverkauf beteiligte. So konnte die Dorfsennerei 2019 ihren Betrieb wiederaufnehmen.
Das wird sonst von niemanden gemacht, weil es unrentabel ist
Diese Erfolgsgeschichten zeigen, dass ein Umdenken in der Wirtschaft, aber auch in der Bevölkerung, bereits begonnen hat, aber das heißt nicht, dass sich alle in der Gesellschaft einig sind. „Für uns ist Kooperation ein zentrales Element. Wir merken aber auch, dass es für viele eine Herausforderung ist, in Kooperationen zu denken, weil wir noch geprägt sind vom Gedanken, dass wir konkurrenzorientiert sein müssen, dass wir besser, schneller, billiger als die Anderen sein müssen.“, meint Armin Bernhard.
Einige Bedenken mögen vielleicht auch gerechtfertigt sein. Vor allem wenn man sich nicht nur mit Gleichgesinnten zusammentut, sondern mit Partnern kooperieren will, die ihre eigenen, nicht immer deckungsgleichen Ziele verfolgen, wie zum Beispiel bei Institutionen der öffentlichen Hand. Hier müssen für eine fruchtbare Zusammenarbeit eventuell schmerzliche Kompromisse eingegangen werden. Aber Armin Bernhard weiß auch dieses Problem zu lösen: „Interessanter als die Frage, wie kann ich zwischen den zwei Positionen einen Kompromiss finden, ist ja die Frage, kann vielleicht aus diesen zwei Positionen eine dritte Position werden, hinter der beide stehen können. Das ist das Wichtigste: Wo ist die Gemeinsamkeit und wie können wir daran weiterarbeiten und einen gemeinsamen dritten Weg finden?“
Spannend ist es, einen gemeinsamen dritten Weg zu finden
Und wer weiß, vielleicht kommt man ja bei der Suche nach so einem dritten Weg auch auf Ideen, die man sonst gar nicht gehabt hätte. Denn Kooperation und Partnerschaft ist natürlich auch immer ein Austausch. Und dieser Austausch ist umso ergiebiger, je weiter man dabei über den eigenen Tellerrand hinausschaut. Deshalb will man bei der Bürger*Genossenschaft Obervinschgau auch die sektorenübergreifende Zusammenarbeit fördern: „Wir sind nicht nur in der Landwirtschaft oder nur im Tourismus oder nur im Handwerk tätig, sondern in allen Bereichen. Wir glauben, dass das Zusammenspiel dieser Bereiche sehr wichtig ist und dass wir in Zukunft viel mehr zusammen denken müssen, um Bereiche, Personen und uns gemeinschaftlich neu aufzustellen.“ Zum anderen suchen wir als lokal agierende Organisation auch immer wieder den internationalen Austausch: „Wir werden oft eingeladen nach Deutschland, Österreich, in andere Regionen Italiens, um vorzustellen, was wir machen, weil wir ja mittlerweile ein recht bekanntes Beispiel sind. Und wir profitieren sehr von diesem Austausch. Man nimmt da immer etwas mit, schaut sich etwas ab. Es wird sehr stark unterschätzt, wie viel kleine Initiativen es bereits weltweit gibt, weil die keine Stimme haben oder die Medien nicht drüber berichten und es ist natürlich auch eine Motivation, zu sehen, dass andere auf der ganzen Welt etwas Ähnliches machen.“
Ein Beitrag von Borja Schwember, NOWA // seeding positive transformation für Südtirols Netzwerk für Nachhaltigkeit.
Die Initiative wird von der Autonomen Provinz Bozen und vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik unterstützt.